Friedensseminar »Frieden konkret IV« in Stendal (1)
21. Februar 1986
Information Nr. 93/86 über das geplante sogenannte Friedensseminars von »Friedenskreisen« der evangelischen Kirchen in der DDR vom 28. Februar bis 2. März 1986 in Stendal, [Bezirk] Magdeburg
Nach dem MfS vorliegenden internen Hinweisen ist in der Zeit vom 28. Februar bis 2. März 1986 im Dom bzw. in Räumen des Domstiftes in Stendal, Bezirk Magdeburg, in Fortführung gleichartiger Veranstaltungen (1983 – Berlin, 1984 – Eisenach, 1985 – Schwerin) die Durchführung eines erneuten zentralen »Friedensseminars« von »Friedenskreisen« der evangelischen Kirchen in der DDR vorgesehen. Das Thema dieser unter der Bezeichnung »Konkret für den Frieden IV« stehenden Veranstaltung lautet: »Frieden leben« – »Der Friede Gottes, der höher ist als menschliche Vernunft – der leite uns zu leben«.1
Die bisherigen »Friedensseminare« wurden von Inspiratoren/Organisatoren politischer Untergrundtätigkeit für politisch-negative Zielstellungen missbraucht, insbesondere hinsichtlich der Schaffung einer sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung in der DDR. Dabei wurden aktive Bestrebungen deutlich, die bestehenden »Basisgruppen« (u. a. »Friedens«- und »Ökologiekreise«) »vernetzend« zusammenzuführen, den Prozess der Zentralisierung, der Schaffung fester Organisationsstrukturen und des Ausbaus des Kommunikationssystems fortzusetzen und längerfristige konzeptionelle und für alle »Friedenskreise« verbindliche Festlegungen zu treffen.
Die inhaltliche Vorbereitung des 4. zentralen »Friedensseminars« erfolgte langfristig durch den auf dem »Friedensseminar« im Jahre 1985 berufenen »Fortsetzungsausschuss«, dem Personen aus den evangelischen Landeskirchen sowie aus nichtkirchlichen Bereichen angehören, darunter der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Becker/Berlin,2 Rechtsanwalt Schnur/Rostock3 sowie die hinlänglich bekannten Exponenten politischer Untergrundtätigkeit Bärbel Bohley4 und Vera Wollenberger.5
Der wegen seiner fortgesetzten negativen Aktivitäten bekannte Landesjugendpfarrer Stauss/Magdeburg6 wurde als Beauftragter der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in die Arbeit des Fortsetzungsausschusses einbezogen, nachdem Bischof Dr. Demke/Magdeburg7 und der Gemeindekirchenrat von Stendal ihre Zustimmung zur Durchführung der genannten Veranstaltung erteilten.
Zu Inhalt und Ablauf des geplanten »Friedensseminars« wurde dem MfS intern bekannt:
Der »Fortsetzungsausschuss« erwartet die Teilnahme von ca. 200 Personen aus den acht Gliedkirchen des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR; zahlenmäßig aufgeschlüsselt nach deren Größe. Durch den Veranstalter wurden erneut über 100 personengebundene Einladungen verschickt. Zusagen zur Teilnahme sollen bereits vorliegen von hinlänglich bekannten feindlich-negativen Kräften wie den Pfarrern Eppelmann/Berlin8 und Meckel/Vipperow,9 von Bärbel Bohley, Wolfgang Templin10 und Ralf Hirsch/11 alle Berlin, sowie von Heiko Lietz/Güstrow.12
Die Veranstaltung soll vorwiegend in Form sogenannter Gruppenarbeit in fünf Themengruppen erfolgen:
- 1.
»Problemzusammenhang Gerechtigkeit – Frieden – Umwelt«
- 2.
»Zeichenhaftes Handeln – politisches Handeln«
- 3.
»Verhältnis Christen – Nichtchristen«
- 4.
