Mobiles Friedensseminar und Mecklenburgische Friedenswanderung
21. August 1986
Information Nr. 386/86 über Inhalt und Verlauf des »V. mobilen Friedensseminars« und der »Mecklenburgischen Friedenswanderung 86« im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs
Im Zeitraum vom 2. bis 15. August 1986 fanden in Orten der Bezirke Neubrandenburg und Schwerin in Fortsetzung analoger Veranstaltungen der Vorjahre das »V. mobile Friedensseminar« des »Friedenskreises« Vipperow, [Bezirk] Neubrandenburg,1 und die »Mecklenburgische Friedenswanderung 86« der »Schalom-Gemeinschaft« Rostock2 statt.3
Inspiratoren und Organisatoren dieser langfristig vorbereiteten Veranstaltungen waren erneut die hinlänglich bekannten Pfarrer Meckel/Vipperow,4 Gutzeit/Schwarz,5 Kreis Neustrelitz, Hübener/Rambow,6 Kreis Waren, Vikar Utpatel/Neubrandenburg7 sowie Heiko Lietz/Güstrow.8
Zur vorbeugenden Verhinderung des politischen Missbrauchs der genannten Veranstaltungen wurden durch die zuständigen staatlichen Organe im engen Zusammenwirken mit dem MfS umfassende und vielfältige differenzierte Maßnahmen eingeleitet und realisiert.
Schwerpunkte bildeten die Gespräche mit kirchenleitenden Kräften, Pfarrern und mit Organisatoren sowie der Einsatz gesellschaftlicher Kräfte in den Veranstaltungsorten.
Die Mehrzahl der kirchlichen Amtsträger nahm, wie in den Gesprächen zugesichert, in differenzierter Form Einfluss auf die Wahrung des religiösen Charakters der Veranstaltungen.
Entsprechend zentraler Festlegungen wurde Bürgern aus nichtsozialistischen Staaten, die bereits bei vorangegangenen Aufenthalten in der DDR kirchliche Veranstaltungen für politisch-negative Aktivitäten missbraucht hatten und die eine erneute Teilnahme am »V. mobilen Friedensseminar« und der »Friedenswanderung 86« in den Bezirken Neubrandenburg und Schwerin beabsichtigten, für diesen Zeitraum die Einreise in die DDR nicht gestattet.
Das enge und arbeitsteilige Zusammenwirken aller zuständigen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Kräfte und die zielstrebige Realisierung komplexer Maßnahmen führte zu einer beträchtlichen Verunsicherung der Veranstalter und trug entscheidend dazu bei, dass die Zielstellung der Organisatoren, im Sinne politischer Untergrundtätigkeit wirkende Kräfte politisch und organisatorisch zu festigen, sie für sogenannte blockübergreifende Aktivitäten9 zu motivieren und zu mobilisieren, nicht erreicht wurde. Streng internen Hinweisen zufolge schätzten einige Organisatoren des »Friedensseminars« dessen Ergebnisse als enttäuschend ein. Hinzu kamen vielfältige organisatorische Mängel, die mehrere Teilnehmer veranlassten, unverzüglich wieder abzureisen bzw. ihre Nichtteilnahme an weiteren derartigen Zusammenkünften anzukündigen. Wiederholt wurden Zweifel am Nutzen solcher Veranstaltungen und an der Notwendigkeit ihrer weiteren Fortsetzung geäußert.
Ungeachtet dessen waren besonders die Organisatoren des »Friedensseminars« sowie dort anwesend gewesene Führungskräfte des »Friedenskreises« Pankow/Berlin10 (u. a. Pastorin Ruth Misselwitz,11 Uwe Dähn)12 fortgesetzt bestrebt, besonders in die Gruppengespräche politisch negative bis feindliche Inhalte hineinzutragen und entsprechende Materialien zu verfassen.
Hervorzuheben sind insbesondere die Zusammenkünfte des Mitarbeiters der Bundestagsfraktion der Partei »Die Grünen«, Lothar Probst13 (dem auf zentralen Entscheid die Einreise gestattet worden war) mit feindlich-negativen Kräften im Rahmen der »Friedenswanderung« sowie die Anwesenheit und Beteiligung von mehreren Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland am »V. mobilen Friedensseminar«. (Letztere sind bisher nicht mit politisch negativen Aktivitäten in der DDR in Erscheinung getreten).
Zu einigen beachtenswerten Aspekten des »V. mobilen Friedensseminars«:
Das Programm beinhaltete im Wesentlichen die Durchführung von dezentralisierten thematischen Gruppenveranstaltungen in fünf evangelischen Kirchengemeinden – erstmals unter Einbeziehung von Teilnehmern einer Wasserwander- und Radwandergruppe –, einem Gottesdienst am 9. August 1986 – erstmalig in einer katholischen Kirche in Neubrandenburg – und dem Abschlussgottesdienst mit allen Beteiligten am 10. August 1986 in der evangelischen Johanniskirche in Neubrandenburg, der dem 41. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki14 gewidmet war.
