Illegaler oppositioneller Radiosender in Berlin (2)
2. Dezember 1986
Information Nr. 547/86 über das erneute Betreiben eines illegalen Hörrundfunksenders vom Territorium Berlin (West) aus gegen die DDR
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wurden am Freitag, den 28. November 1986 in der Zeit von 22.00 Uhr bis 22.34 Uhr – mit einer Unterbrechung von ca. sechs Minuten – erneut Sendeaktivitäten des vom Gebiet Westberlins aus gegen die DDR operierenden illegalen Hörrundfunksenders festgestellt (Über die Ausstrahlung der ersten Sendung dieses illegalen Radiosenders wurde in der Information des MfS Nr. 491/86 vom 1. November 1986 informiert.)1
Zum Standort des Senders (Gebiet um den U-Bahnhof Gneisenaustraße, Stadtbezirk Kreuzberg) und zur Sendefrequenz (UKW 99,2 Megahertz) wurden keine wesentlichen Abweichungen zu den Feststellungen der Erstsendung erkennbar. Die Reichweite umfasste – bis auf den süd-östlichen Raum – das gesamte Gebiet der Hauptstadt der DDR, Berlin, jedoch waren die Empfangsbedingungen aufgrund der städtischen Bebauungsdichte, der verwendeten Empfangstechnik und der meteorologischen Bedingungen unterschiedlich.
Zu Beginn des Programms gab sich der Sender wiederum als »Schwarzer Kanal – erster unabhängiger Sender in der DDR« zu erkennen und stellte seine Sendung unter das Motto: »Kultur ist, wenn man trotzdem lacht.«
In der überwiegend durch Worttexte gestalteten, mit Liedern von Biermann2 unterlegten Sendung (Wortaufzeichnung als Anlage zur Information) werden, Bezug nehmend auch auf den sogenannten 10. Jahrestag der Ausbürgerung von Biermann, die Kultur- und Informationspolitik der DDR angegriffen und verunglimpft, Repräsentanten von Partei und Regierung verleumdet sowie zu Boykott, Protesten und erneut zu öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten (u. a. »Neugestaltung der Litfaßsäulen«) aufgefordert.
Eine Folgesendung wurde nicht angekündigt. (Die vorgenannte Sendung wurde aus bisher nicht bekannten Gründen abrupt abgebrochen.)
Nach dem MfS streng intern vorliegenden Gründen realisierte der Funkkontroll- und Messdienst der Landespostdirektion Westberlin am vermuteten Sendestandort während der Sendung komplexe Funkortungsmaßnahmen.
Es wird vorgeschlagen, erneut durch das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen der DDR gegenüber der Landespostdirektion von Berlin (West) Protest einzulegen und nachdrücklich Maßnahmen zur konsequenten Unterbindung zu fordern.
Anlage 1 zur Information Nr. 547/86
Wiedergabe des Inhaltes der Sendung des illegalen Senders »Schwarzer Kanal« vom 28. November 1986
Beginn mit Musik
Begrüßung durch männlichen und weiblichen Sprecher
Hallo, wir sind wieder da.
männlicher Sprecher:
Der Schwarze Kanal, der erste unabhängige Sender in der DDR hat lange genug geschwiegen, wir freuen uns über die gewachsene Hörerschar und darüber, dass der Stasi weiter im Dunkeln tappt.
Ansonsten hätten wir unseren schwarzen Humor längst verloren.
weiblicher Sprecher:
Kumpels aus dem Westteil der Stadt haben uns erzählt, dass drüben forsche Mutmaßungen über unser Team durch den Wetterwald rauschen, das ist okay. Wir brauchen alle verfügbaren Medien, um uns bekannt zu machen. Die Ostpresse funktioniert da ja noch nicht so richtig. Eins ist jedenfalls sicher, wir leben hier in der DDR und haben den journalistischen Ehrgeiz, keine Enten durch den Äther zu scheuchen. Noch ein Tipp vorweg, je besser die Antenne gebaut ist, umso deutlicher und weiter sind wir zu hören und wir finden, wir sollten deutlich und weit zu hören sein.
männlicher Sprecher:
Zwei Jahrestage sind der Anlass unserer heutigen Sendung.
