Flucht und Ausreisen von Ärzten und Zahnärzten
13. Oktober 1986
Information Nr. 441/86 über einige aktuelle Aspekte des Verlassens der DDR – ungesetzliche Grenzübertritte und Übersiedlungsversuche – durch Ärzte/Zahnärzte der DDR und damit zusammenhängende Fragen
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen ist im Gesundheitswesen (einschließlich des Bereiches Hoch- und Fachschulwesen) eine zunehmende Tendenz bezüglich des ungesetzlichen Verlassens der DDR bzw. der Ersuchen auf Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin festzustellen. Diese Erscheinung betrifft Personen aller Qualifikationsrichtungen und -stufen des Gesundheitswesens, insbesondere aber Ärzte und Zahnärzte.*
* [Fußnote im Original: Zahlen- und Vergleichsangaben siehe Anlage]
Die Anstrengungen und Aktivitäten der zuständigen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen und Kräfte zur Zurückdrängung dieser Entwicklung führten bisher nicht zu spürbaren Ergebnissen.
Während zum Beispiel im gesamten Jahre 1985 insgesamt 36 Ärzte/Zahnärzte die DDR ungesetzlich verlassen haben, sind es mit Stand 31. August 1986 bereits 49 Ärzte/Zahnärzte, die vor allem unter Ausnutzung der erleichterten und erweiterten Reisemöglichkeiten in dringenden Familienangelegenheiten von Reisen in das NSW nicht wieder zurückkehrten.1
Nach vorliegenden Hinweisen handelt es sich bei den Ärzten/Zahnärzten, die die DDR verlassen haben oder wollen, in der Regel um gut ausgebildete, erfahrene und zum Teil profilierte Mediziner mit hoher fachlicher Qualifikation, die sowohl internationales Ansehen genießen, aber auch von Mitarbeitern und Patienten geachtet wurden.
Weiteren Feststellungen zufolge haben diese Ärzte fast ausschließlich eine Facharztausbildung und waren längere Zeit praktisch tätig, ehe sie die DDR ungesetzlich verlassen haben. Diese Aussage trifft im hohen Maße auch auf die übersiedlungsersuchenden2 Ärzte zu.
Die Ursachen und Motive für das ungesetzliche Verlassen der DDR sind sehr vielschichtig und differenziert. Sie sind im Wesentlichen identisch mit den Ursachen und Motiven für Übersiedlungsversuche durch Ärzte.
Durch das MfS in diesem Zusammenhang geführte Untersuchungen zu den wesentlichsten Motiven und weiteren Wirkungsfaktoren für die Entschlussfassung zum Verlassen der DDR ergaben:
Ein größerer Teil der diesbezüglich in Erscheinung getretenen Ärzte und Zahnärzte verfügt über eine kaum ausgeprägte bzw. eine ungefestigte politisch-ideologische Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung.
Ihre Haltung ist teilweise durch Desinteresse am politischen Geschehen, Unverständnis für sich aus gesellschaftlichen Erfordernissen notwendig ergebende Maßnahmen sowie die Überbewertung und ungerechtfertigte Verallgemeinerung bestimmter negativer Einzelerscheinungen und Mängel gekennzeichnet.
Dieser Teil der Ärzte lehnt jede gesellschaftliche Mitverantwortung für die Lösung der Aufgaben ab, beteiligt sich nicht an der Lösung komplizierter Probleme in den Einrichtungen des Gesundheitswesens und verweigert die Übernahme zusätzlicher Aufgaben.
Von diesen Ärzten wird auch die Meinung vertreten, dass es unerheblich sei, unter welchen gesellschaftlichen Verhältnissen sie als Arzt ihre humanistische Pflicht erfüllen. Ein gesellschaftliches Engagement wird von ihnen abgelehnt. Sie betrachten deshalb das ungesetzliche Verlassen der DDR auch nicht als Verrat der sozialistischen Gesellschaft.
Nach vorliegenden Hinweisen erweist sich dieser Personenkreis wegen der fehlenden Staatsverbundenheit als besonders konfliktanfällig, unterliegt der gegnerischen politisch-ideologischen Beeinflussung bzw. ordnet sich bewusst der bürgerlichen Ideologie unter.
Derartige offen vertretene oder auch durch vorgetäuschtes Engagement verschleierte Haltungen haben ihren Ausgangspunkt häufig bereits im kleinbürgerlichen Erziehungsmilieu im Elternhaus bzw. bilden sich während des Studiums heraus.
Mit dem Ziel, die Zulassung für ein Medizin- oder Zahnmedizinstudium zu erreichen, werden während des Besuches der Erweiterten Oberschule bewusst positive politische Haltungen vorgetäuscht und zweckdienliche gesellschaftliche Aktivitäten entwickelt.
Dieses Zweckverhalten ist während des Zulassungsverfahrens und auch im Verlaufe des Studiums durch die Hochschullehrer schwer einschätzbar und nachzuweisen und wird erst nach dem Studium durch entsprechende Verhaltensweisen sichtbar.
In diesem Zusammenhang ist einzuschätzen, dass bei zahlreichen jungen Ärzten marxistisch-leninistische Grundpositionen nicht ausgeprägt bzw. verfestigt waren, wobei insbesondere in ihrem Bewusstsein die weltanschauliche Fundierung ihrer ärztlichen Tätigkeit in der sozialistischen Gesellschaft fast völlig fehlte.
Auf die teilweise offene oder verschleierte Identifizierung mit westlichen ideologischen Positionen wirken im verstärkten Maße vor allem nach der BRD und Westberlin übergesiedelte Personen sowie Personen, die die DDR ungesetzlich verlassen haben, aufgrund bestehender Rückverbindungen ein und tragen so wesentlich zur Herausbildung neuer bzw. der Verfestigung bereits bestehender diesbezüglicher Absichten zur Übersiedlung bzw. den Entschluss zum ungesetzlichen Verlassen der DDR bei.
