Konferenz der Ev. Kirchenleitungen der DDR (4)
29. Juli 1986
Information Nr. 346/86 über die 106. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) in der DDR vom 4. bis 5. Juli 1986
Die 106. Tagung der KKL1 fand als interne Sitzung vom 4. bis 5. Juli 1986 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Gebäude des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR statt.
An der KKL-Tagung nahmen außer den Bischöfen Leich/Eisenach,2 Hempel/Dresden3 und Gienke/Greifswald4 (befanden sich auf Dienstreisen außerhalb der DDR) alle anderen Bischöfe, die Leiter der kirchlichen Verwaltungseinrichtungen und alle synodalen Mitglieder der KKL teil.
Auf der Tagung wurden behandelt: Berichte aus den evangelischen Landeskirchen und dem Diakonischen Werk, der Text des Bittgottesdienstes für den Frieden in Vorbereitung der »Friedensdekade 1986«,5 eine Stellungnahme zur Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl,6 Maßnahmen zur Vorbereitung der 2. Tagung der V. Synode des BEK in der DDR (19. bis 23.9.1986 in Erfurt)7 sowie innerkirchliche und theologische Fragen.
Im Rahmen der Berichte aus den Landeskirchen informierte Bischof Forck/Berlin8 über die am 29.6.1986 in Berlin stattgefundene »Friedenswerkstatt 1986« der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg9 (über ihre Durchführung und deren politischen Missbrauch durch feindlich-negative Kräfte wurde in der Information des MfS Nr. 313/86 vom 2. Juli 1986 berichtet).
Forck erwähnte, Generalsuperintendent Krusche/Berlin10 seien »aus der Kirchenleitung heraus Vorwürfe gemacht worden, da es Probleme mit den Friedensgruppen gegeben hat«. Innerhalb der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg seien Befürchtungen laut geworden, dass der Verlauf der »FW 86« Reaktionen des Staates im Hinblick auf den geplanten Kirchentag 1987 auslösen könnte.11
Das kompliziere die Vorbereitung des Kirchentages noch mehr, zumal die Kirchenleitung »bisher nicht mit den Festlegungen des Staates in Bezug auf die zentrale Abschlussveranstaltung zum Kirchentag zufrieden ist«.
In der Diskussion innerhalb der KKL wurde durch politisch realistische Kräfte (Präses Gaebler/Leipzig,12 Synodale Dr. Nollau/Dresden)13 Unverständnis zum Ausdruck gebracht, dass vor dem Kirchentag eine »Friedenswerkstatt« in dieser Form durchgeführt werden konnte und erklärt, die Kirche sollte künftig der Erwartungshaltung des Staates besser gerecht werden.14
Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin15 teilte der KKL mit, dass eine von ihm nicht näher bezeichnete Gruppe von Personen beabsichtigt hätte, anlässlich des 13. August in mehreren Kirchen in Berlin Gedenkgottesdienste durchzuführen.16 Von der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, an die dieses Vorhaben herangetragen wurde, sei dies nicht akzeptiert worden.
Präsident Domsch/Dresden17 informierte, dass im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ein Papier mit dem Titel »Tschernobyl wirkt überall – Appell aus der unabhängigen Friedens- und Ökologiebewegung und anderer betroffener Bürger an die Regierung und Bevölkerung der DDR« verbreitet worden ist.18 Mitarbeiter des Staatsapparates hätten von der Leitung der Landeskirche Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Verbreitung gefordert. Die Kirchenleitung habe sich eindeutig gegen derartige Aktionen gewandt, die das Verhältnis Staat-Kirche belasten würden.
Superintendent Große/Saalfeld19 berichtete über die Veranstaltung der sogenannten offenen Jugendarbeit20 »Jugend 86« (20. bis 22.Juni 1986 in Rudolstadt), die nach seiner Meinung gut gelaufen sei.21
Er räumte jedoch ein, dass es Probleme mit den Punkern gegeben habe, die »Anhaltspunkte für staatliche Sanktionen sein könnten«.
