Meinungsäußerungen Kardinal Meisner zum Treffen mit Papst
[ohne Datum]
Information Nr. 485/86 über interne Meinungsäußerungen zum Inhalt eines Gespräches Kardinal Meisners mit dem Papst
Dem MfS wurden streng intern Meinungsäußerungen katholischer kirchenleitender Kräfte aus Kreisen des Vatikans über den Inhalt von Gesprächen, die der Vorsitzende der »Berliner Bischofskonferenz« (BBK), Kardinal Meisner,1 während seines letzten Aufenthaltes in Rom (6. bis 10. Oktober 1986) zu Fragen eines eventuellen Besuches des Papstes2 in der DDR führte, bekannt.
Danach habe Kardinal Meisner nach einer Unterredung mit Erzbischof Silvestrini3 (Sekretär des Rates für öffentliche Angelegenheiten der Kirche im Vatikan) unmittelbar eine Einladung zum Essen mit dem Papst erhalten.
Im Verlauf des Gespräches soll Kardinal Meisner dem Papst gegenüber erklärt haben:
Die katholischen Gläubigen und alle im kirchlichen Dienst stehenden Mitarbeiter in der DDR würden sich sehr über einen Besuch des Papstes in der DDR freuen.
Er – Meisner – wäre mit einer vertraulichen Anfrage an die Regierung der DDR herangetreten, um zu erfahren, wie staatlicherseits die Möglichkeiten eines Besuches des Papstes in der DDR im Zusammenhang mit dem Katholikentreffen in Dresden 19874 sowie einer im Rahmen des Papstbesuches stattfindenden Begegnung des Papstes mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR beurteilt werden.
In den auf Initiative Kardinal Meisners zustande gekommenen Gesprächen mit Regierungsstellen der DDR – deren Inhalt bisher nicht in der BBK erörtert worden sei, da von beiden Seiten die Wahrung des vertraulichen Charakters dieser Gespräche zugesichert wurde – wären ihm generell keine Ablehnungsgründe für einen Besuch des Papstes in der DDR, aber Bedenken signalisiert worden.5
So sei staatlicherseits der Vorschlag Meisners, eine Zusammenkunft des Papstes mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR in Dresden zu erwägen, nicht akzeptiert worden, da dies »der Souveränität der DDR« widerspreche. Stattdessen sei, wenn überhaupt, die Hauptstadt der DDR, Berlin, als Ort einer eventuellen Begegnung genannt worden.
Nach Ansicht zuständiger Regierungsstellen der DDR bedürfe außerdem das Problem der Nichtübereinstimmung der Grenzen kirchlicher Amtsbereiche mit der Staatsgrenze der DDR einer Klärung.6 Der Vatikan hätte diesbezüglich bereits klarere Positionen durch die Mitunterzeichnung der Schlussakte von Helsinki7 eingenommen als die katholische Kirche in der DDR, die zu diesem Problem keinerlei Initiativen entwickele.
Weiteren streng internen Hinweisen zufolge habe der Papst im Gesprächsverlauf Kardinal Meisner gegenüber außerordentliches Interesse an einem Besuch in der DDR bekundet und die diesbezüglich vom Kardinal ausgehenden Initiativen hoch gewürdigt.
Der Papst habe Kardinal Meisner ermutigt, in dieser Frage nicht ungeduldig zu werden und auch Verständnis für die seitens des Staates vorgebrachten Standpunkte aufzubringen. Er appellierte an Kardinal Meisner, nur aus Verhandlungen, die durch gegenseitiges Verständnis geprägt seien, würden sich neue Wege, die zum Erfolg führten, ergeben. Als Beispiel habe er seine erste Reise in die Volksrepublik Polen, in seine polnische Heimat, angeführt.8
Viele dieser Reise entgegengestandene Hindernisse seien erst in der Vorbereitungsphase nach und nach beseitigt worden.
Der Papst habe zum Abschluss des Gesprächs zu den aufgeworfenen Problemen folgende grundsätzliche Standpunkte bezogen:
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Die Bedenken der Regierungsstellen der DDR hinsichtlich einer Begegnung in Dresden sollten respektiert werden. Die Wahl der Hauptstadt der DDR als möglicher Ort einer Begegnung mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR wäre realistisch und könnte bei vorbereitenden Gesprächen nicht ausgeklammert werden.
In diesem Falle müsste jedoch auch ein Besuch der Gläubigen in Westberlin erwogen werden, da er bei einem Aufenthalt in der Hauptstadt Berlin auch den Gläubigen im Westteil des Bistums Berlin seine Referenz erweisen müsste.
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Der Vatikan bekenne sich nach wie vor zur Schlussakte von Helsinki. Jedoch könne daraus nicht die Sanktionierung einer Veränderung der Amtsbereiche der katholischen Kirche in der DDR abgeleitet werden. Dazu bedürfe es weitergehender Überlegungen sowie entsprechender schriftlicher und juristischer Vereinbarungen und Festlegungen seitens des Vatikans.
Es müsste in diesem Zusammenhang davon ausgegangen werden, dass die »Deutsche Bischofskonferenz« (BRD) gegen einen derartigen Akt votieren werde und der Vatikan deshalb gegenwärtig keine Möglichkeiten der Veränderungen sehe.
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Am Rande der Konferenz der Teilnehmerstaaten der KSZE über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa Mitte September 1986 in Stockholm9 hätten auf Initiative des DDR-Vertreters Gespräche zwischen diesem und dem vatikanischen Vertreter stattgefunden, in denen die DDR-Seite Interesse an einem Gespräch zwischen Außenminister Fischer10 und Erzbischof Silvestrini beim 4. KSZE-Folgetreffen in Wien angezeigt hätte. Obwohl derartige Vereinbarungen – ohne Nennung eines besonderen Gesprächsgegenstandes – üblich seien, werde erwartet, dass sich beide Gesprächspartner auch gegenseitig zu den Fragen eines möglichen Besuches seinerseits in der DDR konsultieren.
Der Papst habe Kardinal Meisner orientiert, zunächst das Gespräch zwischen Außenminister Fischer und Erzbischof Silvestrini abzuwarten, bevor weitere konkrete Aktivitäten hinsichtlich seines möglichen Besuches in der DDR unternommen werden sollten. Nach diesem Zusammentreffen wolle der Papst Kardinal Meisner zu einer erneuten Audienz in Rom empfangen, um weitere Schritte zu beraten. Unter anderem solle erwogen werden, ob sich Kardinal Meisner nach Abstimmung mit dem Papst im Anschluss an die Audienz in einem offiziellen Schreiben wegen des Besuches des Papstes in der DDR an die Regierung der DDR wendet.
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