Ökumenische Versammlung christlicher Friedensgruppen
5. Januar 1987
Information Nr. 569/86 über die 2. Ökumenische Versammlung christlicher Friedensgruppen in Siegen/BRD
Die 2. Ökumenische Versammlung christlicher Friedensgruppen der BRD fand in der Zeit vom 21. bis 23. November 1986 in Siegen/BRD unter dem Motto »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« (Kurzbezeichnung: »Siegen II«) statt.
Die Versammlung »Siegen I« hatte erstmalig 1984 in Siegen getagt. Der Trägerkreis dieses Gremiums besteht aus Vertretern von ca. 40 kirchlichen bzw. christlichen Friedensgruppen der BRD, darunter der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste,1 der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)2, des Bundes Religiöser Sozialisten,3 der Christen für den Sozialismus,4 der Christen für die Abrüstung,5 der Christlichen Friedenskonferenz (CFK),6 von Pax Christi,7 des Versöhnungsbundes.8
Die Ökumenische Versammlung stellt sich das Ziel, die Vertreter der genannten kirchlichen Friedensgruppen in der BRD zu einem Bund für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung zusammenzuschließen, um im Rahmen des konziliaren Prozesses9 eindeutigere kirchliche Positionen im kirchlichen Friedensengagement abzustecken und verbindliche Aufgaben für die kirchliche Friedensarbeit in der BRD festzulegen.
Die Ökumenische Versammlung Siegen bezieht sich als Ausgangspunkt ihres Wirkens auf zentrale Beschlüsse internationaler kirchlicher Gremien zur Unterstützung des Kampfes um Frieden, insbesondere auf Beschlüsse der VI. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver/Kanada 198310 und die dort getroffene zentrale Aussage, dass die Herstellung von Atomwaffen in christlicher Auslegung ein »Verbrechen an der Menschheit« bedeute.
Während bei der 1. Ökumenischen Versammlung in Siegen 1984 die Tendenz des Zusammenschlusses, begrenzt auf das Territorium der BRD, im Mittelpunkt stand, waren während der 2. Ökumenischen Versammlung stärkere Bestrebungen zur Ausweitung über die Grenzen der BRD hinaus festzustellen.
In diesem Zusammenhang ist das Gremium bemüht, sich als eine »weltweite Bewegung« zu entwickeln und durch Einladungen an Vertreter offizieller kirchlicher Gremien und Friedensgruppen anderer Staaten sowie anderer Glaubensrichtungen sowie durch Herstellung und Intensivierung von Kontakten ihren Einflussbereich zu erhöhen.
An der Versammlung nahmen 1 100 Vertreter kirchlicher bzw. christlicher Gruppen sowie örtlicher Friedensinitiativen teil, darunter 50 ökumenische Gäste. Zu den ökumenischen Gästen gehörten u. a. namhafte Vertreter vom Interkirchlichen Friedensrat der Niederlande (IKV), des britischen END,11 der »Waldenser«/Italien und Erzpriester Fedorov/Geistliche Akademie Leningrad.12
Aus der DDR waren zwölf Vertreter angereist, und zwar vom Bund Evangelischer Kirchen (BEK) in der DDR Garstecki/Berlin13 (Studienreferent in der Studienabteilung des BEK), Schorlemmer/Wittenberg14 (Gemeindepfarrer), Passauer/Berlin15 (Gemeindepfarrer), als Vertreter der Christlichen Friedenskonferenz/Regionalausschuss DDR Prof. Fink/Humboldt-Universität Berlin16 (Vorsitzender der CFK/Regionalausschuss DDR), Ordnung/Berlin17 (Regionalsekretär CFK DDR), Günther/Berlin18 (Leiter Pressestelle BEK), als Vertreter der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens Körner/Mittweida19 (Gemeindepfarrer, Vorsitzender der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens)20, Vogel/Karl-Marx-Stadt21 (Pfarrer ESG)22, Wittenberger/Grimma23 (Gemeindepfarrer), Feurich/Dresden24 (Sekretär der Kirchlichen Bruderschaft Sachsens) und als Vertreter der Aktion Sühnezeichen Standera/Bernau25 (Geschäftsführer der AS/DDR) sowie Waldmann/Potsdam26 (Gemeindepfarrer).
