Interne Meinungsäußerungen zur Berliner Bischofskonferenz (1)
14. Januar 1986
Information Nr. 18/86 über interne Meinungsäußerungen zum Verlauf der katholischen »Berliner Bischofskonferenz« am 16./17. Dezember 1985
Dem MfS wurden streng intern Meinungsäußerungen katholischer kirchenleitender Kräfte zur turnusmäßigen Beratung der »Berliner Bischofskonferenz«,1 die am 16./17. Dezember 1985 in der Residenz von Kardinal Meisner2 stattfand und an der alle katholischen Bischöfe aus der DDR teilnahmen, bekannt.
Danach habe Kardinal Meisner in dieser Konferenz einen Bericht über seine Teilnahme an der Außerordentlichen Bischofssynode in Rom gegeben (25.11. bis 8.12.1985).3
Dem Bericht Meisners zufolge sei die Synode im Geiste des II. Vatikanischen Konzils4 und der von Papst Johannes XXIII.5 eingeleiteten Reformbestrebungen verlaufen.6 Die Synode habe in diesem Sinne erkennen lassen, dass sie sich im Rahmen ihrer Lehre für die Probleme der Welt öffne.
In diese Bestrebungen sei der jährlich begangene katholische Weltfriedenstag am 1. Januar jeden Jahres, den der Papst7 1986 unter das Thema »Der Friede, Wert ohne Grenzen Nord-Süd, Ost-West: ein einziger Friede« gestellt habe, einzuordnen.8
Die Botschaft des Papstes unter diesem Thema, die den katholischen Bischöfen in der DDR im Wortlaut zugestellt wurde mit der Maßgabe, Grundaussagen daraus in den Predigten am 5. Januar 1986 zu verwenden, verweise auf das von der UNO verkündete Internationale Jahr des Friedens 19869 und wende sich an die ganze Welt, über alle Systeme und Blöcke hinweg mit der Empfehlung, den Dialog zu echten Beziehungen der Solidarität und des friedlichen Zusammenlebens aller Völker und Rassen zu nutzen.
Kardinal Meisner habe hervorgehoben, die Außerordentliche Bischofssynode habe die katholische Kirche aufgefordert, sich noch intensiver mit inhaltlichen Fragen des II. Vatikanischen Konzils zu befassen. Neue Strukturen habe die Synode nicht beschlossen, aber klargestellt, dass »die Verkündigung des Glaubens« weiterhin die Hauptaufgabe der Kirche bleibe. Für ihn – Kardinal Meisner – wären diese Grundaussagen der Bischofssynode sowie die in Rom erneut demonstrierte »Einheit der Kirche mit ca. 850 Millionen Gläubigen in einer zerrissenen Welt« die persönlich beeindruckendsten Erlebnisse gewesen und würden seine Haltung als Vorsitzender der »Berliner Bischofskonferenz« und als Bischof von Berlin entscheidend mit prägen.
Kardinal Meisner habe die katholischen Bischöfe danach über das Gespräch, das am 11. Dezember 1985 zwischen dem Staatssekretär für Kirchenfragen und ihm stattfand, informiert.10
Meisner habe dargelegt, der Staatssekretär sei sehr gut vorbereitet gewesen und hätte in konzentrierter Form eine Reihe von Fakten vorgetragen, offensichtlich in der Absicht nachzuweisen, dass die katholische Kirche dem Staat gegenüber immer unberechenbarer werde.
Als solche Fakten habe der Staatssekretär u. a. genannt:
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Die von ihm in seiner Eigenschaft als Bischof des Bistums Berlin (umfasst u. a. die Hauptstadt der DDR und Westberlin) ausgesprochene Einladung, den nächsten Katholikentag der BRD in Westberlin durchzuführen;11
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die Einberufung des Katholikentreffens 1987 nach Dresden ohne vorherige Absprache mit den staatlichen Behörden;12
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tendenziöse Berichterstattungen im »Petrusblatt«;13
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die Ablehnung der katholischen Kirche zur Mitarbeit an der Vorbereitung der 750-Jahrfeier von Berlin 1987.14
In der Erwiderung hätte Meisner den Standpunkt der »Bischofskonferenz« zu den einzelnen Fragen vorgetragen, wonach die katholische Kirche entsprechend der Verfassung der DDR ihre Angelegenheiten selbst regele. Das wäre von ihm u. a. am Beispiel des 1985 abgehaltenen Jugendkongresses in der Hauptstadt Berlin erläutert worden.15
Die im Zusammenhang mit dem Jugendkongress an ihn vom Staat ergangene Auflage, bereits eingeladene Bischöfe des Auslandes wieder »auszuladen«, habe er zwar realisiert, könne sie jedoch nach wie vor nicht verstehen.16 Diese Entscheidung wäre ihm vom Papst in Rom »als nicht brüderlich« vorgehalten worden.
