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Fragen der Sicherung der Brennstoff- und Energieversorgung

5. April 1986
Information Nr. 140/86 über einige Grundfragen der mittel- und langfristigen Sicherung der Brennstoff- und Energieversorgung der DDR

Im Entwurf zum Fünfjahrplan 1986 bis 1990 zur Deckung des Grundbedarfes an Rohbraunkohle ist eine Steigerung des Förderniveaus auf 330 bis 335 Mio. t bei Sicherung einer Leistungsreserve von ca. neun Mio. t im Jahre 1990 ohne Berücksichtigung der volkswirtschaftlichen Nutzung von Verfahren zur Kohleverflüssigung vorgesehen.

Der Zuwachs bei der Rohbraunkohleförderung resultiert vor allem aus der notwendigen Inbetriebnahme weiterer Kapazitäten für die Elektroenergie- und Wärmeerzeugung (Kraftwerk Jänschwalde, Heizwerke und Heizkraftwerke) und der Steigerung der Braunkohlebrikett- und Kohlenstaubproduktion. Das Förderniveau von 330 bis 335 Mio. t Rohbraunkohle kann entsprechend der nachgewiesenen industriell nutzbaren Vorräte bis zum Jahre 2000 und darüber hinaus beibehalten werden, stellt aber unter Beachtung der komplizierter werdenden geologischen und hydrologischen Bedingungen an die Investitionskraft der Volkswirtschaft, die Entwicklung und Anwendung neuer Technologien der Kohleförderung hohe Anforderungen und erfordert umfangreiche Maßnahmen u. a. zur Devastierung und zum Umweltschutz.

Den zentralen Beschlüssen liegt zugrunde, die Deckung des Zuwachses für den Elektroenergiebedarf unter Beachtung des möglichen Aufkommens an einheimischen Energieträgern (Rohbraunkohle, eigenes Erdgas) nach dem Endausbau des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde im Jahre 1988 künftig ausschließlich auf der Basis der Kernenergie zu realisieren.

Mit dem verstärkten Kernenergieeinsatz werde gleichzeitig ein bedeutender Beitrag zur Begrenzung und Reduzierung der Umweltbelastung (Schwefeldioxid- und Stickoxidemissionen, Inanspruchnahme land- und forstwirtschaftlicher Nutzflächen, Auswirkungen auf den Grundwasserhaushalt) geleistet.1

Das Kernenergieprogramm (Beschluss des Präsidiums des Ministerrates der DDR vom 15. Dezember 1983)2 sowie das auf der 41. Außerordentlichen Tagung des RGW angenommene »Komplexprogramm des wissenschaftlich-technischen Fortschritts der Mitgliedsländer des RGW bis zum Jahre 2000«3 orientieren demzufolge auf den verstärkten Ausbau der kernenergetischen Basis zur Elektroenergie- und Wärmeerzeugung.

Unter den gegebenen Bedingungen der auf lange Sicht begrenzten organischen Brennstoffe stellt die Kernenergie die einzigste [sic!] alternative Energiequelle zur Erhöhung der Effektivität und Zuverlässigkeit des Verbrauches defizitärer organischer Brennstoffe (Kohle, Erdöl, Erdgas) und zur Verbesserung des Umweltschutzes dar und schafft wichtige Voraussetzungen für die Erschließung einer praktisch unerschöpflichen Energiequelle auf der Basis der in Entwicklung befindlichen gesteuerten Kernfusion.

Aus der forcierten Errichtung der Kernkraftwerke in der DDR nach 1990 ergeben sich allerdings – resultierend aus dem geforderten Sicherheitsstandard und der notwendigen Bereitstellung von Kernbrennstoff für den Bedarf der DDR – steigende Import- und Investitionsbelastungen.