(Nach dem MfS dazu vorliegende Hinweisen kam es während dieser Veranstaltung zu Konzentrationen von bis zu 700 ihrem Aussehen und Verhalten nach als negativ-dekadent einzuschätzenden Jugendlichen, darunter einer erheblichen Anzahl sogenannter Punker, die durch ihr Auftreten zeitweilig die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Stadtgebiet von Rudolstadt störten. Die Organisatoren dieser Veranstaltung – reaktionäre kirchliche Amtsträger und kirchliche Laien – beherrschten die im Ergebnis ihrer Bestrebungen, durch gezielte Einbeziehung gesellschaftlicher »Randgruppen« die sogenannte offene Jugendarbeit zu beleben, entstandene Lage in keinem Fall; sie missachteten seitens der staatlichen Organe an sie erteilte Auflagen und verletzten fortgesetzt gesetzliche Bestimmungen.)
Oberkirchenrat Mitzenheim/Eisenach22 informierte die KKL über das am 24. Juni 1986 wegen krimineller Vergehen durchgeführte Verfahren am Kreisgericht Stadtroda gegen den hinlänglich bekannten Pfarrer Konrad Jahr/Altendorf.23 (Durch die KKL wurde die Information kommentarlos zur Kenntnis genommen.)
Bischof Stier/Schwerin24 sprach zum Verlauf der vom 12. bis 15. Juni 1986 in Schwerin stattgefundenen 2. Tagung der IV. Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELK) in der DDR und teilte mit, dass es dort zu langwierigen Erörterungen zum Problem des Fortbestandes bzw. der Auflösung der VELK in der DDR gekommen sei.25 Bei Fortbestand der VELK sei die Orientierung vereinbart, die Aufgaben zukünftig weitgehend durch den BEK in der DDR wahrzunehmen. (Über den Verlauf der 2. Tagung der VELK wurde in der Information Nr. 300/86 des MfS vom 27. Juni 1986 informiert.)
Bischof Stier betonte, trotz der auf der Tagung der Generalsynode erfolgten Wahl seiner Person zum leitenden Bischof der VELK in der DDR sei er jederzeit bereit, sein Amt im Interesse einer intensiveren Gemeinschaft der evangelischen Kirchen in der DDR zur Verfügung zu stellen.
Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche der Union (EKU) – Bereich DDR – Bischof Forck/Berlin, informierte über den Verlauf der 3. Tagung der 6. Synode der EKU – Bereich DDR –, die vom 23. bis 25. Mai 1986 in Potsdam stattfand.
(Darüber wurde vom MfS in der Information Nr. 263/86 vom 6. Juni 1986 berichtet.)
Forck hob die Einmütigkeit in der Beschlussfassung der Synode zu politischen Problemstellungen hervor. Er verwies auf die von der Synode bezogene Stellungnahme zur Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl und den damit verbundenen Brief an den Exarchen der Russisch-Orthodoxen Kirche in Mitteleuropa.26
Durch die KKL wurde im Verlaufe der Tagung der Text des »Bittgottesdienstes für den Frieden«, der in der Zeit der »Friedensdekade 1986« (9. bis 1.11.1986) gehalten werden soll, bestätigt. Er war von einer gemeinsamen Konsultationsgruppe der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (BRD) und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR erarbeitet worden.27
Vom Rat der EKD wurde der vorliegende Textentwurf bereits bestätigt.
Wie in den vorhergehenden Jahren soll der Bittgottesdienst in den evangelischen Kirchen beider deutscher Staaten gleichlautend durchgeführt werden.
Pfarrer Dorgerloh/Potsdam,28 der den Text des Bittgottesdienstes erläuterte, hob hervor, es sei keine Selbstverständlichkeit, wenn der gleiche Gottesdienst zur selben Zeit in den Gemeinden der DDR und der BRD gefeiert würde.
Bei der Ausarbeitung des Textes sei berücksichtigt worden, angesichts der konkreten Situation in den beiden Staaten eine gemeinsame Sprache zu finden, in der die Gefährdung des Friedens beim Namen genannt werde. Daran werde sich immer wieder die »besondere Gemeinschaft« der beiden Kirchen erweisen müssen.
Inhaltlich wird am Anfang des Textes des Bittgottesdienstes die Gemeinsamkeit der »Evangelischen Kirche in Deutschland« (EKD) und des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR hervorgehoben.