Er – Meisner – habe dem Staatssekretär zu verstehen gegeben, dass er analogen staatlichen Forderungen künftig niemals wieder nachgeben werde. In dieser Frage hätte er nach dem Rat seiner Prälaten (gemeint sind die Prälaten Dissemond17 und Lange)18 und entgegen seiner eigenen Meinung gehandelt, was nicht wieder vorkäme.
Kardinal Meisner habe auf der »Berliner Bischofskonferenz« betont, dem Staatssekretär für Kirchenfragen gegenüber habe er den Standpunkt der »Bischofskonferenz« zu einigen weiteren wesentlichen Fragen vorgetragen.
Das hätte vor allem die Gewährleistung der Chancengleichheit für Bürger katholischen Glaubens betroffen, da nach seiner Auffassung trotz einzelner Fortschritte generell keine Aussichten auf Veränderungen bestünden.
Ähnlich stünden die Probleme der Jugendweihe19 und der militärischen Ausbildung.20
Kardinal Meisner habe dem Staatssekretär Vorschläge zur Ableistung des Wehrdienstes vorgetragen. Der Staatssekretär habe jedoch seine Anfrage hinsichtlich der Schaffung eines sozialen Friedensdienstes21 mit Hinweis auf die Verfassung der DDR abgelehnt.
Weiter habe Kardinal Meisner die »Bischofskonferenz« darüber informiert, dass er an den Staatssekretär erneut die Anfrage gerichtet habe, ob das Kirchenblatt »Tag des Herrn« wöchentlich herausgegeben werden könne (erscheint gegenwärtig 14tägig) und ob Priester und Ordensangehörige bei Anträgen für Reisen in das nichtsozialistische Ausland zur Teilnahme an Ordensjubiläen analog familiärer Anlässe behandelt werden könnten.22
Antworten dazu würden noch ausstehen.
Kardinal Meisner habe, bezogen auf das Gespräch beim Staatssekretär, hervorgehoben:
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Er wäre vom Prinzip der Trennung Staat-Kirche ausgegangen. Von dieser Position heraus habe er auch einige Erläuterungen zur Festlegung der »Bischofskonferenz«, wonach die politische Mitarbeit von Priestern in Parteien untersagt und Kontakte zu staatlichen Stellen besonders geregelt sind, gegeben.
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Die Haltung des Staates gegenüber der Kirche habe sich, z. B. bezogen auf Volksbildung und Wehrdienstfragen, nicht geändert; es werde überall nein gesagt. Die Kirche in der DDR habe es mit einem »atheistischen Weltanschauungsstaat« zu tun, der vom Atheismus geprägt sei und nicht zurückweiche. Wenn der Staat der katholischen Kirche zunehmende Unberechenbarkeit vorwerfe, so müsse man diesen Vorwurf unter Hinweis auf den Jugendkongress 1985 und die Querelen zum Katholikentreffen in Dresden zurückweisen und im eigentlichen Sinne dem Staatssekretariat für Kirchenfragen anlasten.
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Es sei davon auszugehen, dass ein Gespräch zwischen ihm und dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR gegenwärtig nicht zustande käme, da in einer Reihe konkreter Probleme keine gemeinsame Basis erreicht werden könnte.
So würde z. B. vom Staat seinen Erwartungen, im Ausland, eventuell in Italien, ein Interview über die Freiwilligkeit der Jugendweihe in der DDR zu veröffentlichen, nicht entsprochen. (Auf der internen Sitzung der »Bischofskonferenz« im September 1985 war erörtert und sanktioniert worden, anzustreben, dass eine ausländische Zeitung – vorgeschlagen wurde Italien – mit einem offiziellen verantwortlichen staatlichen Vertreter aus der DDR – im Gespräch war ein Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR bzw. ein Vertreter der zentralen Volksbildungsorgane der DDR – ein Interview führt und veröffentlicht, in dem die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Jugendweihe in der DDR bestätigt wird.)