- 1.
10 Jahre Ausbürgerung Wolf Biermanns (Lied mit Wolf Biermann) und
- 2.
10 Jahre größter Kulturpark der DDR in Berlin-Treptow.3
(Geräuschkulisse vom Kulturpark)
(kirchlicher Musikeinwurf) – Lied
Jegliche Verbindung zwischen beiden Anlässen ist natürlich spekulativ. Wir kriegen trotzdem das dumme Gefühl nicht los, dass die beiden Höhepunkte der DDR-Kulturistik irgendetwas miteinander zu tun haben.
weiblicher Sprecher:
Jedenfalls können wir eine Entwicklung erkennen. Die DDR ist sich treu in ihrer Direktive, schneller, höher, weiter. Natürlich ist Biermann nicht so schnell wie ’ne Achterbahn, nicht höher als ein Riesenrad und nicht weiter als was weiß ich was.
männlicher Sprecher:
Aber Biermann hat den Bonzen in die Suppe gespuckt. Welches Riesenrad würde sich so etwas getrauen, und seit 10 Jahren ist er weg, und die Lieder von ihm sind nicht totzukriegen, und seit 10 Jahren ist er ausgewiesen, und er darf immer noch nicht wieder rein. Wieviel Schiss muss dieser Staat vor Menschen haben, denen wichtig ist, was wichtig ist und die sich ihr Maul nicht selber stopfen.
weiblicher Sprecher:
In unserer heutigen Sendung möchten wir auch unsere kleine Vortragsreihe fortsetzen.
Für die wenigen, die vor einem Monat die medienpolitische Sternstunde der Premiere unseres Schwarzen Kanals verpassten, … unseres schwarzen Bildungsweges führte nach Tschernobyl4 und zurück. Der heutige Vortrag nennt sich schlicht »Kultur ist, wenn man trotzdem lacht«.
(Lachsack)
Die Gleichschaltung aller öffentlich geäußerten Meinungen, ob künstlerisch verpackt oder nackt ist nirgends so perfekt, wie in einer Diktatur. Wir ersparen uns den Zusatz des Proletariats. Die Festigung des Staatsapparates, der die höchstmögliche Ruhe der Bevölkerung bei der Machtausübung garantieren soll, ist ein Prozess, dessen Ergebnis sich nur erahnen lässt. Die Gründe sind vielfältig. Jahrzehntelang wurden über die Staatspropaganda die Ideale vom neuen sozialistischen Menschen eingepflanzt, von der allseitig entwickelten Persönlichkeit geschwafelt. Die gutgläubigen und gutwilligen Bürger in der DDR waren entmündigt genug, alle Beschneidungen in der Meinungsfreiheit diesem leeren Ziel zuzuordnen, ohne den Prozess der Festigung des Machtapparates durch die Bonzen zu durchschauen. Schließlich hat ja der sozialistische Weg auf deutschem Boden noch kein Beispiel und Vergleiche mit anderen Diktaturen wurden, so es ging, verdrängt. Das Informationsmonopol der wenigen Wissenden über pervertierte sozialistische Entwicklungen, wie unter Stalin in der Sowjetunion, verhinderte zudem Rückschlüsse über wesentliche Erscheinungen im eigenen Land. Nach Ulbricht5 wurde mit Honecker6 Sozialpolitik eine vorübergehende Öffnung auch für Kultur und Kunst zugelassen, die die Betroffenen wieder aufatmen ließ.
Die Entspannung im Ost-West-Dialog hatte daran erheblichen Anteil. Den Künstlern war dies Öl auf die Sparflamme der öffentlich kritischen Äußerung, die die Schubladen gefüllt hatte.