Ein hoher Anteil der Importbelastungen ergibt sich nach Expertenmeinungen aus dem für den laufenden Betrieb der Kernkraftwerke während ihrer gesamten Lebensdauer ständig bereitzustellenden Kernbrennstoff aus der UdSSR. Unter Beachtung der zunehmenden Erschöpfung der Uranerzlagerstätten der SDAG Wismut4 einerseits und des andererseits langfristig zu sichernden hohen Uranbrennstoffbedarfs der Kernkraftwerke sind deshalb nach Auffassung von Experten tiefgründige Untersuchungen und Entscheidungen zur perspektivischen Entwicklung der SDAG Wismut erforderlich.

So haben von diesen Personen vorgenommene Berechnungen ergeben, dass in Realisierung des Beschlusses des Kernenergieprogrammes der DDR in der Zeit von 1996 bis 2000 bereits 30 % mehr Natururan zur Bereitstellung von Kernbrennstoff für Kernkraftwerke der DDR erforderlich wird, als das in diesem Zeitraum mögliche Förderaufkommen an Natururan der SDAG Wismut beträgt. Unter diesen Bedingungen werden bei zunehmender Erschöpfung der eigenen Uranerzvorkommen zu diesem Zeitpunkt die Aufwendungen für den Import von Kernbrennstoffkassetten aus der UdSSR sprunghaft anwachsen. (Während der Kaufpreis für eine Kernbrennstoffkassette gegenwärtig zu 56 % durch die Lieferung von Natururan aus der DDR gedeckt wird, verringert sich dieser kostendeckende Anteil bis zum Jahre 2000 und danach in erheblichem Umfang.)

Zur bedarfsgerechten Versorgung der Wirtschaft und Bevölkerung mit Elektroenergie unter allen Bedingungen ist für den Zeitraum bis zum Jahre 2000 ein Bedarfszuwachs/Jahr von 2,0 bis 2,4 % vorgesehen.

Diese Zuwachsrate liegt deutlich unter der vorangegangener Fünfjahrplanzeiträume und stellt die untere Grenze zur weiteren Verwirklichung der ökonomischen Strategie der SED dar. Diese geplante Entwicklung des Elektroenergiebedarfes setzt jedoch voraus,

  • dass eine konsequente planmäßige Realisierung der Kapazitätszugänge in den Großkraftwerken gewährleistet wird,

  • Einsparungseffekte durch Maßnahmen der rationellen Energieanwendung in Höhe von 80 Mio. t Rohbraunkohle-Äquivalent 1990 bezogen auf 1985 erzielt werden können und

  • die durchschnittliche Verfügbarkeit der bestehenden Kraftwerksanlagen durch vorbeugende Instandhaltung, Modernisierung und Rekonstruktion erhöht wird.

Der geplante Bedarfszuwachs erfordert die Errichtung von 2 913 MW Kraftwerkskapazitäten bis 1990, insbesondere durch die Baustufen III und IV im Kernkraftwerk »Bruno Leuschner« Greifswald, [Bezirk] Rostock, und die Blöcke 5 und 6 im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde.

Im Zeitraum 1991 bis 2000 müssen dann ca. 8000 MW im Kernkraftwerk Stendal, im Kernkraftwerk 4 und durch den Ersatzneubau von braunkohlegefeuerten Kraftwerksblöcken bei gleichzeitiger Leistungssteigerung installiert werden.

Nach vorliegenden Erkenntnissen traten bei der Errichtung dieser Kapazitäten bis 1985 ständig und im Laufe der Zeit nicht mehr aufholbare Rückstände im Bau- und Montageablauf ein, sodass mit Beschluss des Präsidiums des Ministerrates der DDR (5. September 1985)5 eine Neufestlegung der Inbetriebnahme-Termine mit Verschiebungen bis zu zehn Monaten gegenüber den bisher vorgesehenen Eckterminen in den Baustufen III und IV im KKW Greifswald, den Kraftwerksblöcken 5 und 6 im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde erfolgen mussten. Danach eingetretene Rückstände im Bau- und Montageablauf gefährden die beschlossenen Inbetriebnahme-Termine erneut.