Circa 20 % der Teilnehmer waren Katholiken, überwiegend katholische Priester aus der BRD, die jedoch im Verlauf der Tagung zurückhaltend auftraten.
Die Tagesordnung sah vor:
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21.11.1986 – Eröffnung, Grußworte
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22.11.1986 – Plenarsitzung, Vorträge zum Motto der Versammlung, Diskussion in 50 verschiedenen Arbeitsgruppen zum Versammlungsthema
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23.11.1986 – Abschlussplenarsitzung, Berichte aus den Arbeitsgruppen, Verabschiedung eines gemeinsamen Dokuments, des sogenannten Bundesmanifestes.
Vorliegenden internen Hinweisen zufolge kam es während der offiziellen Veranstaltungen zu keinen antisozialistischen Provokationen.
Grußworte, Vorträge und Diskussionen beinhalteten ungeachtet der unterschiedlichsten politischen Standpunkte und Auffassungen der Anwesenden überwiegend politisch realistische Aussagen zur Förderung des Friedensgedankens und zur Schaffung gerechterer Strukturen in der Welt.
Zum Verlauf der 2. Ökumenischen Versammlung erscheint beachtenswert:
Obwohl die Teilnehmer aus der DDR im Verlauf der Tagung nicht als geschlossene Delegation in Erscheinung traten, wurde von Garstecki im Namen der DDR-Vertreter am ersten Beratungstag vor dem Plenum ein Grußwort gehalten. Er vertrat die bekannten Positionen der evangelischen Kirchen in der DDR zum kirchlichen Friedensengagement und forderte z. B., »Friedensappelle nach allen Seiten zu richten«.
Als einziger Referent während der Eröffnungsveranstaltung verwies er zustimmend auf die Friedensvorschläge des Generalsekretärs des ZK der KPdSU27 und äußerte Betroffenheit über »die jüngsten Beispiele feindseliger Rhetorik« in der BRD, die »mühsam aufgebautes politisches Vertrauen zerstören«. (Der Wortlaut der Ausführungen Garsteckis liegt dem MfS vor und kann bei Bedarf angefordert werden.)
Positiv aufgenommen wurde das Grußwort von Erzpriester Fedorov, das zur progressiven Ausrichtung der Versammlung beitrug.
Verlesen wurde ein Grußschreiben von Kardinal König/Wien28 (Präsident von Pax Christi Internationalis). Darin teilte er mit, dass die letzte Generalversammlung von Pax Christi beschlossen habe, am konziliaren Prozess teilzunehmen.
Das Grußschreiben von Erzbischof Degenhardt/Paderborn29 war unverbindlich.
Vertreter aus Nicaragua30 und Südafrika31 gaben Situationsberichte aus ihren Ländern mit klaren antiimperialistischen Aussagen.
Am zweiten Beratungstag wurden Vorträge gehalten durch den Vertreter des ÖRK,32 Dr. Preman Niles/Sri Lanka,33 der für den konziliaren Prozess34 in Genf zuständig ist, und durch Dr. Martin Stöhr,35 langjähriger Leiter der Evangelischen Akademie Arnoldshain/BRD.
Niles, der in der Mehrzahl seiner Aussagen allgemein blieb, betonte, es käme darauf an, die Zusammenarbeit zwischen Friedensgruppen und Kirchen zu intensivieren, um die Weltversammlung der Kirchen 1990, »Konzil des Friedens«, zielgerichteter vorzubereiten. Stöhr setzte sich zum Teil kritisch mit der Situation in der BRD auseinander und forderte, mehr für den Frieden zu tun. Er betonte, Christen dürften den Plan für eine atomwaffenfreie Welt bis zum Jahre 2000 nicht als Illusion abweisen. Gleichzeitig trat er für die »Kriegsdienstverweigerung als deutlicheres Friedenszeugnis« ein.
