Frühjahrssynoden Landeskirchen Mecklenburg und Sachsen
15. April 1986
Information Nr. 161/86 über die Frühjahrssynoden der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
Im März 1986 fanden die ersten Frühjahrssynoden der evangelischen Landeskirchen in der DDR statt, und zwar der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs vom 13. bis 16. März 1986 in Schwerin und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 15. bis 19. März 1986 in Dresden.
Der Verlauf der beiden Synoden war gekennzeichnet durch die Behandlung von überwiegend innerkirchlichen und theologischen Problemen. Auf diese Fragen waren auch die Berichte der Kirchenleitungen und Bischöfe ausgerichtet. Hervorzuheben ist jedoch, dass in den Berichten, insbesondere im Bericht von Bischof Stier/Schwerin,1 die Eigenständigkeit und das Recht der Kirchen auf Kritik und Mitspracherecht zu gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen deutlich hervorgehoben wurden.2
Die in Vorbereitung der Synoden durchgeführten staatlichen und gesellschaftlichen Maßnahmen, insbesondere Gespräche mit kirchlichen Amtsträgern und Synodalen, haben sich erneut bewährt und beeinflussten Inhalt sowie Verlauf der Synoden positiv.
Auf beiden Synoden erfolgten keine offenen gegen die DDR gerichteten Angriffe. Die vorrangig theologischen Themenstellungen auf den Synoden boten feindlich-negativen Kräften nur relativ begrenzte Ansatzpunkte.
Politisch negative Einzelmeinungen hinterließen keine Wirkungen bei den Anwesenden. Sie wurden durch Beiträge realistischer Kräfte neutralisiert.
Hervorzuheben ist das Auftreten realistischer Kräfte, insbesondere während der Synode in Schwerin, mit der Forderung nach Würdigung der jüngsten Friedensvorschläge der Sowjetunion3 und mit kritischen Bemerkungen dahingehend, dass von kirchenleitenden Organen und Kräften sowie in Materialien der Synode das SDI-Programm4 nicht verurteilt wurde.
Gefordert wurde in Diskussionsbeiträgen mehrfach ein offenes Bekenntnis zu den Abrüstungsvorschlägen der UdSSR und gegen SDI.
Während die Synode in Schwerin daraufhin einen »Beschluss zur Friedensverantwortung«5 mit realistischen Aussagen verabschiedete, wurde in der Synode in Dresden kein offizielles Dokument zu Abrüstungs- und Friedensfragen erarbeitet und vorgelegt.
Beiden Synoden lagen in geringem Umfang Eingaben und Anträge vor, mit denen durch im Rahmen der offenen Jugendarbeit6 tätige pazifistische Kräfte, durch in sogenannten Friedenskreisen und anderen Gruppierungen engagierte Personen sowie durch einzelne Synodalen versucht wurde, die Diskussion der Synoden zu beeinflussen und Forderungen durchzusetzen, insbesondere bezogen auf weitere »Erleichterungen der Reisemöglichkeiten« für Bürger der DDR in nichtsozialistische Staaten, Veröffentlichung ihnen bekannt gewordener angeblicher Regelungen für Reisen in dringenden Familienangelegenheiten nach dem nichtsozialistischen Ausland, Unterstützung von Wehrdienstverweigerern7 und solchen Kräften, die einen »Wehrersatzdienst«8 ableisten.
Da diese Eingaben und Anträge infolge von Bemühungen kirchenleitender Kräfte, politisch negative Aussagen und Aktivitäten bereits im Ansatz zu unterbinden, an Ausschüsse der Synoden weitergeleitet wurden, fanden sie in den Diskussionen und Beschlüssen der Synoden keinen Eingang.
An beiden Synoden nahmen kirchenleitende Amtsträger aus der BRD als Gäste teil, die sich jedoch nicht offiziell politisch äußerten.
Auf beiden Synodaltagungen war der BRD-Korrespondent Röder, Hans-Jürgen9 (epd) zur Berichterstattung zeitweilig anwesend.
Die Berichterstattung des Röder trug erneut einen zum Teil einseitigen und tendenziösen Charakter. Er konzentrierte sich in seiner Berichterstattung wiederum ausschließlich auf die Wiedergabe und Kommentierung von Aussagen, die gesellschaftspolitische Bezüge beinhalteten. Im Mittelpunkt der 9. Tagung der X. Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs standen die Berichte von Bischof Stier/Schwerin sowie der Kirchenleitung, der Tätigkeitsbericht des Oberkirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Anträge und Eingaben an die Synode sowie innerkirchliche und theologische Fragen.