Aus weiter vorliegenden Untersuchungsergebnissen ist zu erkennen, dass ein großer Teil dieser Personen individualistische, einseitig fachlich- und konsumorientierte Denk- und Verhaltensweisen besitzt und von besseren beruflichen und persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und Lebensbedingungen in der BRD bzw. in Westberlin fest überzeugt ist. Hervorgehoben werden immer wieder die dort erwarteten angeblichen uneingeschränkten Reisemöglichkeiten, unbegrenztes Konsumgüterangebot und die »Freiheit von ideologischen Zwängen«.
Derartige innere Einstellungen werden jedoch oft verdeckt und es werden als »offizielle« Begründungen für das ungesetzliche Verlassen der DDR Mängel im Gesundheitswesen angegeben, die eine erfolgreiche Arbeit am Patienten erschweren bzw. unmöglich machen.
Auch Mängel in der Arbeit mit den Menschen durch staatliche Leiter sowie schlechtes Arbeitsklima wird oft als rechtfertigende Begründung für die Verratshandlungen genannt.
Die durchgeführten Untersuchungen bestätigten nur zu einem Teil derartige Begründungen.
Häufig resultierte das Unbefriedigtsein aus eigenen Verhaltensweisen und Einstellungen der Personen selbst, wie z. B. übersteigerter Ehrgeiz, Geltungsbedürfnis, Ablehnung gesellschaftlicher Erfordernisse usw.
Weiter vorliegende Hinweise belegen, dass bei nicht wenigen Mitarbeitern im Gesundheitswesen in zunehmendem Maße Zweifel an der Überwindung der zahlreichen Mängel und Probleme, die in den letzten Jahren im Gesundheitswesen entstanden sind, bestehen.
Dieses resignierende Verhalten spielte im Ursachenkomplex für das ungesetzliche Verlassen der DDR durch einige Ärzte eine bedeutende Rolle, die sich bisher tatkräftig für die Lösung der Aufgaben im Gesundheitswesen eingesetzt hatten.
Als eine bedeutende Ursache für die Herausbildung der sozialistischen Gesellschaft wesensfremder Denk- und Verhaltensweisen wurde festgestellt, dass
- –
in nicht wenigen Ärztekollektiven nur eine formale politisch-ideologische Erziehungsarbeit geleistet wird und Auseinandersetzungen mit feindlichen Argumenten sowie mit Erscheinungsformen der politisch-ideologischen Diversion3 ausgewichen wird,
- –
das ungesetzliche Verlassen der DDR und Versuche zur Erreichung der Übersiedlung in den Ärztekollektiven nicht generell verurteilt und teilweise moralisch unterstützt werden,
- –
Leiter von Gesundheitseinrichtungen und Ärztekollektiven vor allem ihre politische Verantwortung ungenügend wahrnehmen, Auseinandersetzungen zu politischen Fragen nicht fördern und auch kein politisches Bekenntnis der Mitglieder ihrer Kollektive zum sozialistischen Staat fordern.
Vorliegenden Erkenntnissen zufolge gibt es im Bereich Gesundheitswesen sowie im Hochschulbereich Medizin einige Erscheinungen, die wiederkehrend auch in Begründungen von Ärzten für ihr Verlassen der DDR zu finden sind und die wie folgt zusammengefasst werden können:
- –
Mängel in der Arbeit mit den Menschen sowie insgesamt in der Leitungstätigkeit durch staatliche Leiter und Funktionäre im Gesundheitswesen wie Nichteinhaltung von Zusagen über die berufliche Entwicklung, Bevormundung, Nichtanerkennung fachlicher Leistungen, schlechtes Arbeitsklima in den Kollektiven.
(Von besonderer Auswirkung waren diese Mängel insbesondere dann, wenn sie mit vorhandenen subjektiven Verhaltensweisen und Eigenschaften wie übersteigertem Ehrgeiz, Geltungsbedürfnis, Überzeugung von eigener Unfehlbarkeit und anderem mehr zusammenfielen.)
So waren z. B. Mängel in der kaderpolitischen Arbeit an der Medizinischen Akademie Erfurt wesentlich für die Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR durch einen leitenden Arzt der Radiologischen Klinik (Dozent Dr. Ritter).4
Herzloses Verhalten bei Nichtberücksichtigung wesentlicher Charaktereigenschaften gegenüber einem langjährig in Leitungsfunktionen (Stellvertretender Ärztlicher Direktor) tätigen Arzt des Bezirkskrankenhauses Rostock (Dr. Kemter)5 führten letztlich zu dessen Nichtrückkehr aus der BRD. In seiner »Begründung« führt er an, dass sich sein nun beschlossener »sozialer Abstieg« wenigstens dort vollziehen soll, wo ihn niemand kenne.
- –
Mängel in den baulichen Zuständen von Gesundheitseinrichtungen, die sich langfristig verstärkten, nicht kurzfristig zu lösen sind und deutliche Auswirkungen auf die Versorgungsleistungen haben.
Besonders charakteristisch dafür sind Missstände in Kliniken der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, die erheblich zur Entschlussfassung zum Verlassen der DDR durch mehrere, zum Teil leitende Ärzte (Dr. Palme,6 Dr. [Name 1] – ungesetzlicher Grenzübertritt 1984 bzw. 1985; Dr. Seide7 – Übersiedlungsersuchen 1986) beitrugen, nachdem ihre über mehrere Jahre hinweg entwickelten Aktivitäten und Initiativen zur Überwindung der Situation aus verschiedenen Gründen erfolglos blieben. Besonders entmutigend wirkten hier mehrfach gegebene Zusagen, die meist ohne weitere Begründung nicht eingehalten wurden.
Im Bezirkskrankenhaus Görlitz, Chirurgische Klinik, bestehen Wartezeiten für Gallenoperationen und andere planbare operative Eingriffe von mehreren Jahren, die aus fehlender Bettenkapazität, unzureichenden hygienischen Bedingungen, Unterbesetzung mit mittlerem medizinischem Personal resultieren.
Ebenso problematisch bleibt in einer Anzahl Einrichtungen die Erhaltung der Funktionsfähigkeit bzw. die erforderliche Steigerung der Leistungsfähigkeit von Küchen, Wäschereien, Heizanlagen und Fuhrparks.
