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Friedenswerkstatt 1986 in der Erlöserkirche

2. Juli 1986
Information Nr. 313/86 über die Durchführung der »Friedenswerkstatt 1986« am 29. Juni 1986 in Berlin-Lichtenberg

Am 29. Juni 1986 wurde in Verantwortung der Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg und auf dem Kirchengelände die »Friedenswerkstatt 1986« unter dem Thema »Frieden und Gerechtigkeit« durchgeführt (Veranstaltungen analogen Charakters finden seit dem Jahre 1982 jährlich einmal in der Erlöserkirche in Berlin-Lichtenberg statt und orientieren sich vorrangig auf einen jugendlichen Teilnehmerkreis).1

Die »Friedenswerkstatt 1986« wurde erneut durch eine seit November 1985 tätige Gruppe vorbereitet, die maßgeblich durch solche hinlänglich bekannten reaktionären kirchlichen Kräfte wie Pfarrer Eppelmann,2 Pfarrer Pahnke3 und Pfarrer Bickhardt4 (alle Berlin) beeinflusst wurde. Letztgenannte fungierten als Sprecher und Verbindungspersonen zur Kirchenleitung.

Mit dem Ziel, den politischen Missbrauch dieser Veranstaltung durch feindlich-negative Kräfte und eine mögliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vorbeugend zu verhindern, wurden von den zuständigen staatlichen Organen vielfältige abgestimmte Maßnahmen realisiert, darunter ein Gespräch des Stellvertreters des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der DDR für Inneres, Genossen Hoffmann,5 mit Generalsuperintendent Krusche6 und Oberkonsistorialrat Giering7 (Bischof Forck8 hatte die Einladung zu diesem Gespräch mit der Begründung abgelehnt, seine Gesprächsebene sei ausschließlich der Oberbürgermeister). Genosse Hoffmann verwies in diesem Gespräch auf die Verantwortung der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg für die Wahrung des ausschließlich religiösen Charakters und die Unterbindung des politischen Missbrauchs der Veranstaltung. Er forderte insbesondere die Einleitung wirksamer Maßnahmen zur Verhinderung des Auslegens von Druckerzeugnissen politisch negativen Inhalts und der Durchführung von Unterschriftensammlungen zu Eingaben provokatorisch-demonstrativen Charakters.

Generalsuperintendent Krusche betonte, dass seitens der Kirchenleitung bereits im Vorfeld der Veranstaltung einige Aktivitäten »eliminiert« worden seien. Er erachte es im Zusammenhang mit dem für 1987 geplanten Kirchentag der Landeskirche9 als notwendig, ein »politisches Gespür« für das Machbare bei derartigen Veranstaltungen zu entwickeln. Man wolle deshalb prinzipiell gegen mögliche Aktivitäten westlicher Fernsehjournalisten und gegen Unterschriftensammlungen vorgehen.

Entsprechend ihren Zusagen hielten sich Generalsuperintendent Krusche, der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Becker,10 und weitere zwei Mitglieder der Kirchenleitung am 29. Juni 1986 im Gelände der Erlöserkirche auf. Ihre Einflussnahme auf den Ablauf der Veranstaltung war jedoch durch Inkonsequenz und Unentschlossenheit gekennzeichnet. Erst auf entschiedenes Drängen des Sektorenleiters für Kirchenfragen im Magistrat der Hauptstadt der DDR hin nahm Generalsuperintendent Krusche Einfluss auf die Unterbindung von Unterschriftensammlungen sowie auf die Beseitigung von Gestaltungsmitteln mit politisch negativen Aussagen.

Insgesamt ist festzustellen, dass solche Exponenten politischer Untergrundtätigkeit, wie Pfarrer Eppelmann, Ralf Hirsch,11 Wolfgang Templin,12 Bärbel Bohley13 sowie weitere Vertreter feindlich-negativer Gruppierungen aus der Hauptstadt der DDR Inhalt und Verlauf der »Friedenswerkstatt 1986« weitgehend bestimmten. Sie nutzten diese Zusammenkunft in kirchlichen Einrichtungen erneut, um ihre hinreichend bekannten feindlichen Positionen zur Friedens-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie zur Informations- und Energiepolitik und zu Fragen der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt einschließlich die in diesem Sinne verfassten Pamphlete vor einem größeren Teilnehmerkreis zu propagieren.

