Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg
28. April 1986
Information Nr. 193/86 über die Frühjahrssynode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg
Im Zeitraum vom 4. bis 8. April 1986 fand in der Stephanus-Stiftung in Berlin-Weißensee die 2. ordentliche Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg statt.
Inhalt und Verlauf der Synode machten deutlich, dass die intensive und kontinuierliche, abgestimmte Einflussnahme auf kirchenleitende Kräfte und Laiensynodalen im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zunehmend Wirkung hinterlässt. Politisch realistische Kräfte traten mit einheitlichen, zum Teil abgestimmten Positionen auf und fanden dabei auch Unterstützung durch bisher noch nicht öffentlichkeitswirksam mit politischen Äußerungen in Erscheinung getretene Laiensynodalen. Durch ihr offensives Vorgehen und unterstützt von Synodalen, die für eine »Entpolitisierung der kirchlichen Arbeit« eintreten, gelang es, die von einigen reaktionären kirchlichen Kräften, insbesondere von dem Synodalen Fischbeck1 unternommenen Versuche, auf der Synode eine sogenannte offene Kirchengemeinde im Bereich der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (vorgesehen als Sammelbecken und institutionelle Einrichtung für Mitglieder sogenannter alternativer Gruppierungen und Verfechter »alternativer« Ideen) und eine Integrierung der feindlich-negativen Gruppierung »Frauen für den Frieden«/Berlin2 in die synodale Ausschussarbeit der Landeskirche zu initiieren, zurückzuweisen.
Maßgeblich unterstützt durch politisch realistische Synodalen, darunter Prof. Fink/Berlin,3 Diplom-Ingenieur Krause/Berlin,4 Pfarrer Heilmann/5 Caputh, Pfarrer Kurschat/Nauen,6 verabschiedete die Synodaltagung einstimmig Beschlüsse, in denen die Abrüstungsvorschläge der UdSSR7 nachdrücklich unterstützt und das SDI-Programm der USA8 abgelehnt werden. Bischof Forck,9 Konsistorialpräsident Stolpe10 und Präses Becker11 (alle Berlin) überbrachten am 7. April 1986 dem Botschafter der USA in der DDR, Meehan,12 persönlich ein zuvor von der Synode bestätigtes Telegramm, in dem die sofortige Einstellung der amerikanischen Nukleartests gefordert wurde (Meehan versuchte in dem Gespräch, die Politik der USA-Regierung zu erläutern, zeigte sich jedoch betroffen über den Beschluss der Synode, verbunden mit dem Hinweis, er messe ihm besondere Bedeutung bei, da die Kirchen in der DDR für ihn »wahre unabhängige Größen« und »Vertreter der freiheitlich-demokratischen Ordnung in der DDR « seien).13
In streng internen Meinungsäußerungen brachten realistische kirchliche Kräfte der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg Enttäuschung und Unverständnis darüber zum Ausdruck, dass ihr Bemühen um Unterstützung der sowjetischen Abrüstungsvorschläge und ihre ablehnende Haltung zur Rüstungspolitik der USA in den Massenmedien der DDR keine gebührende Beachtung gefunden haben.
Beachtenswert ist außerdem die seitens kirchenleitender Kräfte auf dem »informellen Pressegespräch« erfolgte öffentliche Zurechtweisung westlicher Korrespondenten, insbesondere des »epd«-Korrespondenten Röder/BRD,14 unter Hinweis auf daraus entstehende Belastungen im Verhältnis Staat-Kirche (analoge Aussagen wurden bereits auf der Tagung der KKL vom 7. bis 9. März 1986 getroffen – vergleiche Information des MfS Nr. 128/86 vom 21. März 1986).
Das Auftreten einiger kirchenleitender Kräfte auf der Synode widerspiegelte aufs Neue ihre politisch negative Grundhaltung. Bischof Forck bemühte sich in dem von ihm persönlich erarbeiteten Vortrag, erneut ein »Recht der Kirche auf Kritik an der Politik des Staates« zu begründen und die Synode dahingehend zu beeinflussen, sich mit angeblich vorhandenen »Konfliktfeldern« zwischen Staat und Kirche zu befassen. In diesem Zusammenhang wiederholte er u. a. die hinlänglich bekannten Standpunkte zur Wehrdienstproblematik,15 zur vormilitärischen Ausbildung,16 zum Reiseverkehr in das nichtsozialistische Ausland und zur »Chancengleichheit« für Christen. Die Ursachen von in diesem Zusammenhang seitens kirchlicher Amtsträger angeblich festgestellten »Resignationserscheinungen« besonders unter jugendlichen Personenkreisen versuchte Bischof Forck dem sozialistischen Staat anzulasten.