Auch hier sind fehlende Material- und Baubilanzanteile ursächlich.
Im Krankenhaus Berlin-Weißensee werden durch gravierende Mängel in der Energieversorgung (Trafostation und Heizhaus), der Wäscherei, Küche und einigen medizinischen Stationen Minimalanforderungen für die Betriebsfähigkeit nicht mehr gewährleistet. Entsprechende Informationen an die örtlichen Partei- und Staatsorgane, den FDGB und die ABI erbrachten keine Veränderungen, obwohl dieses Krankenhaus als Reservelazarett im Verteidigungszustand geplant ist.
In den Einrichtungen des Gesundheitswesens des Stadtbezirkes Berlin-Lichtenberg nehmen seit einiger Zeit Versorgungsmängel auf fast allen Gebieten zu. Circa 80 % der vorhandenen Grundmittel sind bereits abgeschrieben.
Krasse bevölkerungswirksame Auswirkungen bei der medizinischen Grundbetreuung und Versorgung treten insbesondere im Oskar-Ziethen-Krankenhaus sowie in der Poliklinik »Friedrich Wolf« auf.
Eine ganze Reihe von für die medizinische Versorgung erforderlicher Materialien wurde vor Jahren bilanziert. Das entspricht nicht mehr heutigen Normativen. Korrekturen erfolgten nicht, sodass auch aus diesem Grund Minderversorgungen eintreten.
- –
Nicht den Erfordernissen entsprechende planmäßige Erneuerung der medizinisch-technischen Ausstattung und der materiell-technischen Basis für die medizinische Versorgung und Forschung.
Wurden auf einigen wichtigen Gebieten gute Erfolge bei der materiellen Absicherung mit moderner Medizintechnik erzielt (z. B. Bereitstellung von Herzschrittmachern, Hohlfaserdialysatoren aus eigener Produktion), so bleibt die materielle Sicherstellung, besonders der Ersatz verschlissener Geräte, und notwendige Kapazitätserweiterungen bei einer Anzahl medizin-technischer Erzeugnisse und Verbrauchsmaterialien für das Gesundheitswesen und auch für medizinische Einrichtungen im Hochschulbereich weiterhin kompliziert und belastet in vielen Krankenhäusern die Leistungsfähigkeit und die Arbeitsbedingungen.
Diese schwierige Versorgungslage im Bereich Medizintechnik resultiert auch aus dem ungenügend entwickelten Leistungsvermögen und unzureichenden Produktionskapazitäten der einschlägigen Industrien der DDR, speziell des VEB Kombinat Medizin- und Labortechnik Leipzig. Hocheffektive diagnostische und therapeutische Verfahren wie die Ultraschall-Diagnostik, die Faserendoskopie und die Computertomographie konnten nur in relativ wenigen medizinischen Einrichtungen zur Anwendung gebracht und weitere international bereits breit eingesetzte medizinische Spitzentechnologien im Gesundheitswesen der DDR noch gar nicht eingeführt werden.
In Begründungen für das erfolgte oder beabsichtigte Verlassen der DDR werden diesbezüglich Vergleiche mit dem Standard in BRD-Kliniken und ärztlichen Praxen gezogen.
- –
Ungenügende Absicherung bei wichtigen spezialisierten und hochspezialisierten medizinischen Leistungen bei vorhandenem medizinisch begründetem Bedarf.
Besonders die Dialyseversorgung mit ihrer unmittelbar lebenserhaltenden Wirkung zeigt ständig wachsenden Bedarf und hat entsprechend der nichtausreichenden Kapazität und bestehender Qualitätsprobleme die deutlichsten Auswirkungen in der Bevölkerung.
Auch durch Ärzte wurde als Motiv für das Verlassen der DDR angegeben, nur in nichtsozialistischen Staaten eine fachgerechte medizinische Versorgung und Betreuung von Familienangehörigen – insbesondere bei Erkrankungen der Kinder angeführt – erhalten zu können.
- –
Unzureichende bzw. unkontinuierliche Medikamentenbereitstellung, insbesondere bei hochentwickelten Pharmaka – auch infolge des Umfanges der zur Verfügung stehenden Fonds für Medikamenten-Importe aus dem nichtsozialistischen Ausland.
Hinzu kommen Versorgungsmängel an selbst einfachsten medizinischen Verbrauchsmaterialien, wie Verbandstoffen oder Desinfektionslösungen. (Ärzte empfinden es als entwürdigend, Patienten auf deren Verbindungen in nichtsozialistische Staaten zwecks Beschaffung von Pharmaka oder Verbrauchsmaterialien – z. B. auch Insulin-Bestecke für Diabetiker – anzusprechen.)
Der Produktionsprozess in der pharmazeutischen Industrie ist – bezogen auf verschiedene Arzneimittel – nicht kontinuierlich und führt zu Versorgungsengpässen und der Notwendigkeit der operativen Verbrauchslenkung.
- –
Hoher Kräfteaufwand und -verschleiß aufgrund von Fluktuation unter Ärzten wie auch fehlendem mittleren medizinischen Personal in der Mehrzahl der Gesundheitseinrichtungen.
Problematisch in einer Vielzahl von stationären Einrichtungen für deren effektiven Betrieb bleibt das Fehlen qualifizierten mittleren medizinischen Personals.
Von den vorhandenen mittleren medizinischen Personalen sind nach vorliegenden Hinweisen oft nur ca. 70 % im Dienst. Der hohe Ausfall ist durch freie Tage, begründete Teilzeitbeschäftigung, Urlaub, Krankheit, Schwangerschafts- und Wochenurlaub sowie Freistellungen im Mütterjahr begründet und führt zwangsläufig zur ständigen Überlastung des vorhandenen Personals, auch zur notwendigen Übernahme nichtspezifischer Arbeiten durch Ärzte. Hieraus erwachsen unzureichende Patientenbetreuung und hohe Fluktuationen.