Darüber hinaus ließ das Verhalten einiger Exponenten politischer Untergrundtätigkeit im Zusammenhang mit dem Auftreten von Vertretern der Kirchenleitung und progressiven Kräften der Christlichen Friedenskonferenz (CFK)14 während der »Friedenswerkstatt 1986« eine zunehmende Bereitschaft zur Konfrontation mit der Kirchenleitung und den Vertretern des CFK erkennen.

Der politische Missbrauch der »Friedenswerkstatt 1986« widerspiegelte sich insbesondere darin, dass

  • geführte Gespräche, Diskussionen von hinlänglich bekannten feindlich-negativen Kräften, Auftritte von sogenannten Liedermachern sowie zahlreiche Druckerzeugnisse und Gestaltungsmittel zum Teil offene Angriffe gegen die Politik der Partei und des Staates bzw. gegen gesellschaftliche Teilbereiche enthielten,

  • Unterschriften für Eingaben provokatorisch-demonstrativen Charakters gesammelt wurden,

  • zahlreiche Vertreter sogenannter Basisgruppen erneut entsprechende Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Erläuterung ihrer Aktivitäten (vor allem an den Ständen im Außengelände der Erlöserkirche) nutzten.

Die Beteiligung zeigte analog der Vorjahre eine weiter rückläufige Tendenz. Nach vorliegenden Hinweisen nahmen an den unterschiedlichsten Veranstaltungen ca. 1 300 Personen (1985 ca. 1 800) teil. Die Mehrzahl der Besucher war im Alter zwischen 20 und 35 Jahren, darunter befand sich eine Vielzahl von Familien mit Kindern.

Festgestellt wurde die zeitweilige Anwesenheit eines Mitarbeiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, von Mitarbeitern der in der DDR akkreditierten Auslandsvertretungen Großbritanniens und Japans, Besuchern aus der BRD, den USA und Hollands sowie der in der DDR akkreditierten Journalisten Jennerjahn/dpa15 und Rein/ARD-Hörfunk.16

(Bereits in den Abendnachrichten des »Senders Freies Berlin« am 29. Juni 1986 wurde über die Durchführung der »Friedenswerkstatt 1986« informiert.)

Einige beachtenswerte Hinweise zum Verlauf der »Friedenswerkstatt 1986«:

Der Ablauf entsprach dem Vorgehen vorangegangener Jahre und zielte auf die Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit ab. Wie in den Vorjahren wurde die »Friedenswerkstatt 1986« mit dem Ablegen eines Blumengebindes an dem in unmittelbarer Nähe der Erlöserkirche befindlichen sowjetischen Ehrenmal eingeleitet.

In einer vor 25 Personen gehaltenen kurzen Andacht betonte Pfarrer Pahnke/Berlin, die geehrten Opfer seien Mahnung dafür, dass es nie wieder Krieg geben dürfe. Auch heute noch gebe es Ungerechtigkeit und Benachteiligung.

In der Zeit von 10.00 bis 11.30 Uhr folgte ein »Gottesdienst« mit ca. 500 Personen, gestaltet durch die hinlänglich bekannten Bärbel Bohley, Reinhard Schult17 und Pfarrer Gartenschläger/Berlin.18 Ausgehend von der biblischen Geschichte der Arche Noah wurden in der Predigt und in darin einbezogenen Spielszenen Fragen der Rüstung, der Umweltzerstörung und der »Ungerechtigkeit« in der Welt in einer Art und Weise dargestellt, dass die Zuhörer zu der Auffassung gelangen mussten, Sozialismus und Kapitalismus seien gleichermaßen unfähig, die Existenzprobleme der Menschheit zu lösen. In scharfer Form wurde die Informationspolitik der DDR und der UdSSR im Zusammenhang mit der Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl angegriffen und die weitere Nutzung der Kernenergie kritisiert.19 Die Bohley stellte dem Terror in Südafrika20 und dem Bombenüberfall der USA auf Libyen21 »Fünf Jahre Kriegsrecht in Polen«22 und »Sieben Jahre Rote Armee in Afghanistan«23 gegenüber.