»Spiritualität und Friedensarbeit – Spiritualität der Friedensarbeit?«
- 5.
»Konziliarer Prozess«.13
Nach weiter vorliegenden internen Hinweisen wurden durch feindlich-negative Kräfte in der DDR akkreditierte Mitarbeiter diplomatischer Vertretungen sowie Korrespondenten aus nichtsozialistischen Staaten über das Stattfinden der Veranstaltung informiert.
Aus kirchenpolitischen Gründen, insbesondere im Zusammenhang mit der auf der Konstituierenden Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (31. Januar bis 2. Februar 1986 in Berlin)14 erfolgten Wahl von Bischof Dr. Demke zum stellvertretenden Vorsitzenden der Konferenz Evangelischer Kirchenleitungen in der DDR,15 sollte der Durchführung dieses »Friedensseminars« zugestimmt werden. Ein Verbot würde als Desavouierung des neugewählten Vorstandes des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR angesehen und sich störend auf den innerkirchlichen Differenzierungsprozess auswirken.
Zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs des geplanten »Friedensseminars« und mit dem Ziel, das religiöse Anliegen dieser Veranstaltung zu wahren und das kirchlich motivierte Friedensengagement zu verdeutlichen, wurden langfristig geeignete differenzierte Maßnahmen eingeleitet und durchgeführt. So wurden Gespräche geführt mit Bischof Dr. Demke und Oberkonsistorialrat Schultze/Magdeburg16 sowie mit Propst Schmidt/Stendal,17 denen die staatliche Erwartungshaltung mitgeteilt wurde. Sie zeigten sich den Argumenten und erhobenen Forderungen zugänglich, erklärten, sich ihrer Verantwortung als Gastgeber bewusst zu sein und letztlich durch persönliche Anwesenheit darauf einzuwirken, dass das »Friedensseminar« einen kirchlich geprägten Charakter erhalten werde.
Bischof Dr. Demke äußerte, er werde darauf Einfluss nehmen, dass keine das Verhältnis Staat – Kirche belastenden politischen Provokationen »unterschoben« würden.
Das »Friedensseminar« könne seines Erachtens an den Erklärungen Gorbatschows18 nicht vorbeigehen.19
Auf der Kirchenleitungssitzung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen am 14. Januar 1986 wurde festgelegt, dass Bischof Dr. Demke und Konsistorialpräsident Kramer20 am »Friedensseminar« teilnehmen und außerkirchliche Pressevertreter nicht zugelassen werden. Vertretern der Presseabteilung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und des Evangelischen Nachrichtendienstes der DDR (ENA)/Berlin wird die Teilnahme als mitarbeitende Gäste gestattet.
Durch das MfS werden im Zusammenwirken mit den zuständigen staatlichen Organen und unter Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte weitere geeignete Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs des »Friedensseminars« durchgeführt.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 93/86
Tagesablaufplan
28.2.1986, Freitag
15.00 Uhr Anmeldung (Dom, Hallstraße 28)
18.00 Uhr Abendbrot
19.30 Uhr Eröffnung der Tagung, Berichte/Begegnungen/Informationen
21.15 Uhr Tagesschluss
1.3.1986, Sonnabend
8.45 Uhr Referat »Gedanken gegen die Resignation«
10.30 Uhr Gruppenarbeit
12.45 Uhr Mittagsgebet im Dom
13.00 Uhr Mittagessen
14.00 Uhr Referat »Frieden leben«
15.00 Uhr Kaffeetrinken
15.30 Uhr Gruppenarbeit
18.00 Uhr Abendbrot
19.30 Uhr Plenum im Cordatussaal
21.00 Uhr Abendveranstaltung im Cordatussaal
2.3.1986, Sonntag
9.00 Uhr Plenum-Auswertung und Diskussion über die Fortsetzung der Arbeit
11.00 Uhr Gottesdienst im Dom
ab 12.30 Uhr Abreise