Auch durch eine verbreitet vorhandene unzureichende Pflegeheimkapazität entsteht eine zusätzliche Belastung für Ärzte und mittleres medizinisches Personal, da ein relativ hoher Anteil Krankenhausbetten durch Pflegefälle belegt wird. Eine zusätzliche finanzielle Vergütung für die in der Regel über den Rahmen der medizinischen Versorgung hinausgehenden Aufgaben erfolgt nicht.
Weitere Faktoren für die relativ hohe Fluktuation unter dem mittleren medizinischen Personal sind teilweise schlechte und belastende Arbeitsbedingungen (zusätzliche Tätigkeiten außerhalb der Funktion durch Fehlen von Hilfskräften; häufige Probleme bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln, unzureichende Arbeitsräume und vieles anderes), Probleme der Versorgung mit Wohnraum und zum Teil noch Entlohnungsprobleme.
Das Anfangsgehalt für einen Fachschulkader im Gesundheitswesen (Krankenschwester, MTA, Physiotherapeut usw.) beträgt 615 Mark brutto und kann mit zweijährigen Steigerungssätzen (ohne zusätzliche Qualifikation oder Funktionsübernahme) bis zum 25. Dienstjahr auf 930 Mark brutto gesteigert werden.
Schon aufgrund dieses geringen Anfangsgehaltes scheidet ein Teil des mittleren medizinischen Personals frühzeitig aus und übernimmt Tätigkeiten in nichtmedizinischen Bereichen.
Durch die vorhandenen Entlohnungsprobleme, verbunden mit den ständigen hohen Belastungen, ist verbreitet ein zunehmendes Desinteresse des mittleren medizinischen Personals für die Lösung der Aufgaben und die Übernahme von zusätzlicher Verantwortung zu spüren, welches sich auch durch direkte Einflussnahme der Ärzte, insbesondere der leitenden Kader, kaum abbauen lässt. Die Folge dieses komplexen Wirkens und des Fehlens von Lösungen ist eine verstärkt auftretende Resignation dieses Personenkreises.
- –
Mängel in der Wohnraumversorgung für Ärzte, die sich insbesondere dann besonders negativ auch auf das Umfeld niederschlagen, wenn es sich um berufene, für Spezialisten-Aufgaben eingesetzte Fachkader handelt, denen oft erst nach Monaten und durch intensive Bemühungen angemessener Wohnraum zugewiesen werden kann.
- –
Unzufriedenheit mit den Gehältern für medizinische Hochschulkader – insbesondere im direkten Vergleich mit Gehältern und Honoraren von Ärzten in der BRD.
Das Anfangsgehalt eines Arztes in der DDR (ohne Facharztanerkennung, außerhalb Berlins) liegt bei 900 Mark brutto und erhöht sich stufenweise mit Anzahl der Dienstjahre, Qualifikation und Übernahme von Funktionen.
Ein als Oberarzt tätiger Mediziner in einem kleineren Krankenhaus erhält z. B. nach dem 20. Dienstjahr ein Grundgehalt von 1 350 Mark* (nach vorliegenden Hinweisen erhält ein Facharzt der BRD in vergleichbarer Position 10 000 bis 15 000 DM/Monat.)
* [Fußnote im Original: RKV für die Mitarbeiter in den staatlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens]
Seit 1957 ist keine grundlegende Änderung des Gehaltsgefüges erfolgt, abgesehen von Zuschlägen für Bereitschaften, Dienste und Ähnliches. Gegenwärtig geltende Gehaltsnormative geben darüber hinaus nur eine unzureichende Gewähr, dass fachlich und ideologisch geeignete Kader materiell an der Übernahme von Leitungsfunktionen interessiert sind (bei gleichzeitig eingeschränkter wissenschaftlicher, praktizierender oder chirurgisch-operativer Tätigkeit).
Neben der nur relativ geringen Zahl möglicher Teilnahmen an wissenschaftlichen Veranstaltungen oder Studienaufenthalten in nichtsozialistischen Staaten wird insbesondere bemängelt, dass das zur Verfügung stehende »Bewegungsgeld«8 äußerst gering bemessen sei.
- –
Befürchtungen unter den Ärzten hinsichtlich einer Benachteiligung ihrer Kinder bei der Studienwahl aufgrund ihrer sozialen Herkunft. Zunehmend spielen u. a. Begründungen für das Verlassen der DDR eine Rolle, die sich gegen die sozialistische Erziehungspolitik (z. B. Unvereinbarkeit zwischen eigenen Anschauungen und dem Wehrkunde-Unterricht,9 angebliche Benachteiligung christlich erzogener Kinder) richten.
- –
Zu geringe Spürbarkeit der gesellschaftlichen Anerkennung und Wertschätzung für den Arzt und auch für mittleres medizinisches Personal. Der persönliche Einsatz bei der Versorgung und Betreuung der Patienten, fachliche und wissenschaftliche Leistungen wie auch Engagement für besondere Aufgaben werden zu wenig mit angemessenen Mitteln und Möglichkeiten gewürdigt.
Vorliegende Hinweise und Erkenntnisse bestätigen, dass Orden, Medaillen und andere Auszeichnungen und Ehrungen für verdienstvolle Mitarbeiter des Gesundheitswesens zu wenig vorhanden sind.
Oft werden formal Kapazitätsfragen als Versagungsgründe angegeben.
In weiteren Begründungen für das Verlassen der DDR werden Konflikte in der Ehe, Hinwendungen zu anderen Partnern und damit verbundene Befürchtungen bekannt, diese Konflikte nicht ohne für sie negative Öffentlichkeitswirksamkeit lösen zu können.
Die Entscheidung zum Verlassen der DDR – auch unter den als Begründung aufgeführten, zum Teil existierenden Mängeln und Missständen – war dennoch überwiegend das Ergebnis langfristiger Entschlussfassung.
An der Entschlussfassung zum ungesetzlichen Verlassen der DDR bzw. zum Übersiedlungsversuch durch Ärzte trägt wesentlich eine zielgerichtete Beeinflussung bis hin zur Abwerbung, insbesondere durch ehemalige DDR-Bürger und Kollegen, bei, die in diesem Sinne eine Art »Sogwirkung« hervorrufen.