Unter Bezugnahme auf das vom Generalsekretär des ZK der KPdSU, Genossen Gorbatschow,17 im Januar 1986 unterbreitete Abrüstungsprogramm versuchte Bischof Forck zu suggerieren, damit sei ein Umdenkungsprozess eingeleitet worden, der seinen Ausgangspunkt in entsprechenden Vorstellungen und Vorschlägen der Kirchen habe.
Präses Becker ließ in seiner Eröffnungsansprache die Absicht erkennen, die Synodalen dahingehend zu beeinflussen, Diskussionen zur Abrüstungsproblematik ausschließlich im Sinne des gemeinsamen Wortes des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und der »Evangelischen Kirche in Deutschland« – »Hoffnung auf Frieden« – zu führen.18
Beachtenswert ist darüber hinaus, dass er die im gemeinsamen Wort enthaltenen Aussagen über die »Stärkung der Menschenrechte und Grundfreiheiten« in den KSZE-Staaten im Wortlaut zitierte.
Feindlich-negative Positionen bekundeten die Synodalen Dr. Fischbeck/Berlin (Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR; Mitunterzeichner der im Jahre 1985 von feindlich-negativen Kräften in der DDR und antikommunistischen Kräften der Partei Die Grünen in der BRD aus Anlass des 40. Jahrestages der Befreiung verfassten Petition »Initiative für Blockfreiheit in Europa«19) sowie die Pfarrer Freimark/Neustadt20 und Hoffmann/Berlin.21
An der 2. ordentlichen Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg – sie stand unter dem Hauptthema »Kirchliche Jugendarbeit« – nahmen 122 der insgesamt 125 gewählten und berufenen Synodalen teil.
Als ausländische ökumenische Gäste waren anwesend: Vertreter der russisch-Orthodoxen Kirche für Mitteleuropa, der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der VR Polen, der Gossner Kirche Indien, der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union/Bereich BRD und Westberlin, des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen/BRD, der Evangelischen Landeskirche Baden und der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (Westberlin).
Vier dieser Gäste richteten Grußworte an die Synode.
Im Grußwort von Erzbischof Feodosi22 (Exarch der Russisch-Orthodoxen Kirche für Mitteleuropa) wurde u. a. betont, vom Genfer Gipfel sei eine Vielzahl von Hoffnungen ausgegangen, die auch von den Christen geteilt würden.23 Sie wenden sich gegen eine drohende nukleare Katastrophe und haben teil an den Friedensbemühungen zum Rüstungsstopp und zur Verhinderung der Militarisierung des Weltraumes.
Pfarrer Hauptman/VR Polen24 bekundete in seinem Grußwort an die Synode den Wunsch nach intensiven ökumenischen Kontakten zwischen den Kirchen beider Länder.
Landesjugendpfarrer Schnabel25 (Evangelische Landeskirche in Baden) würdigte in seinem Grußwort die »selbstverständlichen Beziehungen« zwischen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der Evangelischen Landeskirche in Baden. Er verwies auf die zunehmende Arbeitslosigkeit in der BRD, die auch immer mehr Theologen betreffe.
Neben Journalisten aus der DDR waren während der Synode zeitweilig die akkreditierten Korrespondenten Röder, epd/BRD, Baum,26 »Frankfurter Rundschau«/BRD, Schwelz,27 AP/USA anwesend. Zeitweilig nahm der Kulturreferent der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Kolitzus,28 als Gast an der Synodaltagung teil.
Im Mittelpunkt der Synode standen der Bericht der Kirchenleitung, ein Vortrag von Bischof Forck zum Thema »Zum Weg unserer Kirche«,29 Vorlagen zur kirchlichen Arbeit mit Jugendlichen, Anträge und Eingaben an die Synode, theologische und innerkirchliche Fragen (Entwurf der neuen kirchlichen Lebensordnung, Bericht des Diakonischen Werkes, Haushaltsplan u. a.)