Die Teilnehmerzahl an den Veranstaltungen betrug zeitweilig bis zu 120 Personen, davon ca. 25 Kinder. Unter den Anwesenden befanden sich zahlreiche Vertreter von »Friedenskreisen« aus der Hauptstadt der DDR, Berlin, sowie drei BRD-Bürger, zwei österreichische, ein schwedischer Bürger und ein Bürger aus Westberlin, die sich mit unterschiedlicher Intensität an den Veranstaltungen beteiligten.
Mit Ausnahme der Gesprächsrunden in Vipperow und anfänglich in Schwarz entsprachen die dezentralisierten Gruppenveranstaltungen in den anderen Kirchengemeinden nicht den Erwartungen der Veranstalter.
Bedingt durch das Fehlen eingeladener Gesprächsleiter (u. a. Wolfgang Templin/Berlin)15, durch Desinteresse und Passivität der Anwesenden sowie durch vorhandene Spannungen zwischen den Teilnehmern blieben die Diskussionen in der Regel in Ansätzen stecken, gelang es den Veranstaltern nicht, abgesehen von einer verfassten Eingabe wegen Einreiseverweigerungen für Bürger aus nichtsozialistischen Staaten, schriftliche Materialien fertigzustellen. (In dieser Eingabe wird gefordert, die Gründe für diese Zurückweisungen darzulegen und solche Begegnungen künftig nicht mehr zu behindern.)
Grundlage für die Gesprächsrunde in Vipperow bildete ein von Pfarrer Meckel an die Gesprächsteilnehmer übergebenes 19-seitiges Material, verfasst vom »Europäischen Netzwerk für den Ost-West-Dialog«.16 (Diese Organisation wurde im Juli 1984 von antikommunistischen Gruppen und Kräften der sogenannten blockübergreifenden Friedensbewegung und antisozialistischen Emigranten in Perugia/Italien gegründet. Das erwähnte Material wurde feindlich-negativen Kräften in der DDR und anderen sozialistischen Staaten übergeben, verbunden mit der Aufforderung, dazu Stellungnahmen und Standpunkte zu erarbeiten und diese an eine Kontaktadresse des »Netzwerkes« in Wien zu übersenden mit dem Ziel, es als »Dokumentation« der »europäischen Friedensbewegung« an die KSZE-Folgekonferenz im November 1986 in Wien17 zu übergeben. Es beinhaltet pseudopazifistische Aussagen zur Friedensproblematik und enthält unter Bezugnahme auf Abschnitt 3 der KSZE-Schlussakte detaillierte Forderungen nach »Freizügigkeit für Menschen, Meinungen und Informationen« sowie für »ungehinderte Aktionsmöglichkeiten unabhängiger Gruppen in Ost und West«.)18
Dieses Material bestimmte weitgehend den Inhalt der Diskussionen in Vipperow, zumal der an dieser Gesprächsrunde beteiligte Westberliner Einwohner Tugendhat,19 Professor für Philosophische Ethik an der »Freien Universität«, diese Thematik ständig in den Mittelpunkt rückte.
Pfarrer Meckel sprach sich für eine »Demokratisierung des Sozialismus« aus. In dem Meinungsaustausch zum Begriff Recht wurden u. a. solche Forderungen erhoben wie das Recht auf Wehrdienstverweigerung,20 auf freie Meinungsäußerung und auf den Zugang/Erhalt von Informationen »von allen Seiten«.
Das fortgesetzte Bemühen Pfarrer Meckels, den Inhalt der Diskussion in Form einer schriftlichen Stellungnahme noch während der Gruppenarbeit zusammenzufassen (Brief an das »Netzwerk«) scheiterte an den gegensätzlichen Auffassungen der Teilnehmer.
Die Diskussionen in Schwarz, maßgeblich beeinflusst durch Pfarrer Gutzeit, beinhalteten insbesondere bekannte politisch negative Standpunkte zu Problemen der Volksbildung (»Bevorzugung« von Studierenden bei Ergreifen eines militärischen Berufes, »Benachteiligungen« in Ausbildung und Beruf), zur Informationspolitik der DDR und zu Reisemöglichkeiten für DDR-Bürger in das nichtsozialistische Ausland.
Gehaltene Vorträge zur Problematik »Dritte Welt« und »Ost-West-Konflikte« fanden wenig Resonanz bei den Teilnehmern. Die Vorträge enthielten keine offenen Angriffe gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung.
