Herbstsynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
27. Oktober 1986
Information Nr. 475/86 über die Herbsttagung der 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
In der Zeit vom 11. bis 15. Oktober 1986 fand die 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden-Strehlen statt.
Als ausländische ökumenische Gäste nahmen u. a. vier Vertreter aus kirchenleitenden Gremien der evangelischen Kirche in der BRD (Evangelisch-Lutherische Landeskirche Schaumburg-Lippe, Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche) sowie der Präsident des chinesischen Christenrates, Bischof Ting,1 Nanjing,2 teil.
Die von den Gästen gehaltenen Grußworte an die Synode trugen innerkirchlichen und theologischen Charakter. Bischof Ting führte u. a. aus, die ca. drei bis vier Millionen Christen in der VR China würden zunehmend Wert auf die Eigenständigkeit der chinesischen Kirche legen. Sie würden aber auch das Gespräch mit den Marxisten suchen; ihr Verhältnis zueinander habe sich in jüngster Vergangenheit verbessert.
Im Mittelpunkt der Synodaltagung standen die Berichte des Bischofs der Landeskirche, der Kirchenleitung, des Landeskirchenamtes und des Ad-hoc-Ausschusses »konziliarer Prozess«3 sowie weitere innerkirchliche und theologische Fragen, wie z. B. Bericht der Äußeren Mission, Änderung der Verfassung der Landeskirche, Rechenschaftsbericht zum Haushaltsplan 1985 und anderes.
Bei dieser Herbstsynode handelte es sich um die erste Synodaltagung einer evangelischen Landeskirche nach der vom 19. bis 23. September 1986 in Erfurt durchgeführten Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.4 Der Verlauf der Landessynode in Dresden machte deutlich, dass sich der Differenzierungsprozess innerhalb der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens fortsetzt. Bemerkenswert ist, dass der vom Bischof der Landeskirche, Hempel,5 gegebene Bericht, insbesondere die Art und Weise der Darstellung darin enthaltener Aussagen zu gesellschaftspolitischen Fragen, keine Ansatzpunkte enthielt, die von politisch negativen Kräften der Synode in der Diskussion aufgegriffen werden konnten. Analog verhielt es sich mit dem Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung der Landeskirche.
Demgegenüber wurden im Tätigkeitsbericht des Landeskirchenamtes eine Reihe politisch tendenziöse bis negative Aussagen zur Jugendpolitik der DDR, insbesondere zur kommunistischen Erziehung der Jugend und zur vormilitärischen Ausbildung,6 getroffen. Dabei wurde an der Aufzählung von Beispielen bzw. »Fällen«, die angeblich zu Konfliktsituationen führen, festgehalten. Dieser Bericht war Ausgangspunkt für das Auftreten politisch negativer Kräfte der Synode (Pfarrer Albani/Zittau,7 Dr. Lorenz/Dresden,8 Superintendent Küttler/Plauen,9 Synodale Klaer/Radeberg,10 Pfarrer Adolph/Struppen)11, die im Verlauf der Tagung mehrfach versuchten, gesellschaftspolitische Fragen negativen Inhalts in die Diskussion einzubringen und politisch realistische Aussagen abzuschwächen.
Sie betonten in ihren Diskussionen vor allem die kirchliche Eigenständigkeit und verwiesen auf sogenannte Konfliktfelder, insbesondere im Zusammenhang mit der kommunistischen Erziehung der Jugend.
Positiven Einfluss auf den Gesamtverlauf der Synode hatte das wiederholte Auftreten politisch realistischer Synodalen (Böttcher/Karl-Marx-Stadt12,13 Satlow/Dresden,14 Kreß/Dresden,15 Oberlandeskirchenrat Fritz/Dresden)16, die gegen politisch negative Kräfte auftraten und zum Teil deren Argumentationen widerlegten.