In einer zu Beginn der Synode durch den Synodalen Diplom-Geophysiker Semper/Oranienburg30 gehaltenen Andacht zum Thema »Unsere Kinder sollen uns unseren Glauben anmerken« nahm er eine positive Wertung der Politik von Partei und Regierung in Kirchenfragen vor und erwähnte, dass sich junge Christen »ungeschminkt als Glied der Jungen Gemeinde bekennen können«.
Unter Bezugnahme auf die jüngsten Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion erklärte Semper, sie eröffneten eine »Vision« über eine atomwaffenfreie Welt, die bereits vor Jahren von jungen Christen vertreten worden sei.
Unter Anspielung auf Vorgänge im Zusammenhang mit der Problematik »Schwerter zu Pflugscharen« verwies er darauf, diese Christen seien damals politisch in Ungnade gefallen.31
In einer Erklärung des Präses der Synode, Becker, zur Eröffnung der Synode würdigte dieser nachdrücklich das gemeinsame Wort der »Evangelischen Kirche in Deutschland«/BRD und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR – »Hoffnung für den Frieden«, wobei er vordergründig die darin enthaltenen Aussagen zur Wahrung der »Menschenrechte« zitierte.
Unter Bezugnahme auf den XI. Parteitag der SED32 erklärte Präses Becker: »Es soll ein Parteitag der Kontinuität und Stabilität werden. Das heißt, nach dem Willen der Partei auch Fortsetzung ihrer Politik gegenüber den Kirchen … Es ist beruhigend zu wissen, woran man ist. Es ist beruhigend zu wissen, dass die Kirchenpolitik der SED der letzten Jahre dieselbe bleiben soll.«
Der Bericht der Kirchenleitung, der allen Synodalen vorlag, enthält eine faktologische Zusammenstellung der Aktivitäten der Kirchenleitung im Berichtszeitraum April 1985 bis April 1986, einschließlich der Aktivitäten zur Wahrnehmung der »kirchlichen Friedensverantwortung«. Er beinhaltete keine politisch negativen Angriffe auf die Politik der Partei und Regierung der DDR.
Bemerkenswert ist der Vortrag von Bischof Forck, der darin bekannte politisch negative Grundpositionen zu gesellschaftspolitischen Problemen vertrat. Forck betonte, dass es gegenwärtig wichtig sei, »sich grundsätzlicher mit dem aktuellen Stand und dem weiteren Weg der Kirche« zu befassen. Er erklärte, in der Kirche mache sich »eine tiefe Resignation breit, die sich auf das Wort Gottes, auf die eigentliche Arbeit der Kirche, aber auch auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erstreckt«.
In der praktischen Arbeit der Kirche würde darunter gelitten, »dass die Kirche zu einer Art Versorgungsbetrieb für die religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung geworden ist«. Nur wenige Christen seien geschult, »um in Wort und Tat Zeugen des Evangeliums in ihrer Umwelt sein zu können«.
Für die Kirche alarmierend sei, dass nur noch etwas mehr als die Hälfte der finanziellen Mittel, welche die Kirche für ihre Arbeit brauche, aus eigenen Einnahmen (Kirchensteuern und Opfern) aufgebracht werden.
10 % etwa seien Staatszuschüsse und gut 30 % kämen aus den evangelischen Kirchen der BRD.
Auf das Leben der Christen in der sozialistischen Gesellschaft eingehend betonte Forck, viele christliche Bürger setzten sich in vielfältigen Formen für den Frieden ein, aber man wisse nicht, was im konkreten Fall für Frieden und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft hilfreich sein könnte.
Darüber hinaus erklärte er, die Möglichkeiten der Wehrdienstverweigerung, des Dienstes als Bausoldat, der Einrichtung eines Wehrersatzdienstes ausschließlich im sozialen Bereich seien ungenügend. Es müsse erreicht werden, dass Baueinheiten in nichtmilitärischen Bereichen der Volkswirtschaft eingesetzt werden. Nur dann »kann verhindert werden, dass zum Einberufungstermin im Herbst sich wieder so viele Wehrpflichtige zu totaler Wehrdienstverweigerung entscheiden wie im November 1985«.
Forck plädierte für eine »grundsätzliche und für die Betriebe gültige Regelung, die die Glaubens- und Gewissensfreiheit jedes Bürgers respektiert«, z. B. dergestalt, dass der Abschluss eines Lehrvertrages nicht die Verpflichtung zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung einschließt.