Des Weiteren wurden die Teilnehmer mit dem Entwurf einer Eingabe an den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR vertraut gemacht, in der die Kirchenleitung u. a. aufgefordert wird, in allen Landeskirchen Beauftragte für Umweltarbeit zu benennen, bei der Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter ökologische Grundkenntnisse zu vermitteln sowie zu einem einfacheren Lebensstil und zu einer neuen Wertorientierung beizutragen.
An dem Abschlussgottesdienst am 10. August 198621 in der Johanniskirche in Neubrandenburg nahmen ca. 250 Personen, darunter 80 Teilnehmer des »V. mobilen Friedensseminars« teil. Die Predigt des zuständigen Gemeindepfarrers enthielt keine politisch-negativen Aussagen.
Die »Mecklenburgische Friedenswanderung 86« fand im Zeitraum vom 9. bis 15. August 1986 statt.
Beteiligt waren zeitweilig bis zu 15 Personen, darunter einige Führungskräfte des Schweriner »Frauenfriedenskreises«22 sowie vier Niederländer und der Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Partei »Die Grünen«, L. Probst.
Nach erfolgter Teilnahme an den Abschlussveranstaltungen des »V. mobilen Friedensseminars« in Neubrandenburg begaben sich die Beteiligten in die Kirchengemeinde Kirch Kogel, Kreis Güstrow, [Bezirk] Schwerin, wo sie im dortigen Rüstzeitheim Gespräche führten und an Arbeitseinsätzen teilnahmen.
Die realisierten Reisesperren gegenüber einigen vom Organisator Heiko Lietz persönlich eingeladenen Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland verhinderten dessen Absicht, dieser »Wanderung« den Charakter eines »Ost-West-Treffens« zu verleihen. Sie veranlassten Lietz zu enttäuschten Reaktionen sowie zu einer Reduzierung des Veranstaltungsprogramms.
Die seitens kirchenleitender Kräfte gegenüber den Vertretern staatlicher Organe gegebenen Zusagen zur Verhinderung des politischen Missbrauchs der Veranstaltung und zur Wahrung von Ordnung und Sicherheit wurden eingehalten. Besonders Oberkirchenrat Schwerin/Schwerin23 traf entsprechende innerkirchliche Festlegungen, die von ihm auch kontrolliert und durchgesetzt wurden.
Im gesamten Veranstaltungszeitraum kam es zu keinen öffentlichkeitswirksamen demonstrativ-provokatorischen Handlungen.
Es wird vorgeschlagen:
- 1.
Die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke Neubrandenburg und Schwerin für Inneres sollten in Gesprächen mit den Landessuperintendenten Winkelmann/Neustrelitz24 und Timm/Malchin25 sowie mit Oberkirchenrat Schwerin/Schwerin eine Auswertung der Veranstaltungen vornehmen. Dabei sollten die Bemühungen kirchenleitender Personen zur Wahrung des religiösen Charakters der Veranstaltungen anerkannt, jedoch auch unmissverständlich zum Ausdruck gebracht werden, dass einige kirchliche Amtsträger und andere Kräfte, darunter auch Bürger nichtsozialistischer Staaten, wie bereits auf analogen Veranstaltungen in den Vorjahren erneut in kirchlichen Räumen stattgefundene Zusammenkünfte politisch missbrauchten. Unter Hinweis auf die besonders von den Pfarrern Meckel, Gutzeit, Hübner sowie von Vikar Utpatel und Heiko Lietz initiierten Versuche der Einmischung in innerstaatliche Angelegenheiten ist mit Nachdruck zu fordern, disziplinierend auf die genannten Personen einzuwirken.
Den Gesprächspartnern ist nahezulegen, ihren Einfluss dahingehend geltend zu machen, dass aus dem Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs zu dem für die Zeit vom 27. Februar bis 1. März 1987 in Leipzig geplanten Seminar »Konkret für den Frieden V.«26 nur solche Personen entsandt werden, die im Sinne des Beschlusses der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (31.1. bis 2.2.1986)27 zur Friedensverantwortung der evangelischen Kirchen in der DDR wirken. (Bereits jetzt liegen erste Hinweise über Absichten des Wirksamwerdens solcher reaktionären kirchlichen Kräfte wie Pfarrer Eppelmann/Berlin28 und Pfarrer Tschiche/Samswegen29 in Vorbereitung und Durchführung dieses Seminars vor. Beide Personen gehören der Vorbereitungsgruppe – Fortsetzungsausschuss – des genannten »Seminars« an.)
- 2.
Gegen die mit politisch negativen Aktivitäten auf den Veranstaltungen in Erscheinung getretenen Personen aus dem nichtsozialistischen Ausland sollten zeitweilige Reisesperren verfügt werden.
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