Der Schwerpunkt der Versammlung lag in der Arbeit von über 50 kleineren Arbeitsgruppen, wo zum Versammlungsthema aus unterschiedlichen Aspekten diskutiert wurde.
Die zwölf Vertreter aus der DDR wirkten jeweils einzeln in zwölf verschiedenen Arbeitsgruppen mit. Internen Hinweisen zufolge traten insbesondere die Vertreter der CFK/DDR progressiv in Erscheinung.
Damit wurde Versuchen Garsteckis, sich als Sprecher aller kirchlichen Gruppen in der DDR zu präsentieren, entgegengewirkt.
Internen Hinweisen zufolge zeigten sich Vertreter der CFK/DDR enttäuscht über die ungenügende Teilnahme und schwache Beteiligung der CFK der BRD an der Versammlung in Siegen. Damit seien Möglichkeiten verschenkt worden, weitere progressive Beiträge einzubringen. Vertraulich äußerten leitende Mitarbeiter der CFK/DDR die Absicht, möglicherweise realistisch eingestellte leitende Vertreter der CFK/BRD für eine aktivere Mitarbeit in Siegen gewinnen zu wollen.
Die Arbeitsergebnisse der 50 Gruppen wurden in der Plenarsitzung in drei zusammengefassten Berichten vorgetragen. In diesen Berichten dominierten neutralistische Aussagen zur Friedensproblematik. Sie enthielten allgemein gehaltene Forderungen, den Friedensprozess zu unterstützen.
Da nicht alle 50 Arbeitsgruppen aus Zeitgründen ihre Diskussionsergebnisse im Detail vor dem Plenum vortragen konnten, wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, schriftlich formulierte Berichte durch Aushang bekannt zu machen.
In verschiedenen dieser Aushänge waren unter dem Aspekt, stärkere friedensfördernde Aktivitäten einzuleiten, u. a. folgende Forderungen enthalten:
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»Die Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion und die Auseinandersetzung mit dem Sozialismus soll Thema der nächsten Friedensdekaden36 werden.«
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»Verständigung mit Kirchengemeinden und Städten in den sozialistischen Ländern durch Erweiterung von Kontakten.«
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»Die Vorschläge von Generalsekretär Gorbatschow37 eine atomwaffenfreie Welt bis zum Jahre 2000 sind in den konziliaren Prozess einzubeziehen; die Kirchen sollen Druck auf die Regierungen ausüben, diese Vorschläge positiv aufzunehmen.«
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»Konkrete Stellungnahme für Minderheiten«.
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»Wir fordern von den Kirchen eine Denkschrift mit Tatsachen der deutschen Schuld gegenüber der Sowjetunion«.
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»Der Antikommunismus ist abzubauen. Dazu sollen Kommunisten zu gemeinsamen Friedensgesprächen eingeladen und die UdSSR-Friedens- und Abrüstungsvorschläge ins kirchliche Gespräch eingebracht werden«.
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»Umkehr zu neuem Denken, Reden und Tun: statt SDI-Teststopp38 und Sicherheitspartnerschaft; statt Militärseelsorge – Kriegsdienstverweigerung; statt Volkskirche – Friedenskirche«.
Die Forderung nach Abbau des Antikommunismus und zu einem neuen Verhältnis zur Sowjetunion war in den Aushängen mehrfach enthalten. Mit Blick auf die Dritte Welt wurde die »Ausarbeitung einer an den Interessen der Armen orientierten Wirtschaftsethik und ein Schuldenerlass für die Entwicklungsländer« gefordert. Außerdem wurde gefordert, die Kirche müsse »ihre Rolle im kapitalistischen System analysieren und daraus Konsequenzen für ihre Strukturen ziehen«.
Im Plenum kursierte ein von der Solidarischen Kirche in Westfalen entworfenes Schreiben an den Botschafter der UdSSR in Bonn, das eine Entschuldigung für die antisowjetischen Ausfälle39 von Bundeskanzler Kohl40 enthielt und unterstrich, die Mehrheit der Bevölkerung der BRD trete für die Freundschaft mit der Sowjetunion ein. Dieses Schreiben wurde von mehreren hundert Teilnehmern unterzeichnet.