Der Bericht von Bischof Hempel/Dresden »Zur Frage nach gültigen ethischen Normen« beinhaltete eine Vielzahl innerkirchliche Probleme. In seinen Ausführungen »Zur kirchlichen Friedensethik« erklärte Bischof Hempel eingangs, »dass wir im Gespräch zwischen Staat und Kirche der Friedensfrage Priorität eingeräumt haben, heißt, wir sind auch überzeugt wie andere, dass ohne Frieden nichts Gutes mehr möglich ist. Das ist Überzeugung der Weltchristenheit, nicht nur Überzeugung von Synoden in der Deutschen Demokratischen Republik. Das heißt aber nicht, dass wir über andere Themen nicht mehr reden. Es ist weder so gemeint noch so geschehen.« Daraus leitete er jedoch die Orientierung ab: »… Christliche Friedensaktivitäten müssen spontan bleiben, gerade weil sie von der Heiligen Schrift nicht zwingend gefordert sind. Die institutionelle Verfestigung und Einbindung nimmt ihnen das Authentische. Wir sind und wollen keine Friedensbewegung. Wir wollen kirchliches Friedenszeugnis. Kirchliche Friedensarbeit soll nüchtern sein bezüglich des Effektes und stabil sein gegen Sofortwirkungen von Enttäuschungen.«
Darüber hinaus äußerte sich Hempel in diesem Abschnitt seines Vortrages zur Frage des politischen Mandates der Kirche, der Problematik der Eigenständigkeit kirchlichen Friedenszeugnisses und zur Frage des Pazifismus. Dabei führte er aus:
»Ich persönlich halte ein begrenztes politisches Mandat (der Kirche) für empirisch unbestreitbar. Wenn wir als Gesamtkirche, ob es erwünscht ist oder nicht, im nüchternen Ernst zu Lebensfragen des Volkes Stellung nehmen, dann sind wir nicht außerhalb des Willens Gottes. Wir müssen uns immer wieder genau überlegen, wie weit wir gehen können.«
Er halte an der »Eigenständigkeit kirchlicher Friedensaktivitäten« fest. »Sie kann auf andere unaufrichtig wirken … Eigenständigkeit kirchlichen Friedenszeugnisses meint aber eigentlich: Wir haben frühere Grenzen.« Den Pazifismus bezeichnete er als ein Zeichen des Glaubens, der jedoch die Abrüstung nicht ersetzen und »auch die Gefährlichkeit der Lage nicht einfach verschwinden lassen« könne.
Der Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens beinhaltete ausschließlich innerkirchliche und theologische Fragen ohne gesellschaftspolitische Bezugspunkte.
Im Bericht des Landeskirchenamtes wurden in dem Absatz kirchliche Kinder- und Jugendarbeit politisch negative Aussagen insbesondere zur Jugendpolitik, zur vormilitärischen Ausbildung und zur politisch-ideologischen Erziehung getroffen.
Nach Hervorhebung der Feststellung, die Arbeit der Jungen Gemeinden weise aufgrund eines teilweise attraktiveren Angebots »nichtkirchlicher Jugendveranstaltungen« eine rückläufige Tendenz auf, wurde orientiert, die kirchliche Arbeit auf diesem Gebiet zu verstärken und die kirchlichen Veranstaltungen anziehender zu gestalten.
Ferner wurde in dem Bericht festgestellt, die Jugendlichen in der DDR seien enttäuscht, weil ihnen staatlicherseits keine »Reisemündigkeit« eingeräumt werde und sie nach wie vor verpflichtet seien, an der vormilitärischen Ausbildung teilzunehmen, obwohl besonders die Schießausbildung Gewissenskonflikte auslöse. In einzelnen Fällen sei Nicht-FDJ-Mitgliedern staatlicherseits gedroht worden, sie bekämen aufgrund dessen keine Lehrstelle. Diese »Vorfälle« hätten jedoch geklärt werden können.
Auf das Verhältnis Staat-Kirche eingehend, wird im Bericht hervorgehoben, bei Rücksprachen mit staatlichen Vertretern sei es auch um die Frage gegangen, »wie die Kirche ihrem Auftrag gemäß zu den Lebensfragen des Volkes Stellung nimmt und den Weg einer Evangeliums gemäßen gesellschaftlichen Verantwortung in den großen Fragen der Friedensverantwortung und der Verantwortung für Gottes Schöpfung wie auch im Einsatz für Einzelpersonen findet«. Weder der Rückzug »in ein kirchliches Ghetto, noch die Einmischung in die Angelegenheiten des Staates« seien Möglichkeiten des kirchlichen Handelns.
Der Bericht beinhaltete des Weiteren eine detaillierte Aufstellung aller Standorte kirchlicher Baumaßnahmen im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, wobei hervorgehoben wurde, die im Bericht des vergangenen Jahres »dargestellten Nöte bestehen leider noch im vollen Umfang. Die Folgeschäden und Verluste steigen dadurch weiterhin, ohne dass es möglich ist, Abhilfe zu schaffen.«
In der Diskussion zu den drei gegebenen Berichten an die Synode traten insbesondere die Synodalen Präses Böttcher/Karl-Marx-Stadt, Satlow/Dresden, Superintendent Kreß/Dresden, Dr. Kinze/Dresden17 und Oberlandeskirchenrat Fritz/Dresden mit politisch realistischen Beiträgen auf, wobei sie wiederholt politisch negative Aussagen in der Diskussion zurückwiesen.