Kardinal Meisner soll der »Bischofskonferenz« zugesagt haben, den katholischen Bischöfen in der DDR in nächster Zeit eine Aktennotiz zum Gespräch mit dem Staatssekretär zuzustellen.
Zum Bericht des Kardinals habe es seitens der Bischöfe weder Anfragen noch Diskussionen gegeben.
Die eingangs erwähnten kirchenleitenden Kräfte äußerten in streng vertraulichen Gesprächen zum Bericht Kardinal Meisners auf der »Berliner Bischofskonferenz«:
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Er habe inhaltlich zwar die Darlegungen des Staatssekretärs für Kirchenfragen wiedergegeben; die Erläuterungen der dem Staatssekretär gegebenen Antworten hätten aber gezeigt, dass Kardinal Meisner zu solchen Problemen wie Volksbildung, Wehrerziehung, Jugendweihe auf seinen bekannten Positionen beharre.23
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Der Bericht beweise die »Selbstherrlichkeit« des Kardinals, da er sich weder vor noch unmittelbar nach dem Gespräch mit dem Staatssekretär mit seinen engsten leitenden Geistlichen konsultiert habe. Der Kardinal habe sich zur Berichterstattung vor der »Bischofskonferenz« lediglich auf einigen losen Zetteln vorbereitet; sein Vortrag habe den Eindruck eines konzeptionslosen Herangehens hinterlassen, insbesondere hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung des Verhältnisses katholische Kirche-Staat.
Der Bericht habe keine Wertungen und keine Schlussfolgerungen des Kardinals enthalten.
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Kardinal Meisner habe zwar verbal der Weiterführung des Kurses von Kardinal Bengsch24 zugestimmt, aber praktisch sei noch immer kein ernsthaftes Nachdenken über die Kontinuität in den Kirche-Staat-Beziehungen zu erkennen.
Internen Hinweisen zufolge hätten die Bischöfe in ihrer Dezember-Beratung keine weiteren Festlegungen über die Veröffentlichung eines ursprünglich für die Fastenzeit 1986 (Februar/März) vorgesehenen Hirtenbriefes zu Fragen der Volksbildung, Jugendweihe und anderem getroffen.
Mit der Beratung zu diesen Problemen wäre frühestens in der Juni-Sitzung 1986 der »Berliner Bischofskonferenz« zu rechnen.
Wie bekannt, wurde im Verlaufe der »Bischofskonferenz« Bischof Theissing/Schwerin25 aus gesundheitlichen Gründen (u. a. Herzinfarkt) von seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender der »Berliner Bischofskonferenz« entbunden.
In geheimer Wahl wurde in diese Funktion Bischof Wanke/Erfurt26 für sechs Jahre gewählt.
Streng internen Hinweisen zufolge hätte Kardinal Meisner für diese Funktion Bischof Huhn/Görlitz27 vorgesehen, offensichtlich, da ihm dieser »willfähriger« erschiene.
Die Mehrzahl der Bischöfe (zwei Drittel der Stimmen sind für die Wahl erforderlich) hätten jedoch mit der Wahl von Bischof Wanke gegen Meisners Alleinherrschaft votiert und damit bestehende Differenzen unter den Bischöfen angedeutet.
Als 3. Mitglied des »Ständigen Rates« der »Berliner Bischofskonferenz« (Führendes Gremium zur Vorbereitung und Auswertung der »Bischofskonferenzen«) wurde Bischof Huhn/Görlitz gewählt.
Die »Bischofskonferenz« habe des Weiteren über eine Beteiligung am »Konzil des Friedens«28 beraten und von Kardinal Meisner zur Kenntnis genommen, dass nach einer Information aus dem Vatikan dieser allein für eine Teilnahme an diesem Forum zuständig sei. Damit erübrige sich eine Beratung über eine eventuelle Beteiligung aus dem Raum der katholischen Kirche in der DDR.
Die Information ist wegen äußerster Quellengefährdung ausschließlich zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!