Als Abschlussdokument der 2. Ökumenischen Versammlung in Siegen hatten Vertreter der ca. 40 Trägergruppen dieses Gremiums ein sogenanntes Bundesmanifest für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vorbereitet, dem im Plenum zugestimmt wurde. Von der Leitung der Tagung war dazu keine Diskussion vorgesehen worden, um – wie intern bekannt wurde – Kontroversen zu vermeiden. In der Vorbereitungsphase für dieses Dokument sei es zu starken Spannungen zwischen den die SPD-Position vertretenden Gruppen – wie Sühnezeichen und AGDF – und den linkeren Gruppen – wie CfA, CFK, CFD, Versöhnungsbund – hinsichtlich der detaillierten Formulierung von Grundsätzen gekommen. Dadurch trägt das »Bundesmanifest« Kompromisscharakter, offensichtlich mit dem Ziel, die Ökumenische Versammlung Siegen für weitere christliche Gruppen zu öffnen.
Das »Bundesmanifest« enthält sowohl solche realistischen Forderungen wie die Beendigung der Weltraumrüstung und weiterer Atomversuche, die Schaffung einer Sicherheits-Partnerschaft und Abbau des Antikommunismus, als auch Forderungen nach Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung und sofortiger Stilllegung aller Atomanlagen.
Breiten Raum nehmen Fragen des Lebensstils ein.
Das »Bundesmanifest« wurde allen Teilnehmern zur weiteren Verwendung und Verbreitung ausgehändigt. (Der Wortlaut wird als Anlage beigefügt.)
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt!
Anlage zur Information Nr. 569/86
Einladung zu einem Bundesmanifest: Beitrag der 2. Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung – Siegen, 21. bis 23. November 1986
- 1.
Kirchen und Christen sind herausgefordert, für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einzutreten. Die Antwort auf die Herausforderungen kann nicht beliebig bleiben. An ihr entscheidet sich heute Nachfolge oder Verleugnung Jesu. Weil wir im Glauben eine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit finden wollen, haben wir uns versammelt.
- 2.
Im Hören auf Gottes Wort sind wir vor die Entscheidung gestellt, wem wir dienen wollen: dem lebendigen und befreienden Gott, dem Vater Jesu Christi, dessen Bundesvolk wir sind, oder den Götzen unserer Zeit; den Götzen des Todes in Rassismus, Sexismus, wirtschaftlicher Ausbeutung, Militarismus und im Missbrauch von Wissenschaft, Technologie und Macht. Solche Momente, in denen sich das Volk Gottes von neuem auf den Weg macht, um Gott zu dienen, Buße zu tun und umzukehren von falschen Wegen nennt die biblische Überlieferung Bundeserneuerung.
- 3.
Der Weg zu einem Konzil des Friedens und der Gerechtigkeit für die Menschen und die ganze Schöpfung ist ein solcher Prozess der Bundeserneuerung.
Gott hat in Jesus Christus die Welt mit sich und die Menschen untereinander versöhnt. In der Geschichte mit seinem Volk Israel und im Leben Jesu Christi hat er uns gezeigt, wozu wir berufen sind: zu Schwestern und Brüdern in der einen Menschheit. Im Abendmahl/Eucharistie feiern wir als Glieder an dem einen Leib Christi den Bund des Friedens und der Gerechtigkeit. Weil Gott für uns diesen Bund eröffnet hat, können wir uns auf den Weg der Ausbreitung dieses Bundes machen: der Vermehrung von Gerechtigkeit und Frieden, der Bewahrung der Schöpfung, der Aufrichtung von gesunden, heilen und ganzen Beziehungen.
- 4.
Wir wollen uns auf den Weg machen, den Bund Gottes zu bekräftigen und anzunehmen in unserem Tun und Unterlassen. Darum prüfen wir unser eigenes Leben und die Strukturen, in denen wir leben, ob sie Gebot und Willen Gottes entsprechen. Wir wollen erkennen, wessen Bundesgenossen wir sind, in welche Abhängigkeiten wir uns begeben haben, um dann zu konkreten Schriften der Umkehr zu gelangen.