Danach wird auf »Probleme der gegenwärtigen Bedrohung der Natur und Umwelt und der Angst vor den in aller Welt angehäuften Waffen« verwiesen.
In die »Bitte um Erbarmen« werden ohne Differenzierung die »Opfer fortdauernder Kriege«, die »Inhaber politischer und wirtschaftlicher Macht«, die »Betroffenen der Folgen politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen«, die Soldaten und militärischen Befehlshaber, Bausoldaten29 und Wehrdienstverweigerer,30 die »Politiker und Diplomaten, die über Abrüstung und Vertrauensbildung verhandeln«, einbezogen.
(Der Text des Bittgottesdienstes liegt im Original vor und kann bei Bedarf angefordert werden.)
Von der KKL wurde dem Text zugestimmt. Das Sekretariat des BEK wurde beauftragt, die Vervielfältigung des Textes zu veranlassen mit dem Ziel, ihn den Gottesdienstbesuchern aushändigen zu können.
Der Tagung lag eine vom Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« im Auftrag der KKL erarbeitete Stellungnahme zur Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl zur Diskussion und Beschlussfassung vor. Damit wurde auf Anfragen und Eingaben aus kirchlichen Gemeinden reagiert. (Dabei handelte es sich u. a. um die mit der »Willenserklärung an die Volkskammer der DDR …« inhaltlich identische Eingabe der wegen ihrer feindlich-negativen Aktivitäten hinlänglich bekannten Ralf Hirsch31 und Martin Böttger,32 beide Berlin, an den Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« in der eine Volksabstimmung über die Nutzung der Kernenergie in der DDR gefordert wird. Diese »Willenserklärung« wurde – nach dem MfS vorliegenden Hinweisen – im Bereich der evangelischen Kirchen in der DDR verbreitet, und es wurden dazu Unterschriften gesammelt.33)
In der sachlich geführten Diskussion zur vorgelegten Stellungnahme wurden die seitens des Ausschusses »Kirche und Gesellschaft« vorgeschlagenen Passagen mit Aussagen zur »unverantwortlichen Informationspolitik« und der Forderung nach einem Sachgespräch mit dem Staat nicht bestätigt und in der Stellungnahme gestrichen. Es wurde jedoch der Beschluss gefasst, den Ausschuss »Kirche und Gesellschaft« mit der langfristigen Weiterarbeit am Thema »Energie und Zukunft« zu betrauen.
Die Stellungnahme, die als Dokument der 106. Tagung verabschiedet wurde, ist als Anlage beigefügt.
Im Zusammenhang mit der Stellungnahme wurde das Sekretariat des BEK aufgefordert, Verbindung zum Staatssekretariat für Kirchenfragen aufzunehmen, um in Vorbereitung der Bundessynode aussagefähige und sachkundige Experten zu gewinnen, die zu dieser Problematik vor kirchenleitenden Kräften referieren würden. Intern äußerten Mitglieder des Vorstandes der KKL, ein solches »Expertengespräch« wäre im Hinblick auf weitere zu erwartenden Anfragen und Eingaben günstig, um sachkundiger reagieren zu können.
Streng intern wurde erörtert, an Prof. Dr. Manfred von Ardenne/Dresden34 mit der Bitte heranzutreten, im Rahmen der Synodaltagung in Erfurt dazu einen Vortrag zu halten.
Progressive Kräfte innerhalb der KKL sprachen die Erwartung aus, dass Prof. Ardenne nicht nur über Kernenergieerzeugung reden, sondern auch umfassend Stellung zu Atomwaffen und zum SDI-Programm der USA35 nehmen würde.
Zur Vorbereitung der 2. Tagung der V. Synode des BEK in der DDR (19. bis 23.9.1986 in Erfurt) wurde durch die Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des Konferenzberichtes (Superintendent Große/Saalfeld, Dr. Nollau/Dresden, Konsistorialpräsident Stolpe/Berlin) die Arbeitskonzeption vorgestellt.
In den verschiedensten Teilen des Konferenzberichtes sollen nach bisher thesenhaft vorliegenden Vorstellungen u. a. folgende Probleme mit gesellschaftspolitischen Bezügen angesprochen bzw. folgende Aussagen getroffen und formuliert werden:
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Lernformel »Kirche im Sozialismus«36 droht zur Lehrformel zu werden.