Diese Liberalisierung provozierte in erster Linie Gedanken, die tiefer bohrten und die an die Wurzeln politischer Zusammenhänge ging. Der Staat bekam schnell Angst vor der Bloßlegung dieser Wurzeln, denn dann wäre die haarsträubende Doppelmoral und Verlogenheit der Parteibürokratie zum Vorschein gekommen, die die Mitbestimmung selbstbewusst tätiger Individuen an gesellschaftlichen Entscheidungen verhindert. Die Schotten, aus denen die Vorschläge der Kunst sprudelten, wurden schnell wieder dichtgemacht. Hätte sich der DDR-Staatsapparat als wirklicher Wegbereiter zum Kommunismus verstanden, denn dafür waren die Vorschläge gedacht, wäre eine Ausbürgerung Biermanns 1976 nicht notwendig gewesen, und schon gar nicht der anschließende Verdummungsfeldzug gegen die von ihm entäußerten Gedanken.
Die Repressalien gegen Biermann-Sympathisanten stiegen. Es kam damals trotzdem zu Solidaritätsbekundungen von für die DDR-Kulturlandschaft wichtigen Leuten. Der Apparat blockte ab, sperrte ein, wies aus, schwieg tot. Der Traum von der neuen Gesellschaft war ausgeträumt, was dann folgte, war wohl seit der Kleinstaaterei in Deutschland einmalig. Die Künstler verlassen deutsches Land, für das sie engagiert arbeiten wollten, um im anderen deutschen Land nicht gebraucht zu werden und Ruhe zu finden.
Das Sendeteam hat seine Meinung prägnant und einstimmig formuliert. Scheiße.
Musik – Lied (Biermann)
weiblicher Sprecher:
Heute sind die Fronten klar. Auf der einen Seite stehen wir und die private Hörerschaft des Schwarzen Kanals, auf der anderen Seite fahren die Peilwagen. Dazwischen ist die große Schar der Opfer der erfolgreichen Sozialpolitik, die große Masse der Zugpferde vor dem Staatskarren, der immer aufgeblähter und schwerer wird. Doch offenbar ziehen noch nicht genug und auch nicht genügend kräftig. Nur so lassen sich die Ziele der Kulturpolitik oder kürzer Kultik erklären, die das ZK mit zwei kräftigen Sätzen umreißt.
- 1.
Die Schönheiten des sozialistischen Vaterlandes zeigen.
- 2.
Die Arbeitskraft rekonstruieren.
Die Bonzen kontrollieren bestens, dass ja kein kritisches Wörtchen laut wird, was an die Wurzeln geht. Sie maßen sich das objektive Urteil bei der Delegierung der Künstler auf die öffentlichen Bühnen an. Die Literatur bedarf staatlicher Druckgenehmigungen, die Filmstudios sind fest in ihrer Hand. Der künstlerische Hofstaat ist nicht mehr irritiert, die Gagen sind bestens, ein einziges Proben und Machen, um zu loben und zu lachen.
Hier mal ein geschickt gestreutes Westpässchen in die Tasche der guten Schönfärber, dort mal ein Zähnezeigen für die Leute, die ihre Verantwortung für ihre Hörer, Leser und Seher noch ernst nehmen und sich zu den wirklichen Problemen unseres Landes äußern.
Die Bevölkerung finanziert mit ihren Steuern den Zensurapparat bezahlt die Seichtheit der staatlichen Bühnen, löhnt für die Breitwandschinken, die uns die Speisereste in die Nasengänge treiben, unterstützt die zunehmende Verblödung durch die Schenkelklatschen-Unterhaltung.
Wir fordern die Abschaffung der Bonzen-Zensur, wir fordern Medienfreiheit für die ernsthafte Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Realität.
Es wurde lange genug SED-hörig gekaspert. Wenn wir jetzt nicht anfangen, der Meinung die Freiheit zu erkämpfen, die sie verdammt nötig hat, werden wir in Perspektivlosigkeit und Verlogenheit verkommen.
Der Schwarze Kanal ruft zum lauten Protest gegen die …mündigung auf.