- 5.
Wir erklären:
Es darf um Gottes Willen nicht sein, dass wir gegeneinander Krieg führen.
Aber wir sind eingebunden in das System der atomaren Abschreckung und seines militärisch-industriellen Komplexes, das die Welt spaltet, Hunger und Armut vergrößert und die Feindschaft institutionalisiert.
Militärische Sicherheit ist zu einem Götzen unserer Zeit geworden.
Das Abschreckungssystem verheißt uns Frieden und fordert den Gehorsam gegenüber seiner eigenen Logik und seinen Gesetzen.
Aber dieser Friede ist kein Friede. Es ist der Frieden der Reichen auf Kosten der Armen. Dieser »Friede« produziert zu seiner Aufrechterhaltung immer neue Ängste und immer weitere Aufrüstung.
Die Produktion von Rüstungsgütern und deren Export verheißt wirtschaftlichen Profit. Die Entwicklung von Weltraumwaffen und die Utopie der Unverwundbarkeit zur Beherrschung der Welt, Kriegsführungsstrategien und die dazugehörenden Waffensysteme lassen einen globalen Krieg immer wahrscheinlicher werden, der die Zerstörung allen Lebens bedeutet.
Zu diesem Thema war es aus zeitlichen Gründen nicht möglich, sich auf Beispiele zu einigen.
Als Herausforderungen an das politische Handeln der Kirchen wurden unter anderem oft genannt: Eintreten gegen Weltraumrüstung und weiteren Atomversuchen; Absage an die Götzen Sicherheit und Abschreckung, Eintreten für Sicherheitspartnerschaft; Schritte zur Aussöhnung mit den Völkern der Sowjetunion und zum Abbau des Antikommunismus; Unterstützung gewaltfreier Widerstandsformen und Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung als dem deutlicheren Zeichen. Als Herausforderungen an die Kirchen, selbst Kirche des Friedens zu werden, wurden unter anderem oft genannt: Infragestellung der Struktur der Militärseelsorge, Einrichtung und Unterstützung eigener Friedensdienste.
- 6.
Wir erklären:
Es darf um Gottes Willen nicht sein, dass wir einander das tägliche Brot verweigern.
Aber wir sind eingebunden in ein kapitalistisches Wirtschaftssystem und eine Weltwirtschaftsordnung mit ihren transnationalen Konzernen und Banken, in denen eine privilegierte Minderheit die Mehrheit der Menschheit ausbeutet. Der Grundsatz der Gewinnvermehrung wird über die Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Menschen gestellt.
Hunger ist kein Schicksal. Hunger wird gemacht. Er ist ein Produkt ungerechter Verteilung von Lebensmitteln, Rohstoffen und Produktionsgütern. Während in der EG mit hohem finanziellem Aufwand Jahr für Jahr Lebensmittel vernichtet werden, verhungern jährlich 40 Millionen Menschen und lebt ein Viertel der Menschheit unterhalb der Existenzgrenze. Das herrschende Weltwirtschaftssystem ist dem rassistischen Apartheidsystem vergleichbar, denn es enthält den meisten Völkern die Beteiligung an der wirtschaftlichen und politischen Macht vor. Es schafft strukturelle Arbeitslosigkeit und fördert politische Unterdrückung und die Verletzung der Menschenrechte um des Profits Willen. In der Schuldenkrise agiert der Internationale Weltwährungsfonds als neo-koloniales Instrument zur ökonomischen und ideologischen Kontrolle der armen Länder. Unser Reichtum ist die Armut der Anderen. Aber noch immer meinen wir, das Elend der Menschen besser ertragen zu können als die Mühen der Veränderung.