Dem kommt entgegen, dass Ärzte, die die DDR legal oder ungesetzlich verließen, überwiegend gute Startbedingungen vorfanden bzw. diese für sie organisiert wurden oder sie sich selber geschaffen haben.
Diesbezügliche persönliche »Erfahrungen« werden an Rückverbindungen in der DDR zielgerichtet weitergeleitet.
Bei privaten oder dienstlichen Aufenthalten in nichtsozialistischen Staaten kommt es zu direkten Kontakten mit Fachkollegen, auch mit ehemaligen Kollegen, wobei durch diese vor allem die angeblichen Vorzüge des Kapitalismus (Lebensstandard, fachliche Möglichkeiten, Reisefreizügigkeit, Konsumorientiertheit, westlicher Freiheitsbegriff und anderes mehr) gezielt popularisiert werden.
Begünstigend für eine gezielte Abwerbungstätigkeit wirkt sich aus, dass in der DDR die Bedingungen für anspruchsvolle medizinische Forschungen nur an wenigen Stellen in der notwendigen Weise entwickelt werden konnten, dass das internationale Niveau der medizinischen Forschung nur auf einzelnen Teilgebieten mitbestimmt wird und dass Leistungsbegrenzungen aus den erheblich eingeschränkten Möglichkeiten der Teilnahme an wichtigen internationalen wissenschaftlichen Veranstaltungen resultieren. So waren von den 1985 insgesamt durch 886 Wissenschaftler besuchten 442 wissenschaftlichen Veranstaltungen in nichtsozialistischen Staaten ca. 600 Reisen nur auf der Grundlage privat übermittelter Einladungen bei Übernahme der Kosten für Reise und Aufenthalt durch die Partner möglich.
Aus dieser Praxis resultieren fortwirkend erhebliche begünstigende Bedingungen und ideologische Einflussmöglichkeiten für feindlich tätige Kräfte (bis hin zu massiven Korrumpierungsversuchen).
Bei einer Reihe untersuchter Fälle, vor allem bei jüngeren Kadern, die erstmals in nichtsozialistische Staaten reisten, wurde deutlich, dass sie Blendwirkungen des westlichen Standards unterlagen.
In zahlreichen Fällen des Verlassens der DDR durch Ärzte oder Zahnärzte erfolgt in den ehemaligen Arbeitskollektiven keine klassenmäßige Wertung bzw. Verurteilung.
In anderen Fällen des Verlassens der DDR erfolgt durch die Arbeitskollektive sowie die direkt oder indirekt betroffene Bevölkerung eine Distanzierung.
Die Motive hierfür sind zum Teil aus politischer Überzeugung und Verantwortungsbewusstsein zu sehen. Überwiegend jedoch entstehen die ablehnenden Haltungen aus Befürchtungen vor erwachsenden persönlichen Schwierigkeiten sowie aus der durch die Fluktuation erwachsenden zusätzlichen Belastung für das medizinische Personal bzw. aus der medizinischen Mangelversorgung für die Bevölkerung.
Eine ungesetzlich in Westberlin verbliebene Ärztin des Gesundheitswesens im Kreis Wolgast ([Name 2]) gab z. B. in ihrer Begründung für diesen Schritt die infolge hoher Fluktuation unter medizinischem Personal wachsende arbeitsmäßige Belastung, gepaart mit schlechter Leitungstätigkeit ihres Ärztlichen Direktors, an.
Die Größenordnung der entstehenden Auswirkungen ungesetzlicher Grenzübertritte bzw. von Übersiedlungen ist differenziert einzuschätzen, wobei moralische Wirkungen vorherrschend sind.
Spürbare Auswirkungen entstehen besonders dann, wenn es sich
- –
um Ärzte in leitenden Dienststellungen handelt, insbesondere, weil hier eine starke beispielgebende Wirkung eintritt, wie es z. B. in der Poliklinik des LEW Hennigsdorf aktuell oder im Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose Berlin-Buch in der Vergangenheit der Fall war;
- –
um hochspezialisierte Ärzte handelt bzw. um Ärzte aus Landkreisen mit einem relativ kleinen Versorgungsgrad
handelt.
Die umfangreichen Maßnahmen zur Rückgewinnung bzw. Rückführung von Ärzten hatten bisher nur in sehr wenigen Fällen Erfolg.
Bei der Einbeziehung von Verwandten bei der Rückführung von Ärzten, die die DDR ungesetzlich verließen, wurde in mehreren Fällen festgestellt, dass die Bereitschaft dieser Personen vorgetäuscht war, sie die Straftat bagatellisierten und als persönliche Entscheidung ihres Familienangehörigen akzeptierten. Das ungesetzliche Verlassen der DDR wurde weder als politisches noch als ethisch-moralisches Fehlverhalten bewertet.
Erschwert wurde die Rückgewinnung durch die überwiegend guten Startbedingungen, die die Täter vorfanden bzw. für sie organisiert wurden oder die sie sich selbst geschaffen hatten. Hierbei spielten vorhandene langjährige umfangreiche Verbindungen und Kontakte eine wesentliche Rolle.
Die Zurückdrängung bereits unternommener Übersiedlungsversuche durch Ärzte und andere Hochschulkader gestaltet sich in den meisten Fällen kompliziert, da dem Entschluss, mit derartigen Versuchen in Erscheinung zu treten, in der Regel eine allseitige Abwägung aller Konsequenzen vorausgegangen ist.
Demzufolge sind bei übersiedlungsersuchenden Ärzten und anderen Hochschulkadern häufig schwer beeinflussbare ausgeprägte Erwartungshaltungen hinsichtlich der Lebensbedingungen in kapitalistischen Staaten zu verzeichnen.
Erschwerend für die Rückgewinnung übersiedlungsersuchender Ärzte wirkt auch die relativ breite Anwendung arbeitsrechtlicher Maßnahmen.