Ein danach Folgendes Gespräch zwischen Generalsuperintendent Krusche und dem Mitglied des »Friedenskreises« Pankow, Wolf,24 in dem letzterer eine pseudomarxistische Darstellung des Zusammenhanges von Frieden und Gerechtigkeit gab, fand nur geringe Resonanz.

Die sich daran anschließenden Auftritte sogenannter Liedermacher vor ca. 250 Besuchern, insbesondere von den hinlänglich bekannten Personen Freya Klier25 und Stefan Krawczyk,26 waren gekennzeichnet durch verleumderische Angriffe gegen die Sozialpolitik der Partei und die Ergebnisse der Volkswahlen vom 8. Juni 198627 sowie gegen die Solidaritätsaktionen der DDR für Nicaragua.28

Der sich als Nachwuchsliterat bezeichnende Sascha Anderson29 erhielt Beifall für seine Aussage, dass »1999 die Mauer fällt«.

Im Rahmen der Veranstaltung »Lieder und Texte« (15.30 bis 17.30 Uhr) griffen die Literaten Hans Wohlrabe30 und Gabriele Eckart31 die führende Rolle der Partei bzw. die Tätigkeit der Sicherheitsorgane an.

Ein zum gleichen Zeitpunkt stattgefundenes Programm des Arbeitskreises »Homosexuelle Selbsthilfe«,32 dessen Grundaussage auf die angebliche Benachteiligung der Homosexuellen in der sozialistischen Gesellschaft hinauslief, stieß nur auf geringes Interesse.

Die Abschlussmeditation wurde von ca. 80 Personen besucht. Pfarrer Pahnke äußerte, dass Gerechtigkeit noch an vielen Stellen ausstehe. Er beschuldigte die Großmächte, undemokratische Regime in Afghanistan, Nicaragua und in Südafrika zu unterstützen und sprach von der »kinderfeindlichen Welt«, die durch das Erziehungsmonopol des Staates entstehe.

Die in die Abschlussmeditation einbezogene B. Bohley nannte als Beispiele für »Ungerechtigkeiten« die »gesellschaftsgefährdende Informationspolitik zu Tschernobyl« und »fehlende Reisefreiheit«.

Einen wesentlichen Schwerpunkt der »Friedenswerkstatt 1986« bildeten die ca. 25 Informationsstände auf dem Außengelände der Erlöserkirche, an denen zahlreiche »Friedens- und Ökologiekreise« der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, die Gruppe »Frauen für den Frieden«/Berlin33 und weitere Gruppierungen über wesentliche Inhalte ihrer Aktivitäten informierten, Materialzusammenstellungen, insbesondere zur Friedens- und Umweltproblematik, anboten und verfasste Pamphlete, darunter den Appell »Tschernobyl wirkt überall«,34 eine »Eingabe« an die Zentrale Wahlkommission der DDR, eine »Willenserklärung« (gerichtet an die Volkskammer der DDR mit der Aufforderung, eine Volksabstimmung zur Nutzung der Kernenergie durchzuführen) zur Kenntnisnahme auslegten, verteilten und dafür Unterschriften sammelten.