(Musik – Lied/Biermann)
(»Ach du, das ist dumm, wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt drin um«)
Sechs Minuten Unterbrechung
männlicher Sprecher:
Wir schalten jetzt um in unser fliegendes Aufnahmestudio. Hallo Kette, Kette fährt nämlich schon seit zwei Wochen Karussell, um die Atmosphäre auf dem Rummel richtig einzusaugen. Er kämpft um den Titel »Kettenkarussell«. Auf dem Rummel erlebt man die Kultur in unserem Schlaraffenländchen noch am unverfälschtesten. Kette ist zwar schon etwas verblödet vom vielen rauf und runter, rum und num, aber dafür ist ihm laufend schwarz vor Augen. Alles ideale Voraussetzungen für ein Interview im Schwarzen Kanal zum Thema »Kultur ist, wenn man trotzdem lacht«.
weiblicher Sprecher:
Ach so, bevor wir endgültig zu Kette umschalten, noch ein Tipp für unsere Kämpfer an der unsichtbaren Front, für die Sicherheitstruppe am Staatskarren.7 Es handelt sich hier um eine Aufzeichnung. Natürlich hat der sozialistische Rummel nach zehn Uhr geschlossen, weil der sozialistische Mensch früh raus muss, um den Sozialismus zu stärken. Wer spät rummelt, der früh bummelt. Jegliches Suchen nach Kette hat also keinen Zweck. Ihr seid wiedermal zu spät aufgestanden, Kette sitzt schon in der Kneipe, deren Namen wir Euch in der nächsten Sendung verraten werden, wenn Ihr bis dahin alle in Betriebe arbeiten geht, in drei Schichten am Band, oder so was Ähnliches. Ihr braucht uns das nicht abrechnen, wir würden es alle am steilen Aufschwung unseres Konsumwohlstandes merken. Doch nun erst mal genug, ab geht’s mit Kettes Karussellgespräch.
Rummelmusik
männlicher Sprecher: Kette
Ja Hallo, ich bin froh, dass die Sendung endlich ran ist, sonst wird’s zappenduster in den eh schon so grauen Zellen. Das hält die intellektuellste Kette nicht aus, die so stark ist wie ihr schwächstes Glied, und das ist genau der Punkt, der Rummel hämmert aufs schwächste Glied ein, wer will sich nicht auch mal hängen lassen. Hier kommt mir also auch schon mein erstes Gesprächsopfer angetorkelt. Ich komme vom SK8 und möchte Sie fragen, ob Sie hier die erhoffte Entspannung gefunden haben?
Rülpsen des Angesprochenen als Antwort.
männlicher Sprecher: Kette
Danke, der hat’s geschafft. Ich muss erstmals das Mikrofon abspülen, spül, spül, spül. Ah, hier kommt offenbar eine noch ganz intakte Persönlichkeit von der Hüftschaukel geflogen.
Frage: Was haben Sie sich von diesem Nachmittag erhofft?
weibliche Stimme: Ich will vergessen, endlich mal vergessen.
Frage: Was?
weibliche Stimme: Das hab ich vergessen.
Frage: Somit haben sich ja Ihre Hoffnungen erfüllt.
weibliche Stimme: Welche Hoffnungen? Ich hocke mich hoch, und jedes Mal, wenn ich oben bin, kommt der blöde Kerl und bremst mich wieder ab.
Was quatscht Du denn da von Hoffnungen? Hast wohl noch nicht von New Future gehört? Ich schaukle eben, da kann ich am besten vergessen. Haste mal ’ne Mark?
männlicher Sprecher: Kette
Ich, ich bin doch Reporter beim Ersten Unabhängigen Sender der DDR, hier stell ich die Fragen.
Jetzt habe ich hier einen rüstigen Mittdreißiger an der Angel, darf ich Dich fragen, welchen Beruf Du ausübst?
Husten – vermutlich weibliche Stimme
weibliche Stimme: Ich bin Zimmermann
Frage: Wie Wilhelm Pieck (Piech)
weibliche Stimme: Ne, wie Jesus.