Zwar seien gleiche Bildungschancen für alle durch die Verfassung der DDR und offizielle Erklärungen des Staatsratsvorsitzenden zugesichert, »dennoch ist der Verdacht nicht zu widerlegen«, dass bei den Zulassungen zur EOS und der Vergabe von Studienplätzen die glaubensmäßige Bindung »negativ berücksichtigt wird«.
Bezogen auf »gewisse Erleichterungen im Reiseverkehr« in die BRD und nach Westberlin führte Forck an, »gerade junge Leute empfinden es als schmerzlich«, dass sie davon ausgeschlossen seien. Die Kirche dürfe sich um der Gerechtigkeit willen mit der Beschränkung der Freiheit im Reisen nicht zufrieden geben. Es gehe nicht an, dass noch weitere 25 Jahre (Forck erwähnte in diesem Zusammenhang den 13. August 1961) lang junge Menschen mit solchen Einschränkungen ihrer Freiheit leben müssten und keine Hoffnung haben könnten, vor Erreichung des Rentenalters zu reisen. Trotz Bemühungen der Kirche ändere sich nichts.
Auch Bemühungen engagierter Christen zur »Bewahrung der Schöpfung« (Erhaltung der Umwelt) in Ökologiekreisen blieben ohne Resultate; das nähre die lähmende Vorstellung, im Grunde zur Erhaltung der Schöpfung nichts tun zu können. Dazu käme, es bestehe »bei vielen der Eindruck, dass notwendige Maßnahmen nur halbherzig durchgeführt werden, u. a. weil man gegen die Umweltverschmutzung durch Manöver und Übungen der Streitkräfte … fast nichts unternimmt.«
Unter Hinweis auf die jüngsten Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion legte Forck dar, gleiche Vorstellungen seien bereits früher in kirchlichen Stellungnahmen dargelegt worden, insbesondere unter dem Blickwinkel, dass mehr Waffen nicht mehr Sicherheit bieten. Was jetzt »durch Gorbatschow in die politische Diskussion aufgenommen wurde«, wäre von den Kirchen bereits »vorgedacht« jedoch nicht akzeptiert worden. Forck unterbreitete der Synode den Vorschlag, sich an die »Partnerkirchen in der »EKD« und in der Vereinigten Kirche Christi in den USA zu wenden, damit sie bei ihren Regierungen für die ernsthafte Aufnahme dieser Vorschläge vorstellig werden können«.
In der Diskussion zum Bericht der Kirchenleitung sowie zum Vortrag des Bischofs trat eine Reihe Synodalen, wie z. B. Prof. Fink/Berlin, Diplom-Ingenieur Krause/Berlin, Pfarrer Heilmann/Caputh, Pfarrer Delf/Berlin33 und Pfarrer Kurschat/Nauen mit politisch realistischen Aussagen in Erscheinung.
Sie würdigten u. a. die Abrüstungsvorschläge der KPdSU und forderten von der Synode dazu klarere Aussagen als im gemeinsamen Wort des BEK in der DDR und der »EKD« – »Hoffnung für den Frieden«.
Durch die Mehrheit der Diskussionsredner wurde die durch Bischof Forck vorgenommene tendenziöse Darstellung von Resignationserscheinungen zurückgewiesen.
Lediglich die Synodalen Fischbeck/Berlin und Pfarrer Freimark/Neustadt bestärkten die politisch negativen Grundpositionen des Bischofs.
Freimark verwies auf »bestehenden ideologischen Druck« im Zusammenhang mit dem »Anhalten der Ausreisewelle«.34
Er erklärte, der Staat solle für »Ausreisewillige« die Möglichkeit schaffen, sie zunächst »probeweise für ein viertel Jahr« in die BRD reisen und »nach Sammlung sozialer Erfahrungen« in die DDR zurückkehren zu lassen. Er forderte eine Stellungnahme seitens der Synode zum »Problem Afghanistan«,35 zu »den Reisebeschränkungen in die VR Polen«36 sowie zur »Unterdrückung der Kirche in der ČSSR« und sprach sich für den Einsatz arbeitsloser BRD-Pfarrer in der DDR aus.