So nahm der Synodale Satlow Bezug auf die im Diskussionsbeitrag von Pfarrer Albani/Zittau erhobene Forderung nach stärkerer Eigenständigkeit kirchlicher Friedensarbeit und betonte, diese Eigenständigkeit dürfe nicht zu stark hervorgehoben werden.
Pfarrer Albani erklärte in seinem Diskussionsbeitrag weiter, es existierten staatlicherseits deutliche »Vereinnahmungsbestrebungen« gegenüber der Kirche, »wodurch Christen manchmal gezwungen sind, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würden«. Albani berief sich weiter auf die Passage im Bericht des Landeskirchenamtes, wonach Nicht-FDJler Benachteiligungen bei der Berufswahl ausgesetzt seien, und erklärte, er sehe eine solche Entwicklung als negativ bzw. bedenklich sowohl für den einzelnen als auch für die gesamte Gesellschaft an.
Der Synodale Dr. Lorenz/Dresden unterstützte Albani und führte aus, auf die Jugendlichen in der DDR werde ein sehr »hoher Druck« ausgeübt, um sie zu einer dreijährigen Armeedienstzeit zu bewegen. Dieser »Druck« werde durch die in Aussichtstellung von Vorteilen bzw. Benachteiligungen in der beruflichen Weiterentwicklung erzeugt. Diese Situation spiegele sich auch an der Technischen Universität Dresden bei der Werbung von Reserveoffiziersanwärtern (ROA) wider. Den Studenten würde erklärt, sich von ihnen trennen zu müssen, wenn sie sich nicht als ROA bereiterklärten.
Diese Passage griffen Präsident Domsch/Dresden18 und Oberkirchenrat Rau/Dresden19 im weiteren Verlauf der Diskussion auf. Rau erklärte, pauschale Erklärungen nützten der Kirche in diesem Zusammenhang nichts, und forderte, konkret Namen und Adressen zu nennen. Er verwies auf angeblich im Bereich der Landeskirche bestehende 35 Fälle der Benachteiligung Jugendlicher, wovon elf noch einer Klärung bedürften.
Domsch führte aus, dem Landeskirchenamt seien Probleme im Zusammenhang mit der Werbung von Reserveoffiziersanwärtern nicht bekannt. Schwerpunkt der Eingaben wären Fragen hinsichtlich der Verweigerung der Teilnahme an der Schießausbildung an den POS und EOS. Domsch verwies im Zusammenhang mit der Kirche zugegangenen Eingaben auf das Weiterbestehen der »Ausreiseproblematik« und betonte, es müsse nach Gründen für Übersiedlungsersuchen geforscht werden.20
Obwohl diese Probleme an den Schulen und Universitäten die Kirche bewegten, seien aus seiner Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Gespräche mit der Volksbildung möglich.
Durch den Vorsitzenden des Ad-hoc-Ausschusses zur Vorbereitung des »konziliaren Prozesses«,21 Dr. Kinze/Dresden, wurde in seiner Berichterstattung über die Tätigkeit des Ausschusses hervorgehoben, es zeichne sich immer stärker ab, dass viele kirchliche Gremien und Gruppen den Gedanken des »konziliaren Prozesses« unterstützten und die Notwendigkeit des Nachdenkens über Frieden, Gerechtigkeit und Verantwortung für die Schöpfung in der ganzen Welt erkennen würden. Kinze verwies auf Erfordernisse, auch mit weiteren Gruppen darüber ins Gespräch zu kommen und dabei »die Basis in der DDR« mit einzubeziehen.
In der Diskussion zum Bericht des Ad-hoc-Ausschusses wurden diese Aussagen durch Landesjugendpfarrer Bretschneider/Dresden22 zum Anlass genommen, den Antrag zu stellen, Gedanken und Vorschläge zum »konziliaren Prozess« in die Vorbereitung und Durchführung des für das Frühjahr 1987 in Leipzig geplanten überregionalen Seminars »Konkret für den Frieden« einfließen zu lassen.23 Dieser Antrag wurde durch die Synode abgelehnt; jedoch wurde der Beschluss gefasst, unter der Verantwortung des Sozialethischen Ausschusses der Landeskirche ein Forum mit dem Thema »konziliarer Prozess« durchzuführen und darüber auf der Frühjahrstagung 1987 Bericht zu erstatten.