Des Weiteren wurden Unterschriften eingeholt gegen das weitere Betreiben der Mülldeponie Schönberg/Bezirk Rostock35 und gegen den Bau der über ehemaliges Gelände des Jüdischen Friedhofes in Berlin-Weißensee führenden Verkehrstrasse.36 Initiiert durch den »Friedenskreis« der Samaritergemeinde in Berlin-Friedrichshain37 (Personenkreis um Pfarrer Eppelmann) wurde der Wortlaut des zwischen den Regierungen der DDR und der BRD abgeschlossenen Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit verbreitet.38

Streng internen Hinweisen zufolge verteilten die Vertreter der sogenannten Menschenrechtsgruppe/Berlin, Wolfgang Templin, Ralf Hirsch und Peter Grimm,39 unter Umgehung entsprechender Festlegungen der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg die erste Ausgabe eines Informationsblattes mit dem Titel »Grenzfall« (deklariert als Material für den innerkirchlichen Gebrauch) an einen kleinen ausgewählten Personenkreis.40 Diese Aktivität ist als Versuch der vorgenannten feindlich-negativen Kräfte zu werten, ein »DDR-weites« Informationsnetz für alle im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkenden Kräfte aufzubauen.

Im Ergebnis entsprechender staatlicher Forderungen während des Verlaufs der »Friedenswerkstatt 1986« wurde durch Generalsuperintendent Krusche Einfluss genommen auf die Einschränkung der Unterschriftensammlungen und die Verbreitung von gegen den sozialistischen Staat gerichteten Druckerzeugnissen, sowie auf die Beseitigung von Sichtmaterialien politisch negativen Inhalts.

Es wird vorgeschlagen:

  • 1.

    Der Oberbürgermeister der Hauptstadt der DDR, Berlin, Genosse Krack,41 sollte in einem Gespräch mit Bischof Forck eine konkrete inhaltliche Auswertung der »Friedenswerkstatt 1986« vornehmen und die durch reaktionäre kirchliche und andere feindlich-negative Kräfte geführten Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung sowie die damit in Verbindung stehen den Bestrebungen zur Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten entschieden zurückweisen.

    Er sollte den Nachweis führen, dass diese Personenkreise zunehmend unter Ausnutzung von Veranstaltungen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg feindlich-negative Handlungen und Aktivitäten begehen, die zu einer erheblichen Belastung des Verhältnisses Staat-Kirche führen. In diesem Zusammenhang sollte Genosse Krack sein Unverständnis über die Inkonsequenz der Kirchenleitung bei der Durchsetzung der staatlichen Erwartungshaltung zum Ausdruck bringen.

    Unter Bezugnahme auf den für 1987 geplanten Kirchentag sollte Bischof Forck aufgefordert werden, seine persönliche Verantwortung voll wahrzunehmen, disziplinierend gegen die in seinem Amtsbereich tätigen reaktionären kirchlichen Amtsträger und gegen die unter Ausnutzung kirchlicher Möglichkeiten agierenden anderen feindlich-negativen Kräfte zu wirken, um einen politischen Missbrauch religiöser Veranstaltungen zu unterbinden.

  • 2.

    Unter Bezugnahme auf die Vorbereitung des Kirchentages 1987 durch die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg sollte mit dem Ziel, staatliche Forderungen zur wirksamen Zurückdrängung gegen die Interessen des Staates gerichteter Aktivitäten reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte zu erheben, der Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen gemeinsam mit den Stellvertretern der Vorsitzenden der Räte der Bezirke Potsdam, Frankfurt/Oder, Cottbus und Neubrandenburg für Inneres und dem Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der DDR für Inneres eine dementsprechende Aussprache mit Bischof Forck und den vier Generalsuperintendenten der Evangelischen Kirche in Berlin–Brandenburg führen.

  • 3.

    Auf der Grundlage einer durch das MfS zu erarbeitenden Analyse über die feindliche Zielstellung und das taktische Verhalten der Exponenten politischer Untergrundtätigkeit sowie über die Methoden zur Verschleierung ihrer Absichten im In- und Ausland werden entsprechende Vorschläge für das weitere Vorgehen gegen diese Kräfte unter Berücksichtigung aller geeigneten rechtlichen Möglichkeiten unterbreitet.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    2. Juli 1986
    Information Nr. 315/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 23. Juni 1986 bis 29. Juni 1986

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    1. Juli 1986
    Information Nr. 314/86 über die Ergebnisse der Untersuchungen zu Handlungen des Oberstleutnants [Name 1, Vorname], Kommandeur des Fliegertechnischen Bataillons – 37 Drewitz