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Ladendiebstähle durch DDR-Bürger in Westberlin

[ohne Datum]
Hinweis auf einige Probleme im Zusammenhang mit Ladendiebstählen von DDR-Bürgern in Westberlin [K 1/165]

Über Warenhaus- bzw. Ladendiebstähle, die von DDR-Bürgern in Westberlin begangen wurden sowie Vorgehensweisen Westberliner Justizorgane ist nach bisherigen Erkenntnissen Folgendes festzustellen:

In der Zeit von Januar 1980 bis Ende 1985 gingen bei Justizorganen der DDR (vor allem beim Generalstaatsanwalt) über 100 Ersuchen Westberliner Justizorgane um Zustellung von Zahlungsaufforderungen und – in Einzelfällen – von Ladungen zum Strafantritt (Umwandlung Freiheitsstrafe wegen Nichtbezahlung) ein. Die den Ersuchen beigefügten Unterlagen enthielten u. a. die Personalangaben des jeweils verurteilten DDR-Bürgers, die gerichtliche Entscheidung und Zustellungsurkunde. Aus den Ersuchen waren in der Regel weder der Gegenstand des Diebstahls noch Tatzeit und Tatort ersichtlich.

Bei diesen über 100 DDR-Bürgern handelte es sich – bis auf wenige Ausnahmen – um Alters- und Invalidenrentner.

Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Zahl der von DDR-Bürgern in Westberlin begangenen Diebstahlshandlungen beträchtlich höher ist, da – nach Erfahrungswerten – bei Ersttätern, insbesondere in Bagatellfällen, und bei sofortiger Begleichung der Geldstrafe in der Regel keine Information erfolgte. (Laut westlichen Pressemeldungen würden jährlich etwa 4 000 Ladendiebstähle von DDR-Bürgern in Westberlin begangen.)

Seit Januar 1986 hatte sich im Vorgehen der Westberliner Justizorgane eine – langwierigen Bestrebungen des Generalstaatsanwaltes der DDR entsprechende – veränderte Praxis abgezeichnet, indem dazu übergegangen wurde, an DDR-Justizorgane Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung zu richten. Die den Ersuchen beigefügten Ermittlungsakten beinhalteten u. a. die Strafanzeige (beglaubigte Kopie), Protokolle von Beschuldigten – bzw. Zeugenvernehmungen, polizeiliche Vermerke, Anklageschriften, Gerichtsurteile und verschiedentlich Angaben über früher begangene Straftaten.

Dieses Vorgehen traf auf die Mehrzahl der von Januar bis etwa Mitte Juli 1986 davon betroffenen 35 DDR-Bürger zu (davon 16 aus der Hauptstadt der DDR, 7 aus dem Bezirk Potsdam und weitere 12 aus sechs anderen Bezirken der DDR).

Für die Handlungsweise der zuständigen Organe der DDR ist Folgendes kennzeichnend:

Sowohl Zustellungs- als auch Übernahmeersuchen werden von den Justizorganen der DDR – jeweils in Abstimmung mit dem MfAA und dem MfS – realisiert, wenn sie den Interessen der DDR entsprechen (die DDR ist an einer reziproken Verfahrensweise interessiert), ordnungsgemäß abgefasst sind und Provokationen ausgeschlossen werden können.

Angebotene Strafverfahren werden grundsätzlich übernommen, um die Personalhoheit der DDR als Bestandteil ihrer Souveränität zu stärken und möglichen Sanktionen vorzubeugen.

Seit den nachstehend angeführten Presseveröffentlichungen über die Diebstahlshandlungen eines DDR-Bürgers in Westberlin und dem daraufhin ausgesprochenen »Reiseverbot« habe, laut Westberliner Pressemeldungen, Justizsenator Scholz1 angeordnet, dass Westberliner Justizorgane vorerst keine Ersuchen um Übernahme der Strafverfolgung an DDR-Justizorgane richten. Der »Hintergrund« dieser Anordnung sei, dass »ein Westreiseverbot als unverhältnismäßig zur Tat angesehen« werde.

Bezogen auf den in »Märkische Volksstimme« vom 17. Juli 19862 und in der Folge in westlichen Medien (z. B. »Tagesspiegel« vom 24. Juli 1986)3 veröffentlichten Diebstahlsfall (beide Veröffentlichungen siehe Anlage) haben die Überprüfungen Folgendes ergeben:

Der Bürger der DDR [Name, Vorname] (64), wohnhaft in Baruth, Kreis Zossen seit 1977, Invalidenrentner, hat am 17. Januar 1986 – in Ausnutzung einer ihm genehmigten Besuchsreise nach Westberlin – in drei Westberliner Kaufhäusern vier Armbanduhren, eine Drahtzange, einen Seitenschneider, einen Kugelschreiber und einen Stromprüfer entwendet. Er wurde – wie auch schon bei einer von ihm am 10. Dezember 1984 begangenen Diebstahlshandlung (Geldstrafe in Höhe von 60 DM bezahlt) – auf frischer Tat gestellt.

Der Generalstaatsanwalt der DDR hat das ihm vom Westberliner Generalstaatsanwalt angebotene Ermittlungsverfahren am 28. Mai 1986 übernommen. Die Akte wurde über den Bezirksstaatsanwalt Potsdam an den Kreisstaatsanwalt Zossen weitergeleitet, der seinerseits die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen [Name] wegen Diebstahls persönlichen und privaten Eigentums gemäß § 177 StGB4 ohne Haft durch die Abteilung K des VPKA Zossen veranlasste.

Gleichzeitig wurde [Name] durch die Abteilung PM des VPKA Zossen für weitere Reisen nach Westberlin gesperrt. Das Verfahren wurde am 8. Juli 1986 an die zuständige Schiedskommission zur Verhandlung übergeben (Umfang der Diebstahlshandlung stellt lediglich eine Verfehlung dar; gerichtliche Verurteilung ist nicht gerechtfertigt).

Die in »Märkische Volksstimme« (Kreisausgabe Zossen) am 17. Juli 1986 erfolgte Veröffentlichung war weder mit einem Staatsanwalt noch mit dem Leiter des VPKA abgestimmt.

Bei dem Autor, Hauptmann Dörre,5 handelt es sich um den Leiter des Kommissariats III des VPKA Zossen, der durch den Minister des Innern zwischenzeitlich abgelöst wurde.

Vom MdI wurden zusätzliche Maßnahmen eingeleitet, um zu verhindern, dass in Veröffentlichungen Angaben aufgenommen werden – siehe Einleitung von Reisesperrmaßnahmen –, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind und internen Charakter tragen.

  1. Zum nächsten Dokument Vorkommnisse mit Angehörigen der GSSD (1)

    4. August 1986
    Information Nr. 361/86 über durch Angehörige der GSSD verursachte Vorkommnisse, die zu einer ernsthaften Gefährdung von Leben und Gesundheit von Bürgern der DDR bzw. erheblichen Gefahrensituationen geführt haben

  2. Zum vorherigen Dokument Mindestumtausch 21.7.–27.7.1986

    30. Juli 1986
    Information Nr. 358/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 21. Juli 1986 bis 27. Juli 1986