Frage: Bist Du Christ?
weibliche Stimme: Ne, was soll’n das, ich bin hier, um zu vergessen. Wenn Du den ganzen Tag Latten nagelst, dass Du selber bald keine mehr kriegst, ist so’n dussliges Gequatsche keene Erholung.
männlicher Sprecher: Kette
Ich bin vom Ersten Unabhängigen Sender in der DDR, ich möchte mit Dir über Kultur reden.
weibliche Stimme: Was is’n Kultur? Wenn ich abends vor der Glotze sitze und mir Reklame reinziehe, das ist Kultur. Dann kommt ’ne Unterhaltungssendung, wo ist egal, und ist das hüben wie drüben, und früh geht die Nagelei wieder los. Früher bin ich ins Kino gegangen, aber die Sülze hab ich satt. Was wirklich Sache ist im Staate Dänemark, dat hörste sowieso nicht dort. Die kampen sich ihre Probleme aus der Birne, das hat nicht viel mit mir zu tun.
Denkste hier getraut sich mal eener wirklich das zu sagen, was die ganze Scheiße so verlogen macht.
Frage: Was macht die Scheiße verlogen?
weibliche Stimme: Mensch, ich bin doch Zimmermann, woher soll ich denn das wissen, ich weiß nur, dass mich das Gelawer von der Leinwand runter nicht interessiert (Husten – gekünstelt).
männlicher Sprecher: Kette
Danke, das war die selbstbewusste Äußerung eines Vertreters der herrschenden Klasse der Zimmermänner. Aber hier sehe ich schon einen nobel gekleideten Fünfziger. Darf ich fragen, was Sie arbeiten? Ich bin vom Schwarzen Kanal.
männliche Stimme: Oh, angenehm, ich bin 1. Sekretär der SED-Kreisleitung. Seit wann arbeiten Sie so volksnah, Herr Schnitzler?9
Frage: Ja, stell ich die Fragen, ich bitte doch um parteipolitische Disziplin. Also, was halten Sie von unserer Kulturpolitik?
männliche Stimme: Äh, Äh, Äh, äh Sie überraschen mich, ich hätte mich doch vorbereiten müssen, aber ich kann sagen, und damit stelle ich mich völlig und voll und ganz hinter die Beschlüsse des XI. Parteitages10 und möchte mich den Worten unseres 1. Sekretärs, des Genossen Erich Honeckers anschließen. Die Kulturpolitik erfüllt planmäßig alle von ihn geforderten Maßnahmen und ordnet sich damit immer besser der Hauptaufgabe11 unter.
Frage: Welche Hauptaufgabe?
männliche Stimme: Äh, wie meinen?
Frage: Na, welche Hauptaufgabe?
männliche Stimme: Es gibt nur eine, die Einheit von äh, äh, sehen Sie, ich hätte mich doch vorbereiten müssen. Also die Hauptaufgabe, und das sage ich Ihnen unter vier Augen ist, vergessen Sie, die die Ideale des Sozialismus sind uns ein Klotz am Bein. Die Zeiten sind andere. Wir brauchen heute eine größtmögliche Zahl von Mäulern, die in erster Linie bestrebt sind, sich selbst zu stopfen.
männliche Stimme: Damit schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe, ohne selbst zuschlagen zu müssen.
- 1.
Der Bürger arbeitet, um sich das Maul zu stopfen.
- 2.
Solange der Bürger hinterkaut, hält er sich ruhig.
Das bedeutet also, das erste Bedürfnis muss sein, sich das Maul zu stopfen, darum muss der Bürger vergessen lernen. Er muss vergessen, dass er sein Maul nicht zum Stopfen hat, und dafür haben wir unsere Kulturpolitik.
Frage: Ja, danke, das war deutlich, nun frage ich eine junge Frau. Was treibt Sie auf den Rummel?
weibliche Stimme: war gerade in ’ner Ausstellung von modernen BRD-Malern, und die muss ich vergessen.