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Wie kann gemeinsam der Standort neu definiert werden, Kirche in dieser sozialistischen Gesellschaft zu sein?
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Ungelöste Probleme gefährden das Vertrauen in den Bund (Krankenhausseelsorge, Gefängnisseelsorge, Baubilanzen, keine handhabbaren Regelungen in Volksbildungsfragen).
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Das gemeinsame Gespräch mit dem Staat (Sachgespräche, keine landeskirchlichen Alleingänge) muss weitergeführt werden.
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Zeichen der Veränderung (Tschernobyl, Produktions- und Konsumtionsgesellschaft, Änderung der Werte) spielen im Leben der Christen eine Rolle.
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Die Dialektik von Frieden und Gerechtigkeit (was hat Priorität; was bedeutet Frieden und Gerechtigkeit in der Nähe und in der Ferne für die Innen- und Außenpolitik?) muss im Gespräch bleiben.
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Die Unterstützung des KSZE-Prozesses37 in allen seinen Teilen ist weiterhin erforderlich.
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Die Verbindung der Menschen (Berner Konferenz,38 Stockholm)39 und die Bedeutung kirchlicher Beziehungen (EKD-Bund), die Verwirklichung der Menschenrechte als stabilisierender Friedensfaktor sind der Kirche wichtig.
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Der Dialog als notwendige Voraussetzung gemeinsamen Überlebens (Dialog der Vernunft zwischen Regierungen, zwischen Grundüberzeugungen; Notwendigkeit weiterer »Spitzengespräche« Staat-Kirche u. a. zur Klärung von Fragen aus dem Bereich der Volksbildung der DDR) wird unterstützt bzw. angestrebt.40
Neben innerkirchlichen Fragen soll die 2. Tagung der V. Synode des BEK folgende Tagesordnungspunkte aufnehmen:
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Bericht des Ad-hoc-Ausschusses »Friedensfragen« über die »Weiterarbeit an den Sachfragen des Bekennens in der Friedensdebatte« (verbindliche, aktuelle Interpretation des Artikels 16 des Augsburger Bekenntnisses von 1530 »Rechtsmäßig Kriege führen«),41
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Bericht der Ständigen Vorbereitungsgruppe für die Friedensdekade und
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Beschlussfassung zum Entwurf eines einheitlichen Diakonen-Gesetzes für die Gliedkirchen des BEK in der DDR.42
Die KKL beschloss die Durchführung erster Kurse (1.10.bis 18.12.1988 und 1.2. bis 16.6 1989 in der Hoffbauer-Stiftung Potsdam-Hermannswerder) zur Qualifizierung von Absolventen der Sektionen Rechtswissenschaften an den Universitäten der DDR, die von den Kirchen dorthin zum Jura-Studium delegiert worden waren, wobei mit Absolventen des Immatrikulationsjahres 1980 begonnen werden solle.
Nach Abstimmung mit dem Finanz- und dem Haushaltsausschuss des BEK in der DDR stimmte die KKL zu, 10 000 Mark aus Kollekten für ökumenische Zwecke der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK), insbesondere zur Finanzierung ihrer bevorstehenden 9. Vollversammlung (4. bis 12.9.1986 in Stirling/Schottland), zur Verfügung zu stellen.
Diesem Beschluss der KKL ging eine Bitte der KEK an ihre Mitgliedskirchen voraus, zur Finanzierung ihrer 9. Vollversammlung einen Beitrag in Höhe eines jährlichen Mitgliedbeitrages zusätzlich zur Verfügung zu stellen.
(Durch den BEK in der DDR wird ein jährlicher Mitgliedsbeitrag an die KEK in Höhe von 7 000 Mark gezahlt.)
Durch die KKL erfolgte für die Dauer von fünf Jahren die Berufung von Oberkirchenrat Dr. Helmut Zeddies/Schöneiche43 (Leiter des Lutherischen Kirchenamtes der VELK in der DDR) zum Sekretär und Mitglied der Kommission für Theologische Grundsatzfragen beim SEK.
Sie bestätigte ferner die Bildung einer »Ad-hoc-Arbeitsgruppe zu ethischen Fragen im Bereich des werdenden Lebens« und nahm die Berufung ihrer Mitglieder vor.
