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Absage eines Besuchs der Alternativen Liste beim ZK der SED

24. November 1986
Information Nr. 534/86 über Gründe der Absage des vorgesehenen Besuchs einer offiziellen Delegation der Westberliner »Alternativen Liste« (AL) beim ZK der SED

Dem MfS wurde zuverlässig streng intern bekannt, dass die Absage des vorgesehenen Gesprächs einer Delegation der Westberliner »Alternativen Liste«1 mit Vertretern des ZK der SED auf erhebliche Differenzen unter Führungskreisen der AL über die Ziele und die dieser Besuchsreise zugrunde liegende Konzeption zurückzuführen ist.

(Die öffentliche Begründung der Absage, die DDR habe den als Delegationsmitgliedern vorgesehenen Renate Künast2 und Michael Wendt3 die aus privaten Gründen beantragte Einreise in die Hauptstadt der DDR, Berlin, verweigert, diente lediglich als Vorwand.)

In letzter Zeit haben sich die Auseinandersetzungen derart verschärft, dass keine einheitlichen Positionen erreichbar wurden und keine Mehrheit für klare und eindeutige Aussagen zum Verhältnis der AL gegenüber der DDR zustande kam.

Die AL ist – zuverlässigen Informationen zufolge – gegenwärtig in drei Gruppierungen gespalten (Realisten, Mittelfraktion, anti-kommunistische Kräfte), die zu den Zielen der vorgesehenen Gespräche mit Vertretern des ZK der SED unterschiedliche, teilweise gegensätzliche Auffassungen haben. Besonders die Haltung von Mitgliedern der sogenannten Arbeitsgruppe für Berlin- und Deutschlandpolitik der AL4 um den auf extrem antikommunistischen Positionen stehenden Wolfgang Schenk5 (dazu zählt ferner der für die vorgesehene Delegation nominierte Verräter Rupert Schröter)6 hatte entscheidende Bedeutung für das bisherige Nichtzustandekommen einer Gesprächskonzeption für die AL-Delegation. Selbst Vertreter der sogenannten Mittelfraktion um Renate Künast, Christine Dörner7 und Michael Wendt, die anfänglich dafür eintraten, hauptsächlich Probleme wie »Atomenergie in der DDR«, »Luftbelastung in der DDR« bzw. »Friedenspolitik« in den Mittelpunkt der Gespräche zu stellen, gelangten in diesem Prozess der Auseinandersetzung um die Konzeption zu der Auffassung, in die vorgesehenen Gespräche in erster Linie die sogenannte Menschenrechtsproblematik einzubeziehen und »klarere Aussagen der AL zu ihrem Verhältnis gegenüber oppositionellen Gruppen in der DDR« zu treffen.

Zu diesem Zweck sind nach intern vorliegenden Erkenntnissen seit längerer Zeit seitens Vertretern der AL verstärkte Bemühungen erkennbar, mit hinlänglich bekannten feindlich-negativen Elementen, insbesondere in der Hauptstadt der DDR, Berlin, feste Beziehungen aufzubauen und zu unterhalten sowie ihre politischen Positionen des Vorgehens gegen die DDR mit diesen Kräften abzustimmen und diese in ihrem Wirksamwerden im Innern der DDR zu unterstützen. Dabei richten sich die erkennbaren Bestrebungen der in diese Aktivitäten einbezogenen Kräfte der AL – analog zu anderen derartigen politischen Kräften in der BRD und Westberlin – u. a. auch darauf, solchen feindlich-negativen Elementen zu mehr »Legalität« zu verhelfen und ihnen dadurch »Schutz« zu garantieren. In diesem Sinne missbrauchte die Künast ihren im Zusammenhang mit Vorbereitungsgesprächen für die Delegationsreise der AL genehmigten Aufenthalt am 3. Oktober 1986 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, um an einer Zusammenkunft der feindlich-negativen Elemente Gerd Poppe,8 Bärbel Bohley,9 Werner Fischer10 und Wolfgang Templin11 teilzunehmen.

(Da dem MfS zuverlässig streng intern Informationen darüber vorlagen, dass in Vorbereitung des Delegationsbesuches weitere diesbezügliche Treffen konkret vereinbart worden waren, wurde die Einreisesperre zu den Personen Künast und Wendt verfügt.)

Im Ergebnis weiterer Auseinandersetzungen um die Gesprächskonzeption unter Delegationsmitgliedern wurde vereinbart, dass die Künast und Wendt am 21. November 1986 erneut in die Hauptstadt der DDR, Berlin, einreisen sollten, um mit den genannten feindlich-negativen Elementen ihre Abstimmung vor allem zur »Menschenrechtsproblematik« und zur »DDR-Opposition« fortzuführen.

Da man bereits mit möglichen Maßnahmen der Organe der DDR rechnete, wurde ein zweiter Termin (24. November) in Erwägung gezogen, Demzufolge beantragte die Künast am 20. November 1986, unmittelbar nach Kenntnisnahme der Nichtgewährung ihrer für den 21. November beantragten Einreise, für den 24. des Monats erneut eine solche.

Nach gegenwärtig vorliegenden internen Hinweisen beabsichtigen Führungskreise der AL, die Version aufrechtzuerhalten, dass ausschließlich die genannten Reisesperrmaßnahmen den Grund der Absage des vorgesehenen Besuches einer Delegation der Westberliner »Alternativen Liste« beim ZK der SED darstellen würden. Sie unternehmen alles, die inneren Probleme und Schwierigkeiten der AL und die darauf zurückzuführenden tatsächlichen Gründe des Nichtzustandekommens der Delegationsreise nicht offenkundig werden zu lassen.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    26. November 1986
    Information Nr. 536/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 17. November 1986 bis 23. November 1986

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    24. November 1986
    Information Nr. 527/86 über bisher vorliegende Ergebnisse der Untersuchung der Havarie in der Emulgator-Fabrik des VEB Chemische Werke Buna Schkopau, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, am 11. November 1986