Als Herausforderungen an die Kirchen für ihr politisches Handeln wurden mit Vorrang genannt: Eintreten für umfassende und bindende Sanktionen gegen die Republik Südafrika; Eintreten für einen Schuldenerlass zugunsten der 2/3-Welt.41
Als Herausforderungen an die Kirchen, Kirche der Gerechtigkeit zu werden, wurden mit Vorrang genannt: Abbruch der Verbindungen zu Banken, die mit Südafrika Geschäftsbeziehungen unterhalten; Revision der eigenen wirtschaftlichen und finanziellen Struktur gemäß den Kriterien von Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
- 7.
Wir erklären:
Es darf um Gottes Willen nicht sein, dass wir die Schöpfung zerstören.
Aber wir sind eingebunden in ein Zusammenspiel von Wissenschaft und Technologie, das die Grenzen dessen überschreitet, was der Schöpfung zugemutet werden kann. Im Machbarkeits- und Fortschrittswahn treibt der Mensch zu Taten, die vor der Natur und den Menschen nicht mehr verantwortet werden können. Das wird besonders deutlich an der militärischen und zivilen Nutzung der Atomenergie.
Die Endlichkeit der Ressourcen und die begrenzte Belastbarkeit der Erde wird missachtet. In unserem Lebensstil und unseren Produktionsmethoden verkennen wir das Lebensrecht der Schöpfung, in dem das Leben der Menschen wurzelt. Der Grundbestand der Schöpfung wird angegriffen: Der natürliche Kreislauf der Natur zerstört, Atome gespalten und Gene manipuliert. Zur Haushalterschaft sind wir aufgefordert, aber wir leben über unsere Verhältnisse. Als Treuhänder für unsere Kinder haben wir die Erde empfangen. Aber wir leben so, als käme nach uns die Sintflut.
Als Beispiel für die Herausforderung an das politische Handeln der Kirchen wurde genannt: Eintreten für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen.
- 8.
Über diese Thesen haben wir unter uns Übereinstimmung gefunden. Sie sind das Ergebnis eines Lernprozesses, der nicht erst auf dieser Versammlung begonnen hat. In verschiedenen Versammlungen und Aktionen haben wir schon versucht, Schritte der Umkehr zu beschreiben und zu gehen. Wir sind betrübt, dass unsere Stimme dabei in unseren Gemeinden und Kirchen nicht immer als aufrichtiges Zeugnis für das Leben der Welt gehört worden ist. Wir verstehen uns als Teil dieser Kirchen. Aber in den Konflikten um Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung sehen wir heute die ganze Kirche vor Entscheidungen gestellt und zu gemeinsamem und eindeutigem Handeln herausgefordert. Worte allein genügen nicht mehr.
- 9.
Wir verpflichten uns darum untereinander und voreinander, für unser Leben Konsequenzen zu ziehen aus dem, was wir als Willen Gottes erkannt haben. Die Einsicht in unsere Mitverantwortung für die Strukturen der Ungerechtigkeit, des Unfriedens und der Schöpfungszerstörung darf nicht ohne Folgen bleiben.
Wir verpflichten uns zu einem Handeln, das sich gegen Geist, Logik und Praxis der Abschreckung stellt.
Als Beispiele für dieses Handeln nennen wir:
Solidarität mit Opfern der Rüstungsindustrie; Abbau von Feindbildern zwischen Völkern; Solidarität mit Asylanten; Unterstützung gewaltfreier Widerstandsformen.
Wir verpflichten uns zu einem Handeln, das sich an der Not und den Bedürfnissen der Armen, der politisch Verfolgten, der an den Rand Gedrängten, der Unterdrückten, an den Opfern von politischer, militärischer und wirtschaftlicher Gewalt orientiert.
Als Beispiele für dieses Handeln nennen wir:
Wir wollen aktiv für Boykott- und Sanktionsmaßnahmen gegen die Republik Südafrika eintreten. Wir wollen beginnen, eine Sanctuary-Bewegung42 in der Bundesrepublik aufzubauen.
Wir verpflichten uns zu einem schonenden Umgang mit der Natur, zu einem haushalterischen Umgang mit den Ressourcen der Erde und zum Widerstand gegen Technologien, deren direkte Auswirkungen und mögliche Gefahren für Mensch und Schöpfung so gefährlich sind, dass sie unverantwortbar sind.