Der Bericht von Bischof Stier enthielt neben vielfältigen innerkirchlichen und theologischen Problemen in dem Abschnitt »Kirche in der Gesellschaft« eine Reihe von gesellschaftspolitisch bedeutsamen Aussagen.
So wurde festgestellt, die Kirche müsse ihren biblischen Auftrag erfüllen, dürfe dabei aber nicht auf die Veröffentlichung eigener Positionen und auf das Stellen kritischer Anfragen verzichten. Es dürfe nicht dazu kommen, »staatliches Wohlwollen oder Privilegien durch Verzicht auf eigene Verantwortung und Artikulierung eigener Positionen zu erkaufen«.
Das betreffe vor allem Themen wie Frieden und Gerechtigkeit sowie Bewahrung der Schöpfung.
Weiter verwies er auf »kürzlich in Kraft getretene Erweiterungen der Reisemöglichkeiten« für Bürger der DDR in das nichtsozialistische Ausland und betonte in diesem Zusammenhang, es sei noch immer unklar, wer aus welchem Anlass eine Reiseerlaubnis erhalten könne.10 Hilfreich wären klare gesetzliche Regelungen, damit niemand auf Vermutungen angewiesen sei. Außerdem sprach er sich für die Schaffung weiterer Möglichkeiten für »menschliche Kontakte und Begegnungen über die Grenzen hinweg« aus, da die »bestehenden Begrenzungen« nicht nur von jungen Menschen als »schmerzlich und ungerecht« empfunden würden.
Bischof Stier verwies auch auf »bestehende Bestimmungen für eine Reihe Personenkreise, wegen sogenannter kaderpolitischer Anforderungen jegliche Kontakte mit Verwandten oder Bekannten aus der BRD und westlichen Ländern abbrechen zu müssen« und meinte, diese Regelungen sollten »um der menschlichen Verständigung und des Frieden Willens« auf Ausnahmen beschränkt bleiben.
Der Bericht der Kirchenleitung war sachlich gehalten. In einer kurzen Passage wurde darauf verwiesen, dass stattgefundene Gespräche zwischen Vorsitzenden der Räte der Bezirke und kirchenleitenden Kräften insbesondere in das »kirchliche Baugeschehen Bewegung gebracht« hätten.
Mitgeteilt wurde, die Kirchenleitung habe einen Brief an den Bund der Evangelischen Kirchen gesandt, in dem die Bitte ausgesprochen wurde, »…auf geeignete Weise das spannungsvolle und konfliktreiche Gegenüber von kommunistischer Erziehung der Schuljugend und die Verantwortung der Kirche für die Heranwachsenden in den Gemeinden zu bedenken«.
In den Aussprachen zu beiden Berichten wurden – bis auf eine Ausnahme – politisch realistische Positionen bezogen. Lediglich der Synodale Hachtmann/Kühlungsborn11 begrüßte die Aussagen Bischof Stiers zur Reisetätigkeit und versuchte anhand eines Beispiels diese Ausführungen zu unterlegen. Er forderte verstärkten kirchlichen Einfluss auf staatliche Stellen, »um zumindest die Ablehnungsgründe zu erfahren«.
Dagegen forderten mehrere Synodalen (u. a. Prof. Kiesow/Rostock,12 Landessuperintendent Blanck/Parchim,13 Pastor Kuske/Teterow)14 zustimmende Aussagen zu den umfassenden Abrüstungsvorschlägen der Sowjetunion. Unabhängig voneinander vertraten sie die Auffassung, die in den Berichten unterlassene Stellungnahme zu den Vorschlägen der Sowjetunion fördere den Eindruck der Destruktivität der Kirche.
Der Tätigkeitsbericht des Oberkirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs beinhaltete keine gesellschaftspolitischen Bezugspunkte.