Nach dem Stellen von Übersiedlungsersuchen erfolgt oft eine Änderung des Arbeitsrechtsverhältnisses durch die staatlichen Leiter. Bei erreichten Abstandnahmen werden die betreffenden Personen häufig nicht wieder in ihre frühere Funktion bzw. nicht qualifikationsgerecht eingesetzt, was dann zur Lösung des Arbeitsrechtsverhältnisses und zu erneuten Übersiedlungsversuchen führt.
Als weiterer hemmender Faktor für erfolgreiche Rückgewinnungs- oder Rückführungsmaßnahmen wurde erarbeitet, dass ein psychologischer Druck bei den betreffenden Ärzten vorhanden ist, im Falle einer Rückkehr in die DDR oder einer Rücknahme des Übersiedlungsersuchens, bei ihren Kollegen an »Glaubwürdigkeit« zu verlieren und damit mit einem Makel behaftet zu sein.
Zur Zurückdrängung des ungesetzlichen Verlassens der DDR bzw. der Ersuchen auf Übersiedlung nach nichtsozialistischen Staaten und Westberlin sowie zur Festigung der Lage unter den Angehörigen des Gesundheitswesens werden folgende Vorschläge bzw. Empfehlungen unterbreitet:
- –
Zur Gewährleistung der erfolgreichen Verwirklichung der gesundheitspolitischen Ziele des XI. Parteitages10 sollte der Parteieinfluss und die politisch-ideologische Arbeit unter der medizinischen Intelligenz sowie in den Einrichtungen des Gesundheitswesens verstärkt werden.
Dabei kommt es insbesondere darauf an, die Einstellung zur Arbeit im Gesundheitswesen auf der Grundlage eines klaren Bekenntnisses zum sozialistischen Staat und seiner Politik zu festigen und die Motivation der Mitarbeiter des Gesundheitswesens zu stärken, dass sie durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Beitrag für die Stärkung des Sozialismus und die Sicherung des Friedens leisten.
Ausgehend von der Stellung der medizinischen Intelligenz im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess sollten die Ärzte in der Aus- und Weiterbildung verstärkt mit den Errungenschaften der sozialistischen Entwicklung in der DDR vertraut gemacht werden, um auf diesem Wege nachhaltig auf ihre Bewusstseinsentwicklung einzuwirken.
Im Prozess der Ausbildung der Ärzte sollten ihre weltanschaulichen Grundpositionen stärker ausgeprägt werden; vor allem die weltanschauliche Fundierung ihrer ärztlichen Tätigkeit in der sozialistischen Gesellschaft.
- –
Die Tätigkeit der staatlichen Leiter im Gesundheitswesen sollte konsequenter auf die Erfüllung der Anforderungen, die der XI. Parteitag an die staatliche Leitungstätigkeit stellt, ausgerichtet werden.
- –
In Verwirklichung des Prinzips der Einheit von politischer und fachlicher Leitung sollten die staatlichen Leiter im Gesundheitswesen ihre Verantwortung noch konsequenter wahrnehmen, vor allem bei der politisch-ideologischen Erziehung ihrer Mitarbeiter zur Herausbildung einer stärkeren Verbundenheit mit dem sozialistischen Staat sowie der sozialistischen Gesellschaft entsprechender ethisch-moralischer Haltungen in Wahrnehmung ihrer beruflichen Pflichten.
Dabei kommt der Schaffung eines offenen politischen Klimas in den Einrichtungen des Gesundheitswesens eine besondere Bedeutung zu, in der die Politik unserer Partei offensiv diskutiert wird, feindliche Argumente zurückgedrängt werden und politische Heuchelei nicht geduldet wird.
Durch eine wirksame individuelle Arbeit mit den Kadern sollte gewährleistet werden, dass Probleme rechtzeitig erkannt und offensiv gelöst werden, damit sie sich nicht zu Konflikten auswachsen.
- –
Zur wirksamen Unterbindung des ungesetzlichen Verlassens der DDR und zur Zurückdrängung von Übersiedlungsversuchen durch Ärzte und andere Mitarbeiter des Gesundheitswesens sollte eine breite gesellschaftliche Front unter Führung der Parteiorganisationen und durch Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte geschaffen werden. Die Bezirks- und Kreisärzte sowie die Leiter der Gesundheitseinrichtungen sollten ihre differenzierte Verantwortung und ihre Pflichten, die sich aus der Verfügung Nr. 143/83 des Vorsitzenden des Ministerrates ergeben, stärker wahrnehmen.11 Das betrifft vor allem das engere Zusammenwirken mit den Abteilungen Innere Angelegenheiten der örtlichen Räte, die Sicherung einer qualifizierten Gesprächsführung mit Übersiedlungsersuchenden, die Herausarbeitung und Nutzung echter Ansatzpunkte für die Zurückgewinnung und die begründete und politisch kluge sowie differenzierte Anwendung arbeitsrechtlicher Maßnahmen.
- –
Unter Verantwortung des Ministeriums für Gesundheitswesen und des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen sollte jeder Fall des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch Angehörige der medizinischen Intelligenz im kameradschaftlichen Zusammenwirken mit den zuständigen Schutz- und Sicherheitsorganen zur Aufklärung der Ursachen, Motive und begünstigenden Bedingungen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens untersucht sowie erforderliche Maßnahmen festgelegt und kontrolliert werden.
Die Einrichtungen des Gesundheitswesens sollten zur politischen Auswertung von Vorkommnissen des ungesetzlichen Verlassens der DDR durch die vorgenannten Organe wirksam unterstützt werden, um eine Atmosphäre der Verurteilung derartiger Handlungen zu erzeugen.
- –
Entsprechend dem Grundsatz, dass die Gesundheitspolitik nur im Rahmen der Gesamtpolitik zu verwirklichen ist, sollten in den Territorien weitere Reserven mobilisiert werden, um den medizinischen Einrichtungen wirksame Hilfe und Unterstützung bei der Überwindung objektiv vorhandener Mängel und Missstände, insbesondere im baulichen Zustand der Einrichtungen sowie ihrer Ausstattung zu geben.