Hervorzuheben sind die feindlich-negativen Positionen, die Dr. Fischbeck in einem grundsätzlichen Beitrag vor der Synode sowie in verschiedenen Beiträgen in den Ausschüssen der Synode erkennen ließ. Teilweise theologisch bzw. mit historischen Gleichnissen verbrämt trat er gegen die gesellschaftliche Entwicklung der DDR auf.
Er erklärte z. B., dass die politische Ursache der Resignation im »Unglauben an der Veränderbarkeit scheinbar noch stabiler Herrschaftssysteme« bestünde. In einem politisch tendenziösen Vergleich mit dem Römischen Reich zurzeit der Christenverfolgung verwies er auf »Tendenzen der Destabilisierung« im scheinbar stabilen Herrschaftssystem. Diese Aussicht auf Veränderbarkeit gebe Hoffnung und spreche gegen die Resignation, denn schließlich sei auch das römische Reich zusammengebrochen. Systeme seien nicht immer stabil, es gäbe eine systemimmanente Instabilität; die relative Destabilität könne soweit durchdringen, dass sich Änderungen in geeigneter Form durchsetzen könnten.
Fischbeck machte sich auch zum Fürsprecher einer »offenen Gemeinde«, die als Sammelbecken »für fremde Ideen, Konzeptionen und Aktionen«, als Zusammenschluss sogenannter alternativer Kräfte dienen solle.
Dieser Vorschlag wurde zurückgewiesen.
Streng internen Hinweisen zufolge äußerten progressive Synodalen, sie hätten seit vielen Jahren »keine solche reaktionäre Rede« auf kirchlichen Tagungen gehört. Sie sei ihrer Meinung nach »praktisch als Aufruf zur Konterrevolution« zu werten.
Zur kirchlichen Jugendarbeit lagen der Synode zwei Vorlagen (»Situationsbeschreibung« und »Orientierungshilfe«) vor. In der Vorlage »Situationsbeschreibung« wird u. a. auf »leidvoll erfahrene Spannungen« zwischen Berufswunsch und dessen Verwirklichung und auf »Unzufriedenheit durch Alltagsprobleme« verwiesen.37
Weiter heißt es in dieser »Situationsbeschreibung«: »Oft wird über die undurchlässigen Grenzen geklagt und auf die geringen Möglichkeiten hingewiesen, offen seine Meinung ohne Angst vor Benachteiligung in Schule und Betrieb zu sagen. Viele resignieren, ein Teil der Jugendlichen wird aggressiv. Jugendliche empfinden sich als unmündig und autoritätsabhängig. Es gibt einen starken Druck zur Anpassung an die jeweilige Autorität, bestehende Normen und gefordertes Verhalten (in Schule und Betrieb)«.
In der Plenaraussprache zu diesen Vorlagen wurden die negativen gesellschaftspolitischen Aussagen zurückgewiesen.
Aus der Diskussion vor dem Plenum der Synode sind weiter besonders folgende Beiträge hervorzuheben:
Generalsuperintendent Krusche/Berlin38 verwies auf die Notwendigkeit des rechtzeitigen Beginns der Vorbereitung des Kirchentages der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 1987 in Berlin, wobei »im Rahmen des staatlicherseits Zugesagten zu denken wäre und schöpferische Möglichkeiten« zu suchen seien.39
Gleichzeitig wandte er sich gegen den »unbefriedigenden theologischen Inhalt« der im Jahre 1985 durchgeführten »Bluesmesse«40 und »Friedenswerkstatt«.41 »Vulgäre Sprache in der Verkündigung« und »Mangel der spezifischen christlichen Motivation« im Friedensengagement würden das kirchliche Unbehagen und berechtigte staatliche Besorgnis erklären.
Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin erklärte, die Kirche brauche baldige konkrete Hilfe vom Staat für erforderliche Baukapazitäten, und führte an anderer Stelle seines Beitrages an, die jüngsten Abrüstungsvorschläge der Sowjetunion seien politischer Ausdruck der schon früher geprägten Losung »Schwerter zu Pflugscharen«, die dadurch heute sogar politfähig geworden wäre.