Der Synode lagen mehrere Eingaben und Anträge mit zum Teil politisch negativen Inhalten vor, darunter
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die schriftlich formulierte Forderung an die Synode, sich mit staatlichen Stellen in Verbindung zu setzen und für die »Humanisierung« des Strafvollzuges sowie die »Wahrung der Menschenwürde Strafgefangener« einzutreten (Verfasser: Pastorin Bräutigam, Ingeborg/Güstrow);15
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eine schriftliche »Bitte«, sich für einen »Friedensdienst« einzusetzen, sowie eine Eingabe, die Kirche solle die Position für eine »zweiseitige Reduzierung der Kernwaffen« vertreten (Verfasser sind 16 dem MfS namentlich bekannte Mitglieder von Jungen Gemeinden aus dem Bereich der Landeskirche);
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eine Eingabe des sogenannten Friedensseminars von »Friedenskreisen« der evangelischen Kirchen in der DDR vom 28. Februar bis 2. März 1986 in Stendal, [Bezirk] Magdeburg,16 zur Unterstützung der Vorbereitung eines »Konzils des Friedens«17 (eingebracht von namentlich bekannten Teilnehmern des Treffens);
Diese Eingaben und Anträge (die dem MfS im Wortlaut vorliegen) wurden in die Synodalausschüsse verwiesen. Im Ergebnis der Arbeit in den Ausschüssen wurden sie jedoch in den Synodalbeschlüssen nicht erwähnt.
Die Synode verabschiedete mehrere Beschlüsse innerkirchlichen und theologischen Inhalts.
Im Ergebnis des Einflusses politisch realistischer Kräfte verabschiedete die Synode den »Beschluss zur Friedensverantwortung«, in welchem unter Bezugnahme auf die sowjetischen Friedens- und Abrüstungsvorschläge die Hoffnung ausgesprochen wird, dass »die USA diesen vernünftigen Weg in ihre Politik aufnehmen, damit die anstehenden Verhandlungen zu positiven Ergebnissen führen« sowie den »Beschluss zur Ablehnung der Apartheid-Politik in Südafrika«.18
Im Mittelpunkt der unter dem Thema »Ordnungen in der Kirche« durchgeführten 22. Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden standen der Entwurf der »kirchlichen Lebensordnung«19 (Referenten: Oberkirchenrat Schulze/Berlin,20 Superintendent Küttler/Plauen,21 Oberkirchenrat Leuthold/Dresden,22 Synodale Nollau/Dresden)23, innerkirchliche und theologische Fragen (Bericht der Inneren Mission und Hilfswerk, Kirchensteuergesetz, Diakonen-Gesetz und anderes) sowie Anträge und Eingaben an die Synode.
Die vier zum Thema der Synode gehaltenen Referate beinhalteten innerkirchliche, theologische und kirchenrechtliche Fragen ohne politische Aussagen.
Im Bericht der Inneren Mission wurden die bis 1990 vorgesehenen Bauvorhaben in diakonischen Einrichtungen der DDR gewürdigt. Gleichzeitig wird darin auf die auch von der Kirche zu beachtende Tendenz des zunehmenden Alkoholverbrauchs in der DDR verwiesen.
In Eingaben und Anträgen an die Synode wurden folgende bemerkenswerte Probleme aufgeworfen:
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Feststellung der Notwendigkeit, die Kirche solle sich für weitere Erleichterungen der Reisemöglichkeiten für Bürger der DDR einsetzen;
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beantragt wurde, die Kirche solle sich weiterhin Fragen des Wehr- und Reservistendienstes zuwenden, um »in Bedrängnis« geratenen Jugendlichen und Christen zu helfen. (In beiden Fällen wurden Maßnahmen zur Feststellung der Verfasser sowie zur Beschaffung ihrer schriftlichen Vorlagen eingeleitet).
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In einer Eingabe von Mitgliedern des Basisseminars der »Christlichen Friedenskonferenz«, Königswartha,24 wurde Zustimmung zu den jüngsten Abrüstungsvorschlägen der UdSSR geäußert, verbunden mit der Aufforderung, dazu seitens der Kirchenleitung Stellung zu nehmen.
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In einem Antrag zur Vorbereitung einer ökumenischen Versammlung von Christen in der DDR wird u. a. formuliert:
»Die Synode begrüßt den Vorschlag des Dresdner Ökumenischen Arbeitskreises, 1988 eine ökumenische Versammlung von Christen in der DDR als Teil des konziliaren Prozesses auf Weltebene durchzuführen.