Darüber hinaus sollte geprüft werden, inwieweit durch differenzierte Maßnahmen Angehörige der medizinischen Intelligenz bei der Lösung persönlicher Probleme stärker und vorrangig unterstützt werden können (Bereitstellung von Wohnraum, Unterstützung Eigenheimbau, Erwerb von Pkw).
- –
Es wird ferner vorgeschlagen zu prüfen, das Kontingent von Reisen in die SFR Jugoslawien, nach Kuba, der SR Vietnam und andere bevorzugte Reiseländer für Angehörige der medizinischen Intelligenz zweckgebunden zu erweitern.
Darüber hinaus wäre zu prüfen, die dem Minister für Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich das Auszeichnungskontingent für Mitarbeiter des Gesundheitswesens, zu erhöhen zur Würdigung von Leistungen und als Ausdruck der gesellschaftlichen Wertschätzung der Tätigkeit im Gesundheitswesen.
- –
Es wird für zweckmäßig erachtet, dass der Minister für Gesundheitswesen für den gesamten medizinischen Bereich (staatliches Gesundheitswesen, Bereich Medizin des MHF, medizinischer Bereich der Akademie der Wissenschaften) eine mit dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten abgestimmte Konzeption zur Gestaltung der Beziehungen mit nichtsozialistischen Staaten und Westberlin auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet, einschließlich der internationalen Tätigkeit der medizinisch-wissenschaftlichen Gesellschaften erarbeitet.
In diesem Zusammenhang sollte gewährleistet werden, dass die Reisetätigkeit von Ärzten und medizinischen Wissenschaftlern auf sogenannte Gasteinladungen weitestgehend reduziert wird, um die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten gegnerischer Kräfte zurückzudrängen.
- –
Durch den Minister für Gesundheitswesen sollte weiter gewährleistet werden, dass die in medizinischen Einrichtungen vorhandene hochwertige Medizintechnik, unabhängig davon, ob sie dem Ministerium für Gesundheitswesen, dem Hochschulwesen oder der Akademie der Wissenschaften der DDR zugeordnet sind, effektiv für die medizinische Betreuung der Bevölkerung eingesetzt wird.
- –
Zur langfristigen Sicherung der quantitativen und qualitativen Versorgung des Gesundheitswesens mit modernen medizintechnischen Erzeugnissen aus eigener Produktion wird vorgeschlagen, eine Arbeitsgruppe beim Vorsitzenden des Ministerrates unter Beteiligung von Vertretern der zuständigen Industrieministerien und der Staatlichen Plankommission zu bilden, die entsprechende Lösungsvorschläge erarbeitet.
Die Zielstellung sollte darin bestehen, konkret herauszuarbeiten, welche Geräte bis wann für eine moderne Diagnostik und Therapie zu entwickeln sind, um eine NSW-Importablösung zu gewährleisten.
Anlage zur Information Nr. 441/86
Übersicht zu ungesetzlichen Grenzübertritten, Übersiedlungsversuchen und Übersiedlungen (Zeitraum vom 1. Januar 1983 bis 31. August 1986) von Ärzten/Zahnärzten aus dem staatlichen Gesundheitswesen sowie den Bereichen Medizin des Hoch- und Fachschulwesens der DDR
Vollendete und versuchte ungesetzliche Grenzübertritte
In der Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. August 1986 haben insgesamt 174 Ärzte, darunter 33 Zahnärzte aus dem staatlichen Gesundheitswesen (138 Personen) und dem Bereich Medizin des Hoch- und Fachschulwesens (36 Personen) die DDR ungesetzlich verlassen.
Dazu folgende Aufgliederung:
- –
1983 = 50 Ärzte, darunter 9 Zahnärzte,
- –
1984 = 39 Ärzte, darunter 8 Zahnärzte,
- –
1985 = 36 Ärzte, darunter 5 Zahnärzte,
- –
1986 (bis 31.8.) = 49 Ärzte, darunter 11 Zahnärzte.
Bei weiteren 41 Ärzten, darunter 8 Zahnärzten, wurde das ungesetzliche Verlassen der DDR verhindert.
Das ungesetzliche Verlassen der DDR erfolgte überwiegend unter Missbrauch von genehmigten Reisen nach dem nichtsozialistischen Ausland, vorwiegend nach der BRD und Westberlin. Insgesamt verließen 135 Ärzte (78 %), darunter 22 Zahnärzte, auf diese Art und Weise ungesetzlich die DDR.
Im Einzelnen betrifft das den Missbrauch von
[Anlass der Reisen] | Personen |
|---|---|
Reisen in dringenden Familienangelegenheiten | 84 |
Dienstreisen | 31 |
Touristenreisen | 20 |
Die Nichtrückkehr von genehmigten Reisen in dringenden Familienangelegenheiten durch 84 Ärzte/Zahnärzte erfolgte überwiegend unter Missbrauch der großzügigen Genehmigungspraxis, vor allem der erweiterten Reisemöglichkeiten für derartige Reisen.
(Seit Inkrafttreten der erweiterten Reisemöglichkeiten am 1. Februar 1986 bis 31. August 1986 betrifft das 31 Ärzte, darunter 10 Zahnärzte.)
Weitere 20 Personen missbrauchten das Territorium anderer sozialistischer Staaten zum ungesetzlichen Verlassen der DDR, 15 Personen wurden ausgeschleust und vier Personen überwanden die Staatsgrenze der DDR nach der BRD/Westberlin bzw. auf See.
Unter den insgesamt 215 Humanmedizinern, die die DDR ungesetzlich verlassen haben bzw. bei denen das ungesetzliche Verlassen verhindert wurde, befinden sich 74 Allgemeinmediziner, 41 Zahnärzte, 10 Kinderärzte, 10 Augenärzte, 10 Chirurgen und 8 Gynäkologen.
Insgesamt 56 Ärzte übten in medizinischen Einrichtungen bzw. Hochschuleinrichtungen unterschiedliche Leitungsfunktionen aus, wie z. B. Ärztliche Direktoren, stellvertretende ärztliche Direktoren, Chefärzte, Klinikdirektoren, Oberärzte und Dozenten.