Streng internen Hinweisen zufolge wurde in den Ausschüssen der Synode mehrfach auf die in der Diskussion von Generalsuperintendent Krusche angesprochenen Notwendigkeit der rechtzeitigen Vorbereitung des Kirchentages der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 1987 verwiesen, wobei hervorgehoben wurde, das Ausbleiben einer staatlichen Entscheidung zu diesem umfassenden kirchlichen Vorhaben löse Befremden aus, dürfe die kirchlichen Gremien jedoch nicht hindern, langfristig »Modalitäten des Ablaufs zu erörtern« und Vorbereitungen zu treffen.
Einige an die Synode gerichtete Eingaben und Anträge beinhalteten u. a. Forderungen pseudopazifistischen Charakters und waren Gegenstand heftiger Diskussionen in Ausschüssen, besonders im »Friedensausschuss« der Synode.
Sie beinhalteten u. a.
- –
Forderung nach Ausweitung »der Möglichkeit, den Dienst mit der Waffe aus Glaubens- und Gewissensgründen zu verweigern und die vormilitärische Ausbildung in die Verweigerung einzubeziehen.« (Kreissynode Berlin Stadt III)
- –
Forderung nach Gesprächen mit der »Staatsführung« betreffs Ablehnung »öffentlicher militärischer Machtdemonstrationen in Form von Paraden und Aufmärschen bei Staatsempfängen« (Kreissynode Ruppin)
- –
Forderung nach Gesprächen mit dem Ministerium für Volksbildung betreffs der zunehmenden »Militarisierung des Denkens und Lebens von Jugendlichen«, welche die von der Regierung der DDR auf internationaler Ebene vertretene konstruktive Friedenspolitik infrage stelle. (Ständiger Ausschuss der Synode »Frieden/Gerechtigkeit/Umwelt«)
Durch das Einwirken progressiver und realistischer Kräfte konnten die politisch negativen Aussagen in Vorlagen bis auf eine Ausnahme teilweise relativiert bzw. ohne Behandlung in der Synode an die Kirchenleitung weitergeleitet werden.
Eine Beschlussvorlage mit politisch negativen Aussagen u. a. hinsichtlich der »zunehmenden Militarisierung vieler Lebensbereiche« und verbunden mit Forderungen pseudopazifistischen Charakters, fand die mehrheitliche Zustimmung der Mitglieder des Ausschusses »Frieden/Gerechtigkeit/Umwelt« und wurde durch die Synode bestätigt (Wortlaut als Anlage Nr. 3).
Prof. Fink informierte die Ausschussmitglieder über den neuerlichen Atomtest der USA in Nevada und legte den Entwurf eines Protesttelegramms an USA-Präsident Reagan42 vor, in dem die sofortige Einstellung derartiger Tests gefordert wird. Es wurde Übereinstimmung erzielt, diese Erklärung der USA-Botschaft in der DDR zu überreichen.
Im »Friedensausschuss« bzw. in einer geschlossenen Sitzung der Synode war es vor dieser Festlegung zu heftigen Diskussionen gekommen, in deren Verlauf einige Synodalen (u. a. Generalsuperintendent Esselbach/Eberswalde,43 Pfarrer Hoffmann/Berlin, Superintendentin Laudien/Berlin,44 Superintendent Furian/Zossen45 und Dozent Wekel/Berlin)46 versuchten, die inhaltliche Aussage dieses Telegramms und weiterer Beschlussvorlagen zur »kirchlichen Friedensverantwortung« (die als Anlagen 1 und 2 beigefügt werden) zu neutralisieren. So wandte sich Furian gegen eine eindeutige Schuldzuweisung an die USA.
Hoffmann distanzierte sich in aggressiver Weise vom Inhalt des Telegrammes mit der Begründung, die Synode drücke ihre Mitglieder politisch nach links. Er forderte stattdessen eine Aussprache zu Afghanistan. Hoffmann erhielt im Ausschuss keine Unterstützung.
In der Diskussion zu diesen Vorlagen engagierten sich insbesondere Moderator Frielinghaus,47 einige Jugendvertreter und eine große Anzahl von Laiensynodalen wie Schmidt/Fürstenwalde,48 Albeshausen/Frankfurt/Oder,49 Professor Fink/Berlin und andere.
Die Vorlagen (Anlagen 1 und 2) wurden neben einer Vielzahl weiterer theologischer und innerkirchlicher Beschlüsse durch die Synode verabschiedet.