Frage: Warum, war es so schlimm?
weibliche Stimme: Wenn ich sie nicht vergesse, müsste ich mich fragen, warum es hier nicht solche Ausstellung von DDR-Leuten gibt. Und dann würde mir das Kulturabkommen12 mit den Bundes einfallen, die jetzt hier alle Lücken füllen, die die Bonzen gerissen haben und dann würde ich die Ausstellung zum Kotzen finden, weil die Bundikünstler den Rummel mitmachen und gar nicht merken, dass sie hier vor dem Staatskarren stehen. Und die Kluft zwischen Bonzenzensur der DDR-Künstler und Kulturhunger des hiesigen Publikums zuschieben helfen, da vergesse ich lieber und freue mich auf die nächste Ausstellung.
Frage: Die Sie dann auch wieder vergessen müssen? Danke für die tröstenden Worte, ich gebe an das zentrale Sendeteam zurück, ehe ich die Frequenz vergesse, und dann kann ich endlich wieder Karussell fahren.
Karussell, Karussell, ich komme.
(vermutliche Sprachimitationen)
weiblicher Sprecher:
Kette können wir, glaub’ ich, abschreiben. Diese Erfahrung scheint uns mitteilenswert. Wer sich zu lange und zu häufig der herrschenden Unkultur aussetzt, verblödet und wird für die Interessen der Politbürosaubermänner bestens präpariert. Das ist uns ja ein Riesenrätsel. Auf der einen Seite sollen sich die Fachmänner aus Industrie und Wirtschaft neue Kniffe zur Mehr-Mehrproduktion einfallen lassen und auf der anderen Seite schlägt die Unkultur der Phantasie laufend eins in die Fresse. Traurig ist für uns, dass sich die Leute, die den ganzen Tag knuffen, mit bornierten Starprogramm abspeisen lassen.
Wir rufen Euch auf, diesen Unkultur-Rummel zu boykottieren, indem Ihr Euch laut zur klaffenden sozialen Ungerechtigkeit zu Wort meldet.
männlicher Sprecher:
Es gibt viele Möglichkeiten. Effektiv erscheinen uns Flugblattaktionen; Eingaben haben nur dann Sinn, wenn sie von mindestens 20 bis 30 Leuten gemacht werden. Wir schlagen vor, die Litfaßsäulen neu zu gestalten, Plakate von Verdummungsveranstaltungen sollten abgerissen oder wenigstens mit einem Ei verziert werden.
Wir müssen uns zu Wort melden und ausprobieren, wie das am wirkungsvollsten möglich ist. Wir müssen endlich zeigen, dass hier Menschen leben, die nicht nur das auslöffeln, was ihnen die Bonzen eingebrockt haben.
Wir müssen in den Räumen, die uns bleiben, versuchen, alternative Veranstaltungen zu organisieren, auf denen das besprochen wird, was besprochen werden muss.
(Lied – Biermann)
(» … in dieser durchgerissenen Stadt, die hab’ ich satt …«)
Abbruch der Sendung inmitten des Liedes.
Anlage 2 zur Information Nr. 547/86
Fernschreiben des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen der DDR an die Landespostdirektion von Westberlin
Unter Verweis auf unser Fernschreiben vom 3. November 1986 müssen wir feststellen, dass am 28. November 1986 in der Zeit zwischen 22.00 und 22.30 Uhr auf der UKW-Frequenz 99,2 MHz erneut Funkbetrieb durch einen in Berlin (West) stationierten Sender durchgeführt worden ist.
Das widerrechtliche Betreiben dieses Senders beeinträchtigte den störungsfreien Empfang genehmigter und koordinierter Funkdienste der Deutschen Demokratischen Republik. Die Nutzung der Frequenz 99,2 MHz ist weder multilateral noch bilateral für Berlin (West) koordiniert.
Aus dem gegebenen Anlass fordern wir Sie mit Nachdruck auf, nunmehr endlich Maßnahmen zu ergreifen, die eine Verletzung internationaler Frequenzabkommen und die Störungen der Funkdienste der Deutschen Demokratischen Republik künftig ausschließen.