Auf Antrag des Sozialethischen Ausschusses verabschiedete die Synode mit 14 Gegenstimmen einen Brief an den Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes,24 Stålsett/Norwegen,25 in dem zum Treffen des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, Genossen Gorbatschow,26 mit USA-Präsident Reagan27 in Reykjavík Stellung genommen wird.28 Darin werden u. a. die von der Sowjetunion unternommenen Schritte zur Abrüstung unterstützt.29 (Der Text des Briefes wird im Wortlaut als Anlage beigefügt.)
In der Diskussion zu diesem Brief versuchten dem MfS bekannte politisch negative Kräfte – Superintendent Küttler/Plauen,30 Synodale Klaer/Radeberg, Pfarrer Adolph/Struppen – die politisch realistischen Aussagen abzuschwächen. Adolph vertrat die Meinung, nicht jede Synode müsse sich zu dieser Problematik äußern.
Demgegenüber traten Oberlandeskirchenrat Fritz, Dr. Kinze und der Synodale Satlow unterstützend für den Antrag des Sozialethischen Ausschusses auf und verwiesen auf die unbedingte Notwendigkeit, durch die Synode eine Stellungnahme zu Reykjavík abzugeben.
An der Synodaltagung nahm der BRD-Korrespondent Röder31 (epd) teil. Seine Berichterstattung in westlichen Massenmedien trug erneut einen einseitigen und tendenziösen Charakter. Röder konzentrierte sich wiederum ausschließlich auf die Wiedergabe und Kommentierung von Aussagen politisch negativen Inhalts.
Entsprechend getroffenen Festlegungen wurden im Zeitraum des Stattfindens der Tagung Bischof Hempel und Präsident Domsch durch den Sektorenleiter für Staatspolitik in Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes Dresden aufgefordert, in einem Gespräch mit Röder dessen verfälschte Berichterstattung zurückzuweisen. Nach vorliegenden internen Hinweisen wurde von beiden kirchenleitenden Kräften in getrennten Gesprächen mit Röder diese Auflage erfüllt und die tendenziöse Berichterstattung zurückgewiesen.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 475/86
Brief der Synode an den Generalsekretär des LWB, Stålsett
»Während in Reykjavík Generalsekretär Gorbatschow und Präsident Reagan verhandelt haben, tagte die Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Dresden.
Wir sind betroffen und enttäuscht, dass die Gespräche der führenden Staatsmänner der Welt zu keinem konkreten Ergebnis geführt haben. Wir stimmen Ihnen zu, wenn sie im Juli 1986 vor dem Exekutivkomitee des LWB gesagt haben, dass die konkreten Vorschläge zur Rüstungskontrolle und Abrüstung von Generalsekretär Gorbatschow ein angemessener Beitrag zum Friedensprozess sind, die Präsident Reagans Drohung mit dem Krieg der Sterne32 …
Wir möchten sie bestärken sich weiter für die Verwirklichung des Exekutivkomitees einzusetzen, wie sie der Erklärung über Frieden und Gerechtigkeit vom August 1985 enthalten sind.33
Angesichts der Verschärfung ideologischer Auseinandersetzungen und der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die zu ungeheuren finanziellen Rüstungsausgaben und damit zu massiver Ausbeutung und Verarmung großer Teile der Weltbevölkerung geführt haben, stimmen wir mit Ihnen in der Überzeugung überein, dass auch wir als christliche Kirchen durch diese Entwicklung einer Prüfung unterzogen werden. Wir müssen vor Gott Buße tun wegen unserer Mitschuld an diesen Entwicklungen und unserer Stimme in Worten erheben, die gehört werden, weil sie ehrlich sind und Zeugnis in Handlungen ablegen, die diesen Worten entsprechen …
Frieden in der Welt wird es nicht geben, ohne Frieden und Gerechtigkeit in jedem einzelnen Land. Uns bewegt mit besonderer Besorgnis die Situation im südlichen Afrika.34 Trotz der verzweifelten Lage hoffen wir, dass es eines Tages auch dort Frieden und Gerechtigkeit geben kann. Wir bitten Sie, Ihren Einfluss weiterhin geltend zu machen, dass Nelson Mandela und die anderen politischen Gefangenen freigelassen werden, die im Exil lebenden zurückkehren dürften und dass die Stimme der wirklichen Führungskräfte gehört werden kann.[«]