Die Synode sieht in einer solchen Versammlung die wichtige Möglichkeit, die auf Weltebene angestrebten Bemühungen um ein ›Konzil des Friedens‹ zunächst im eigenen Land zu verwirklichen …
Die Synode beruft einen Ausschuss, der ihr auf der Herbsttagung 1986 Vorschläge unterbreiten soll, in welcher Weise die Synode das Zustandekommen einer solchen Versammlung in der DDR unterstützen kann«. (Verfasser: Synodale Kinze/Dresden)25
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Ein weiterer Antrag beinhaltet die Forderung nach Kostenübernahme bei der Umstellung der Heizhäuser in kirchlichen Einrichtungen von Öl auf andere Energieträger durch den Staat.
Unter Bezugnahme auf diese Eingaben und Anträge beantwortete Pfarrer Pilz/Mittelhennigsdorf26 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Sozial-Ethischen Ausschusses, an den die Anträge weitergeleitet worden waren, in einem Diskussionsbeitrag im Plenum der Synode die darin aufgeworfenen Fragen mit dem Hinweis, sie würden laufend in den Kirchengemeinden gestellt und dort auch beantwortet, sodass es nicht erforderlich sei, dazu in der Synode ausführlichere Diskussionen zu führen.
Pfarrer Pilz erklärte zur Frage der Wehrdienstverweigerung, die Kirche sehe darin nach wie vor »ein Zeichen zur Friedenserhaltung«, wobei »die Kirche auch den Umstand wüsste, dass in einem eventuellen Verteidigungszustand darauf die Todesstrafe steht«. In der Vergangenheit sei die Synode wiederholt aufgefordert worden, sich für eine Veränderung der dafür geltenden Gesetze einzusetzen.
Da dieses Problem über den Bereich der Landeskirche hinausgehe, sei es – genau wie das Problem des Reservistendienstes für Christen – an den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR weitergeleitet worden.
In dem Zusammenhang erinnerte Pilz an den Beschluss von Vancouver, in dem es u. a. heißt, dass die jeweiligen Regierungen dazu gedrängt werden sollten, die Wehrdienstverweigerung anzuerkennen.27
Die »deutlich spürbar gewordenen erweiterten Reisemöglichkeiten« für DDR-Bürger in das nichtsozialistische Ausland wertete Pfarrer Pilz als »Vertrauensbeweis«.
Bestehende Unsicherheiten resultierten aus der »Nichtveröffentlichung der Modalitäten«, zumal nach wie vor Ablehnungen ohne Begründungen erfolgten.
Pfarrer Pilz begrüßte die vielfältigen Gespräche führender Repräsentanten der Partei- und Staatsführung der DDR mit westlichen Politikern und hob hervor, ein weiterer echter Beitrag für den Frieden wäre jedoch die Fortsetzung derartiger Gespräche »bis auf untere Ebenen«.
Auf die Informationspolitik der DDR eingehend hob Pilz hervor, sie sei verbesserungswürdig; »das Maß, was uns zugetraut werden kann, sollte erweitert werden«.
Von der Synode wurden neben einer Vielzahl innerkirchlicher Dokumente folgende Beschlüsse mit gesellschaftspolitischen Bezügen verabschiedet:
Die Synode stimmte der Bildung eines Ad-hoc-Ausschusses zu, der zur Tagung der Synode im Herbst 1986 Vorschläge für die Durchführung des vom Weltrat der Kirchen angeregten »konziliaren Prozesses« zur Vorbereitung einer Weltkonferenz für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung im Raum der Landeskirche und des Bundes unterbreiten soll.
Das Landeskirchenamt wurde aufgefordert »mit den zuständigen staatlichen Stellen zu verhandeln, um zu erreichen, dass der Staat für die Kosten bei der Umstellung der Heizhäuser kirchlicher Einrichtungen von Öl auf andere Energieträger aufkommt da, dieser der Verursacher der Umstellung« und der dabei entstehenden Kosten sei.
Als Rahmenveranstaltung zur Synodaltagung fand traditionell eine »Fragestunde« für Gemeindeglieder statt.
Als Gesprächspartner der ca. 40 anwesenden Gemeindeglieder traten Bischof Hempel/Dresden,28 Präsident Domsch/Dresden,29 Synodalpräsident Böttcher/Grünhain,30 Oberlandeskirchenrat Rau/Dresden,31 Oberkirchenrat Leuthold/Dresden und Landesjugendpfarrer Bretschneider/Dresden32 auf. Sie vertraten realistische Positionen. Es kam zu keinen politisch negativen Aussagen.
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