Gewalttat eines Sowjetsoldaten in Naumburg
24. Oktober 1986
Information Nr. 476/86 über die Schusswaffenanwendung durch einen Soldaten der GSSD mit zwei tödlich verletzten Bürgern der DDR in Naumburg, [Bezirk] Halle, am 23. Oktober 1986
Am 23. Oktober 1986, gegen 18.10 Uhr, befuhr ein uniformierter Angehöriger der GSSD mit dem Pkw »Dacia«, polizeiliches Kennzeichen KED 6 – 19, in Naumburg, Bezirk Halle, die Hauptverkehrsstraße in Richtung Maxim-Gorki-Ring1 mit überhöhter Geschwindigkeit, prallte in der Nähe der HO G »Stadt Naumburg« gegen eine Ziermauer und kam auf dem angrenzenden Parkplatz zum Stehen. Danach ergriff der Fahrzeugführer die Flucht.
Im Ergebnis unverzüglich eingeleiteter Maßnahmen wurde er gestellt, dem VPKA Naumburg zugeführt und in Anwesenheit des Kommandanten der Garnison Naumburg zweifelsfrei als Soldat der GSSD, Garnison Naumburg, [Name 1, Vorname] (19), identifiziert.
[Name 1] hatte am 23. Oktober 1986 unerlaubt seinen Postenbereich unter Mitnahme einer Mpi-K und zwei Magazinen mit je 30 Patronen verlassen.
Bei der Ereignisortuntersuchung wurden an dem Pkw mehrere Einschüsse sowie Blutspuren festgestellt. Hierzu befragt, bekundete der [Name 1], zwei Personen angeschossen zu haben.
Im Ergebnis der durchgeführten Suchaktion wurden am Ortsausgang Naumburg, an einer ca. 3 m tiefen Böschung eines Feldweges in der Nähe der Fernverkehrsstraße 88, eine männliche und eine weibliche Leiche sowie eine MP-K, Nr. 19/9 74 53 26, und ein Magazin aufgefunden.
Bei den aufgefundenen Leichen handelt es sich zweifelsfrei um die Bürger der DDR [Name 2, Vorname] (33), geboren am [Tag, Monat] 1953, wohnhaft gewesen [Adresse], Baumaschinist, verheiratet, drei Kinder; [Name 3], geborene [Name 4, Vorname] (31), geboren am [Tag, Monat] 1955, wohnhaft gewesen [Adresse], Diplomingenieur, verheiratet, ein Kind.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben:
Soldat [Name 1], der seit Juni 1986 seinen Dienst als Angehöriger der GSSD in der DDR versieht und in der Garnison Naumburg stationiert ist, war am 23. Oktober 1986 von 15.00 bis 17.00 Uhr als Wachposten an dem unmittelbar an das Objekt der Garnison angrenzenden Kfz-Park eingesetzt.
Gegen 16.00 Uhr entfernte er sich unter Mitnahme der MPi und zwei Magazinen mit je 30 Patronen unerlaubt vom Standort mit dem Ziel, in einem in unmittelbarer Nähe gelegenen Waldstück Suizid zu begehen. In diesem Zusammenhang sagte [Name 1] gegenüber dem Untersuchungsorgan aus, dass er sich aufgrund von Drangsalierungen, Schlägereien und Forderungen zur Erfüllung ungerechtfertigter Dienstleistungen ihm gegenüber durch ältere Soldaten seiner Garnison keinen Ausweg mehr wusste.
Auf seinem Weg zum nahegelegenen Waldstück stellte [Name 1] den auf einen Feldweg stehenden Pkw, besetzt mit zwei Insassen auf dem Fahrer- bzw. Beifahrersitz, fest und entschloss sich nach kurzen Überlegungen spontan, aufgrund des fehlenden Mutes zu einer Selbsttötung, die Insassen dieses Pkw zu töten, sich den Pkw anzueignen und mit diesem über Weimar und – seinen bisherigen Aussagen zufolge – von dort aus in Richtung Osten zu fahren, um wieder in seine Heimat zu gelangen.
Mit dieser vorsätzlichen Tötungsabsicht näherte er sich – von den Insassen des Pkw offenkundig nicht bemerkt – von hinten dem Pkw, gab von links seitlich gezielt einen Feuerstoß auf den Fahrer des Pkw ab und nahm wahr, dass dieser mit dem Oberkörper nach vorn auf das Lenkrad fiel, wo er leblos liegen blieb.
Unmittelbar danach gab [Name 1] erneut gezielt – einen zweiten Feuerstoß auf die auf dem Beifahrersitz befindliche Person ab, wodurch auch diese sofort den Tod fand.
Anschließend öffnete der Täter die Vordertüren des Pkw, zog die leblosen Körper der Opfer aus dem Pkw und verbarg sie hinter einer neben dem Feldweg befindlichen ca. 3 m tiefen Böschung. Danach begab er sich in den Pkw, startete mit dem im Zündschloss befindlichen Zündschlüssel und fuhr mit dem Pkw in Richtung Naumburg, wo er – wie bereits geschildert – ohne Widerstand zu leisten, gestellt und festgenommen werden konnte.
[Name 1] befindet sich in Gewahrsam der Untersuchungsorgane des MfS. Er ist in vollem Umfang zum vorsätzlichen Tötungsverbrechen geständig.
Es wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.
Die Tatortuntersuchungen werden fortgeführt.
Die Sektion der Leichen der beiden DDR-Bürger erfolgt am 24. Oktober 1986 am Gerichtsmedizinischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle.
Den Hinterbliebenen der Opfer wurde durch die zuständigen Organe der DDR mitgeteilt, dass ihre Ehepartner durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen sind, dessen Ursachen und Umstände noch nicht geklärt sind.
Die Untersuchungen werden fortgeführt. Die Aussagen von [Name 1] werden geprüft, inwieweit sie den Tatsachen entsprechen oder Schutzbehauptungen sind.