Als Beispiele für dieses Handeln nennen wir:
Aus Dankbarkeit für Gottes Schöpfung verpflichten wir uns, unser Essen bewusster auszuwählen und einzunehmen. In unserer Kirche treten wir dafür ein, dass kirchliche Häuser und Einrichtungen nach diesen Grundsätzen geführt werden, bei Gemeindeveranstaltungen diese Grundsätze berücksichtigt werden, in der Gemeinde über den Zusammenhang zwischen unserer Ernährungsweise und dem Hunger in der Welt aufgeklärt wird.
Angesichts des Hungers in der Welt und der Zerstörung der Lebensgrundlagen treten wir als Kirche für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung und für die Bewahrung der Schöpfung ein. Wir fordern z. B., den Import von Futtermitteln für Tiere zu vermindern, den Import von Luxuslebensmitteln zu reduzieren, gerechte Preise für Agrarprodukte aus der Zweiten/Dritten Welt zu ermöglichen, den ökologischen Anbau zu fördern und die Massentierhaltung einzuschränken.
Die Prioritäten unseres jeweiligen Handelns mögen dabei verschieden sein, aber sie ergänzen sich und sind Teile eines gemeinsamen Prozesses der Umkehr.
- 10.
Wir haben uns untereinander informiert und Rechenschaft darüber abgelegt, was wir tun wollen, um den Bund mit Gott zu erneuern. Wenn wir zurückgehen in unsere Gruppen und Gemeinden, werden wir das Gespräch mit anderen suchen darüber, ob sie sich den jeweiligen Bundesverpflichtungen, die wir übernommen haben, anschließen können. Wir wollen uns in unserer unmittelbaren Umgebung umschauen nach denen, die gemeinsam mit uns auf dem Weg sind und mit ihnen zusammenarbeiten.
Dabei wollen wir uns besonders mit denen zusammenschließen, die von Ungerechtigkeit, Unfrieden und Schöpfungszerstörung betroffen sind; denen in der sogenannten »Dritten Welt« und denen in unserer eigenen Gesellschaft.
Wir wollen uns selbst und andere an Verpflichtungen erinnern, die wir schon eingegangen sind, z. B. Partnerschaften, und sie neu aktivieren und ausbauen. Wir wollen vor allem auch über die Grenzen unserer Konfessionen hinweg weiter zusammenbleiben und zusammenarbeiten.
- 11.
Wir wissen, dass unter uns Christen noch Uneinigkeit darüber besteht, was der heute gebotene Ausdruck unseres Gehorsams gegenüber Gottes Willen ist. Darüber muss der konziliare Streit weitergeführt werden. Aber wir wissen auch von schon vorhandener Übereinstimmung. Daran wollen wir uns orientieren und zu gemeinsamen Handlungsperspektiven gelangen. Wir hoffen, dass eine Bewegung unsere Kirchen erfassen wird, die die Welt nicht mehr übersehen und übergehen kann: eine Bewegung für das Leben und gegen den Tod, eine Bewegung, die sich der Mitwirkung an Krieg, Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung verweigert und in der treuen Nachfolge Jesu zeichenhaft eine andere Wirklichkeit des Reiches Gottes.
- 12.
Das Ziel einer eindeutigen und wechselseitigen Verpflichtung der Kirchen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist weit gesteckt. Der Weg dorthin wird aus Erfolgen, aber auch aus Durststrecken und Niederlagen bestehen. Zur Stärkung wollen wir auf unserem Weg das Feiern nicht vergessen. Wir wollen uns des Sabbats erinnern, des Tages des Bundes, und ihn feiern. Es ist der Tag der aktiven Selbstbegrenzung um des Recht der Schwachen und Armen Willen. In der Erinnerung an die Auferstehung Jesu und die Stiftung des Sabbats wollen wir die Durchbrechung der Gewohnheit feiern, wollen feiern, dass nicht alles so bleibt, wie es ist.