Erstmals fand im Rahmen einer Synodaltagung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg ein »informelles Pressegespräch« statt, an dem u. a. der BRD-Korrespondent Röder (epd) und der USA-Journalist Schwelz (AP) teilnahmen.
Auf Fragen von Journalisten erfolgten durch Bischof Forck, Generalsuperintendent Krusche, Präses Becker, Konsistorialpräsident Stolpe und Propst Winter50 sachliche und realistische Antworten.
Erneute provozierende Fragestellungen durch Röder/epd veranlassten die genannten kirchlichen Amtsträger zur Zurückweisung der Praktiken westlicher Berichterstattung über kirchliche Aktivitäten in der DDR.
So bewertete es Konsistorialpräsident Stolpe als »bedauerlich« und als »beklemmenden Vorgang«, dass Vertreter westlicher Massenmedien »alles Mögliche aufgreifen, selbst wenn es ein von drei Personen unterzeichneter Brief« sei.
Diese Praxis fördere nicht kirchliche Arbeit in der DDR.
Generalsuperintendent Krusche erklärte, dass sich die Kirche bei Beibehaltung dieser Praxis genötigt sehe, sich von »Leuten zu distanzieren, die sie eigentlich zu schützen trachtete«.
Es wird vorgeschlagen:
- 1.
Der Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Hauptstadt der DDR für Inneres sowie die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke Cottbus, Frankfurt/Oder, Neubrandenburg und Potsdam für Inneres sollten im Rahmen geplanter Gespräche mit kirchenleitenden Kräften der jeweiligen Landeskirche die in den entsprechenden Beschlüssen der Synode enthaltenen positiven Aussagen zu den Abrüstungsvorschlägen der UdSSR sowie die darin enthaltene Verurteilung des SDI-Programms der USA nachdrücklich würdigen.
Darüber hinaus sind die besonders im Vortrag von Bischof Forck erneut sichtbar gewordenen Einmischungsversuche in innerstaatliche Angelegenheiten sowie die seitens einzelner Synodalen der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg gegen den sozialistischen Staat gerichteten Angriffe entschieden zurückzuweisen.
- 2.
Der Präsident der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), Genosse Professor Dr. Scheler,51 sollte durch den Staatssekretär für Kirchenfragen, Genossen Gysi,52 über das aggressive und provokatorische Auftreten und Verhalten des Mitarbeiters der AdW, Fischbeck, während der Synodaltagung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg informiert und veranlasst werden, über die zuständige Institutsleitung unter Einbeziehung gesellschaftlicher Kräfte der AdW eine intensive und kontinuierliche Einflussnahme und offensive Auseinandersetzung zu sichern. Fischbeck gegenüber sollte dargelegt werden, dass seine Verhaltensweisen nicht vereinbar sind mit der Tätigkeit an der AdW. Daraus müsste die Forderung abgeleitet werden, sich künftig gesellschaftsgemäß zu verhalten. Außerdem sollte ihm angekündigt werden, dass in Abhängigkeit von seinem künftigen Verhalten arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Anwendung kommen können.
Außerdem sollte Prof. Dr. Scheler nach erfolgter Informierung über das erneute indifferente und teilweise politisch negative Auftreten des Mitarbeiters der AdW, Becker,53 veranlasst werden, zuständige Leitungskader der AdW zu beauftragen, gegenüber dem Becker unmissverständlich die staatliche Erwartungshaltung zum Ausdruck zu bringen unter Hinweis darauf, sich gegen die von bestimmten kirchlichen Kräften ausgehenden Angriffe gegen die DDR entschieden zu verwahren und sich stärker für die Friedenspolitik der DDR zu engagieren.
- 3.
Durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Abteilung Journalistische Beziehungen, sollte dem in der DDR akkreditierten ständigen Korrespondenten der Nachrichtenagentur epd/BRD, Röder, in einem Gespräch nahegelegt werden, seine fortgesetzte verleumderische, insbesondere gegen das Verhältnis Staat-Kirche in der DDR gerichtete Berichterstattung im Zusammenhang mit Veranstaltungen der Kirchen in der DDR zu unterlassen. Er sollte aufgefordert werden, seine journalistischen Aktivitäten in Übereinstimmung zu bringen mit der »Verordnung der DDR über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der DDR« vom 21. Februar 1973.54
- 4.
Durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen sollten Überlegungen angestellt werden, inwieweit die Absicht kirchenleitender Kräfte der evangelischen Kirchen in der DDR, den Evangelischen Pressedienst in der DDR – ena – auszubauen, unterstützt werden sollte.
- 5.
Es erscheint zweckmäßig, kurzfristig eine zentrale Entscheidung über die Durchführung des Kirchentages der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 1987 in der Hauptstadt der DDR herbeizuführen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage 1 zur Information Nr. 193/86
Tagungsausschuss Frieden/Gerechtigkeit/Umwelt
9. Synode Berlin Brandenburg, zweite ordentliche Tagung 4. bis 8.4.1986 | Drucksache 112
Die Synode möge beschließen:
Mit großer Sorge hört die Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg von der Absicht eines weiteren Kernwaffentests. Sie befürchtet, dass damit vonseiten der USA der Prozess der Abrüstung gefährdet wird.
Sie bittet darum die amerikanische Regierung dringend, von diesem Vorhaben abzusehen.
Die Synode beauftragt den Bischof, dieses Anliegen noch heute in geeigneter Weise weiterzuleiten.
Über eine mögliche Veröffentlichung dieses Beschlusses kann der Bischof entscheiden.
gez. Boehlke
Anlage 2 zur Information Nr. 193/86
Antrag des Ständigen Ausschusses »Frieden/Gerechtigkeit/Umwelt«
9. Synode Berlin Brandenburg, zweite ordentliche Tagung 4. bis 8.4.1986 | Drucksache 28
Die Synode möge beschließen:
Mehrfach sind Vorschläge zur Verringerung von Atomwaffen und zur Abschaffung von Massenvernichtungsmitteln gemacht worden.
Der Vorschlag der Sowjetunion vom 15.1.1986 durch Generalsekretär M. Gorbatschow enthält ein umfassendes Programm zur vollständigen Beseitigung der Atomwaffen bis zum Jahre 2000.
Die Ernsthaftigkeit dieses Vorschlages wird dadurch unterstrichen, dass mit Bekanntgabe dieses Programms der freiwillige einseitige Verzicht auf atomare Testexplosionen um drei Monate verlängert wurde.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg gibt ihrer Hoffnung Ausdruck, dass aufgrund dieses Vorschlages Verhandlungen möglich sind, die zu einer Verhinderung der Weltraumrüstung, schrittweisen Beseitigung der Massenvernichtungsmittel und Verringerung konventioneller strategischer Kräfte führen.
Die Synode begrüßt besonders, dass in der ersten Etappe einer solchen Abrüstung die Raketen mit atomaren Sprengköpfen aus Mitteleuropa entfernt werden sollen.
gez. W. Zimmermann, Vorsitzender
Anlage 3 zur Information Nr. 193/86
Antrag des Ständigen Ausschusses »Frieden/Gerechtigkeit/Umwelt«
9. Synode Berlin Brandenburg, zweite ordentliche Tagung 4. bis 8.4.1986 | Drucksache 108 (zu Drucksache 29 und 12)
Die Synode möge beschließen:
Die Synode bittet die Konferenz der Kirchenleitungen dringend, das Gespräch mit Vertretern der Regierung der DDR zu folgendem Sachverhalt zu führen:
Die von der Regierung der DDR auf internationaler Ebene vertretene konstruktive Friedenspolitik wird infrage gestellt durch eine zunehmende Militarisierung vieler Lebensbereiche, die sich an folgenden Beispielen zeigt:
- –
In der an bestimmte Berufsausbildungen gebundene Verpflichtung zum dreijährigen Dienst bei der NVA,
- –
in der Aufnahme der vormilitärischen Ausbildung als Bestandteil der Facharbeiterausbildung,
- –
in der Einführung des Wehrunterrichtes in der 9. Klasse,
- –
in der Werbung zum Soldaten auf Zeit schon in der 7. Klasse
- –
und neuerdings verstärkt in der Kindergartenerziehung.
Diese Entwicklung fördert nicht die Friedensfähigkeit und widerspricht unseres Erachtens der Friedenspolitik unseres Staates.
In diesem Zusammenhang bitten wir erneut darauf hinzuwirken, dass die Möglichkeit, den Dienst mit der Waffe aus Glaubens- und Gewissensgründen zu verweigern, auf die vormilitärische Ausbildung ausgeweitet wird.
gez. Boehlke