Diese Verzögerungen entstanden hauptsächlich, da die Entwicklung des Leistungsvermögens des Kraftwerksanlagenbaues und seiner Kooperationspartner, insbesondere in den Bereichen des Bauwesens und der elektrotechnischen-elektronischen Industrie, bisher nicht den Anforderungen zur Gewährleistung des planmäßigen Ausbaus der energetischen Basis entsprach.

Die Sicherung der Elektroenergieversorgung der Wirtschaft und Bevölkerung erfordert deshalb neben den genannten Kapazitätserweiterungen bis zum Jahre 2000 die

  • Erhaltung der vorhandenen, teilweise verschlissenen Kraftwerkskapazitäten, davon ca. 17 000 MW auf Braunkohlebasis auf lange Sicht durch aufeinander abgestimmte Maßnahmen der Instandhaltung, Modernisierung und Rekonstruktion einschließlich Leistungssteigerung,

  • Weiterführung von Rekonstruktionen an Anlagen in den vorhandenen Kernkraftwerken, insbesondere im Zusammenhang mit der ständig zu gewährleistenden nuklearen Sicherheit und

  • die Erhaltung, Rekonstruktion und Erweiterung der elektrischen Netze sowie die Erhöhung der Standhaftigkeit und Zuverlässigkeit des Elektroenergieverbundbetriebes.

Ausgehend von dieser erforderlichen Entwicklung der Kapazitäten der Elektroenergieerzeugung und -Übertragung machen nach Expertenschätzungen die materiell-technischen Anforderungen zum Ausbau, zur Instandhaltung, Modernisierung und Rekonstruktion eine Kapazitätserweiterung in den Bereichen des Maschinenbaues, der Elektrotechnik und Elektronik sowie des Bauwesens bereits im Zeitraum bis 1990 in erheblichem Umfang notwendig.

Durchgeführte Untersuchungen ergaben beispielsweise, dass zur Sicherung einer bedarfsgerechten Elektroenergieversorgung eine Profilierung bzw. Neustrukturierung in vorgenannten Industriezweigen notwendig ist, um in wesentlichen Positionen die erforderliche zwei- bis dreifache Leistungssteigerung zu gewährleisten.

Durch Experten wird nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen, dazu die Entscheidungen und Voraussetzungen noch 1986 zu treffen bzw. zu schaffen, da sonst die Deckung des Elektroenergiebedarfes im Zeitraum 1990 bis 2000 nicht mehr gesichert werden könne.

Im Zusammenhang mit der mittel- und langfristigen Sicherung der Brennstoff- und Energieversorgung der DDR vertraten Experten die Forderung, darüber hinaus komplexe Untersuchungen zur Herbeiführung zentraler Entscheidungen über die verstärkte Beteiligung der DDR an der Spezialisierung und Produktion von Kernkraftwerkshaupt- und -Nebenausrüstungen im RGW und zur Errichtung einer Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannten Kernbrennstoff im RGW mit Beteiligung der DDR in absehbaren Zeiträumen unbedingt durchzuführen.

Im Interesse der Gewährleistung einer bedarfsgerechten Brennstoff- und Energieversorgung auf lange Sicht wird deshalb vorgeschlagen, unter Beachtung der dafür notwendigen hohen volkswirtschaftlichen Aufwendungen (ca. 25 % Anteil an Gesamtinvestitionen der Volkswirtschaft), der langfristigen Vorbereitungs- und Realisierungszeiträume für entscheidende Kapazitätszugänge (z. B. ca. zehn Jahre und mehr für Kernkraftwerke) und der Durchsetzung volkswirtschaftlich-strategischer Konzeptionen zur Nutzung einheimischer Roh- und Brennstoffressourcen solche Festlegungen zu treffen, die einen größeren zeitlichen Vorlauf für die Herbeiführung grundsätzlicher zentraler Entscheidungen ermöglichen.

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    10. April 1986
    Information Nr. 162/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 31. März 1986 bis 6. April 1986

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    2. April 1986
    Information Nr. 144/86 über die Einreisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin über die Grenzübergangsstellen der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum Ostern 1986