Bezogen auf die Altersstruktur gehört die überwiegende Anzahl (80 %) der Altersgruppen von 30 bis unter 40 Jahren und von 40 bis zu 50 Jahren an.
14 Personen waren Mitglied der SED, vier gehörten der CDU und zwei Personen der LDPD an.
Ein Teil der Ärzte war vor dem ungesetzlichen Verlassen der DDR in solchen profilierten Einrichtungen tätig wie: Forschungsinstitut für Lungenkrankheiten und Tuberkulose Berlin-Buch, Humboldt-Universität Berlin, Krankenhaus Berlin-Friedrichshain, Bezirkskrankenhäuser Karl-Marx-Stadt12 und Zwickau, Medizinische Akademie Erfurt, Karl-Marx-Universität Leipzig und Martin-Luther-Universität Halle.
Übersiedlungsversuche und Übersiedlungen
Mit Stand vom 31. August 1986 liegen bei den zuständigen staatlichen Organen der DDR Ersuchen um Übersiedlung nach dem nichtsozialistischen Ausland, überwiegend in die BRD und Westberlin, von insgesamt 754 Ärzten, darunter 276 Zahnärzten aus dem staatlichen Gesundheitswesen (663 Ärzte, darunter 266 Zahnärzte) und dem Bereich Medizin des Hoch- und Fachschulwesens (91 Ärzte, darunter 10 Zahnärzte) vor.
Unter den übersiedlungsersuchenden Ärzten befinden sich 276 Zahnärzte, 142 Allgemeinmediziner, 51 Chirurgen, 42 Kinderärzte, 37 Internisten, 27 Neurologen, 25 Gynäkologen, 23 Augenärzte, 21 Anästhesisten, 18 HNO-Ärzte und 17 Orthopäden.
Die Altersstruktur dieser Personen gliedert sich wie folgt auf:
[Alter] | Personen |
|---|---|
unter 25 Jahre | 3 |
25 bis unter 40 Jahre | 437 |
40 bis unter 65 bzw. 60 Jahre | 314 |
30 Personen waren Mitglied der SED und zehn gehörten befreundeten Parteien an.
Konzentrationen von übersiedlungsersuchenden Ärzten/Zahnärzten sind in größeren medizinischen Einrichtungen, einschließlich Hochschuleinrichtungen festzustellen.
Das betrifft z. B. Medizinische Akademie Erfurt, Karl-Marx-Universität Leipzig, Klinikum Buch, Bezirkskrankenhaus Potsdam, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Medizinische Akademie Dresden, Humboldt-Universität zu Berlin sowie die Martin-Luther-Universität Halle.
Die überwiegende Anzahl der übersiedlungsersuchenden Ärzte hat ihren Hauptwohnsitz in den Bezirken Dresden (126 Ärzte, darunter 60 Zahnärzte), Berlin (101/39), Halle (81/32), Erfurt (78/27), Leipzig (73/28), Karl-Marx-Stadt (53/18) und Rostock (49/15).
Des Weiteren wurden im Zeitraum 1. Januar 1983 bis 31. August 1986 insgesamt 661 Ärzte, darunter 170 Zahnärzte, nach dem nichtsozialistischen Ausland, insbesondere nach der BRD und Westberlin mit staatlicher Genehmigung übergesiedelt.
Von diesen Personen waren 586 Ärzte, darunter 162 Zahnärzte im staatlichen Gesundheitswesen und 75 Ärzte, darunter acht Zahnärzte im Bereich Medizin des Hoch- und Fachschulwesens tätig.
Eine Aufgliederung der übergesiedelten Personen nach Jahren ergibt:
[Jahr] | Ärzte | darunter Zahnärzte |
|---|---|---|
1983 | 57 | 11 |
1984 | 289 | 67 |
1985 | 201 | 61 |
1986 (bis 31.8.) | 114 | 31 |
Nach der Altersstruktur handelt es sich auch hier vorwiegend um erfahrene Ärzte und Zahnärzte:
[Alter] | Personen |
|---|---|
unter 25 Jahre | 1 |
25 bis unter 40 Jahre | 301 |
40 bis unter 65 bzw. 60 Jahre | 359 |
Unter den übergesiedelten Ärzten/Zahnärzten befinden sich 22 ehemalige Mitglieder der SED sowie 13 Angehörige befreundeter Parteien.
Entsprechend den medizinischen Fachrichtungen ist insbesondere zu verweisen auf übergesiedelte Allgemeinmediziner (172 Personen), Zahnärzte (170), Internisten (55), Kinderärzte (37), Chirurgen (36), Gynäkologen (31), Neurologen (31), Anästhesisten (24) und Augenärzte (21).
Bezogen auf die ehemalige Tätigkeit dieser Ärzte/Zahnärzte in medizinischen Einrichtungen sowie Hochschuleinrichtungen der DDR ergeben sich zu den bereits angeführten Objekten, wo sich übersiedlungsersuchende Ärzte/Zahnärzte konzentrieren, keine wesentlichen Abweichungen.
Territoriale Schwerpunkte für im Zeitraum 1. Januar 1983 bis 31. August 1986 übergesiedelte Ärzte und Zahnärzte bilden die Bezirke Karl-Marx-Stadt (101 Ärzte, darunter 27 Zahnärzte), Berlin (99/29), Dresden (96/29), Halle (71/22), Erfurt (58/11), Potsdam (46/6), Leipzig (41/10), Gera (36/7) und Rostock (31/4).
Seit Inkrafttreten der Verordnung des Ministerrates der DDR vom 15. September 1983 zur Regelung von Fragen der Familienzusammenführung und der Eheschließung zwischen Bürgern der DDR und Ausländern erfolgte darüber hinaus auf der Grundlage dieser Verordnung im Zeitraum vom 15. Oktober 1983 bis 31. August 1986 die Übersiedlung von 31 Ärzten/Zahnärzten nach der BRD und Westberlin.13