Dabei handelt es sich neben kirchlichen Laien aus dem medizinischen Bereich um die kirchenleitenden Amtsträger Dr. Wilfried Koltzenburg/Berlin44 (Diakonisches Werk der evangelischen Kirche in der DDR), Oberkirchenrat Dr. Harald Schultze/Magdeburg45 (Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen), Oberlandeskirchenrat Folkert Ihmels/Dresden46 (Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens).
Die Geschäftsführung für die »ad hoc-Arbeitsgruppe« wurde durch die KKL dem Diakonischen Werk – Innere Mission und Hilfswerk – der evangelischen Kirchen in der DDR übertragen.
Inhaltlich soll sich die Arbeitsgruppe entsprechend des Beschlusses der KKL u. a. auf folgende Problembereiche konzentrieren:
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Beratung von Eltern, Ärzten einschließlich der ethischen Urteilsfindung bei Eizellspendern bzw. Frühembryotransfer unter Berücksichtigung seelsorgerischer, psychologischer und juristischer Aspekte;
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Klärung der Grundsatzfrage: Wann beginnt das menschliche Leben – humanwissenschaftliche und theologische Aspekte;
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Beratung von Eltern, die mit der Geburt eines behinderten Kindes rechnen müssen.
Die Ergebnisse der Tätigkeit der Arbeitsgruppe müssen der KKL vorgelegt werden.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Anlage zur Information Nr. 346/86
Stellungnahme der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) auf ihrer 106. Tagung (4. bis 5.7.1986) zur Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl
Die Havarie im Kernkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 hat viele Menschen in unserem Land und in aller Welt mit Bestürzung und Trauer erfüllt. Das gilt besonders im Hinblick auf die Opfer, die das Unglück im Kernkraftwerk selbst und in dessen näherer Umgebung gefordert hat. In vielen Ländern Europas hat die zeitweilig erhöhte Radioaktivität in der Luft und der zwangsläufig in die Nahrungskette gelangende radioaktive Niederschlag die Strahlenbelastung erhöht, zu einer schwer einschätzbaren zusätzlichen Gefährdung geführt und viele Menschen beunruhigt.
Die 6. Synode der EKU – Bereich DDR – ist am 25.5.[1986] mit einem Beschluss auf das Unglück eingegangen und hat in einem Schreiben an den Exarchen des Moskauer Patriarchats in Mitteleuropa ihre Anteilnahme und ihre Verbundenheit mit den besonders schwer betroffenen Menschen in der Sowjetunion zum Ausdruck gebracht.
Wir schließen uns dieser Äußerung an.
Das Versagen einer von zahlreichen Experten als sicher bezeichneten und auch von vielen unter uns für sicher gehaltenen Technologie und das Ausmaß der Folgen sind ein zwingender Anlass, über die gesellschaftliche Verantwortbarkeit der Kernenergieerzeugung erneut nachzudenken. Denn obgleich wir es den Technikern zutrauen, die technischen Sicherheitsvorkehrungen weiter zu verbessern, mahnt die Havarie von Tschernobyl daran, dass Unfälle nie vollständig auszuschließen sind und dass die Folgen des Reaktor-Unfalls dieser Größenordnung von katastrophalem Ausmaß seien, sich weitflächig auszubreiten und durch die Freisetzung langlebiger radioaktiver Isotope über beträchtliche Zeiträume hinweg wirksam bleiben können. Wir haben die Energie-Situation unseres Landes und mancher anderer Länder vor Augen und sind uns bewusst, wie schwierig es ist, mittelfristig alternative Energiequellen zu finden und zu nutzen. Es mag daher sein, dass wir noch eine Zeitlang mit dem Risiko der Kernenergiegewinnung werden leben müssen. Für eine optimistische Beurteilung dieser Technik besteht nach unserer Auffassung nach Tschernobyl jedoch keine Veranlassung mehr. Wir begrüßen und ermutigen deshalb alle Aktivitäten, die auf eine effektivere, sparsamere Verwendung der uns gegenwärtig zur Verfügung stehenden Energie und auf die Erschließung alternativer, weniger gefahrvoller Energiequellen gerichtet sind.