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Ordnung und Sicherheit bei Fußball-Oberligaspielen

2. September 1986
Information Nr. 397/86 über einige aktuelle Erkenntnisse zu Fragen der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei Spielen der Fußball-Oberliga der DDR

Nach dem MfS vorliegenden Erkenntnissen sind in Auswertung der »Information zur Lage auf Fußballplätzen und Vorschläge zur besseren Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit im Zusammenhang mit Fußballspielen« des ZK der SED,1 Abteilung für Sicherheitsfragen und Abteilung Sport unter Führung der territorial zuständigen Parteiorgane vielfältige abgestimmte Maßnahmen zur einheitlichen Um- und Durchsetzung dieser Orientierungen durch den DTSB der DDR, die Bezirksverbände des DTSB, die Leitungen der Fußballclubs/Sportgemeinschaften, zuständige staatliche Organe und weitere gesellschaftliche Organisationen und Kräfte sowie die Schutz- und Sicherheitsorgane eingeleitet und durchgeführt worden. Im Ergebnis aller vorbeugend eingeleiteten und durchgeführten staatlichen, gesellschaftlichen und anderweitigen spezifischen Maßnahmen konnten in der Spielsaison 1985/86 der Fußball-Oberliga der DDR insgesamt weitere Fortschritte bei der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit erzielt werden.

Als besonders wirksam erwiesen sich Beratungen unter Führung der Bezirksleitungen der SED mit Vertretern vorgenannter staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen mit der Zielstellung, in koordiniertem Vorgehen jegliche, die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Stadion sowie bei der An- und Abreise der Zuschauer beeinträchtigende Erscheinungen wie das Belästigen anderer Bürger, rowdyhafte Verhaltensweisen vor allem negativ-dekadenter, krimineller bzw. kriminell gefährdeter Jugendlicher/Jungerwachsener vorbeugend zu erkennen und zu unterbinden.

Damit wurden in der Spielsaison 1985/86 weitere wesentliche Grundlagen geschaffen und verstärkt Maßnahmen zur Qualifizierung der Wirksamkeit der vorbeugenden Arbeit im engen Zusammenwirken aller beteiligten staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte schrittweise um- und durchgesetzt.

Auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Präsidiums des Deutschen Fußballverbandes der DDR wurden in allen Fußballclubs Arbeitsgruppen Ordnung und Sicherheit geschaffen, die grundlegende Maßnahmepläne erarbeitet haben, deren inhaltliche Festlegungen für die laufende Spielsaison aktuell präzisiert werden.

Gute Erfahrungen liegen in diesem Zusammenhang besonders aus dem Bezirk Leipzig vor, wo auf der Grundlage einer Festlegung der Bezirksleitung der SED mit Beschluss des Rates des Bezirkes die Bildung einer Arbeitsgruppe Ordnung und Sicherheit unter Leitung des Mitglieds des Rates des Bezirkes für Jugendfragen, Körperkultur und Sport erfolgte.

Das Ziel dieser Arbeitsgruppe besteht in der Einflussnahme, Koordinierung und Kontrolle zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit bei der Durchführung von Fußballspielen.

In allen Oberliga-Mannschaften bestehen jetzt Sportordner-Verbände bzw. Gruppen, die bei Einlasskontrollen, zur Realisierung von Sicherungsaufgaben in den Stadien sowie bei der Begleitung der Fußballanhänger zu Auswärtsspielen zum Einsatz gelangen. Zur weiteren Erhöhung ihrer Wirksamkeit ist künftig noch eine qualifiziertere Orientierung und Instruierung erforderlich, um die noch vorhandene Fluktuationsrate in den Ordnungsgruppen zu verringern, das Eindringen von negativ-dekadenten Personen in die Ordnungsgruppen auszuschließen und nicht geeignete Kräfte herauszulösen.

Durch verantwortliche Sportfunktionäre des Deutschen Fußballverbandes der DDR wird eingeschätzt, dass jeder Fußballclub ca. 150 bis 200 Sportordner als Kaderstamm benötigt, um die gestellten Sicherungsaufgaben in hoher Qualität lösen zu können. Ihrer Auffassung zufolge sollte besonders die Einflussnahme der territorialen FDJ-Organisationen noch wesentlich erhöht werden, um alle Potenzen zur Sicherung eines stabilen Kaderstamms in den Sportordner-Verbänden zu erschließen.

Die Arbeit mit Fan-Clubs konnte weiter qualifiziert werden. Unter Leitung der Fußballclubs/Sportgemeinschaften wurde verstärkt in den Fan-Clubs gearbeitet, um deren Mitglieder positiv zu beeinflussen und zu unterstützen. So ist es zunehmend besser gelungen, durch gemeinsam organisierte Fahrten zu Auswärtsspielen, Foren, Fan-Club-Fußballturnieren u. a. echt sportinteressierte Jugendliche/Jungerwachsene im Bereich aller Oberliga-Mannschaften zu begeistern und an »ihre Mannschaft« zu binden. Damit ist ein Potenzial zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit geschaffen worden, was noch zielstrebiger genutzt werden sollte.

Aufgrund einer begrenzten Zahl hauptamtlicher Mitarbeiter der Fußballclubs ist es bisher jedoch nur möglich gewesen, sich auf ausgewählte Fan-Clubs zu konzentrieren.

Darüber hinaus ist auch festzustellen, dass es noch eine zu beachtende Anzahl von nicht durch die Fußballclubs/Sportgemeinschaften registrierten Fan-Clubs gibt, die in der Regel spontane Zusammenschlüsse darstellen. Sie entsprechen in einer Anzahl von Fällen nicht den Kriterien des Deutschen Fußballverbandes der DDR zur Registrierung und bilden zum Teil einen Sammelpunkt für negativ-dekadente Jugendliche/Jungerwachsene. Diese sind in der Mehrzahl nicht an einer Zusammenarbeit mit den Fußballclubs/Sportgemeinschaften interessiert bzw. werden von der Fan-Club-Arbeit ungenügend erreicht. Von solchen Zusammenschlüssen gingen oftmals Beeinträchtigungen bzw. Störungen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit aus, die von negativen Sprechchören bis zu bewusst gesuchten Konfrontationen mit anderen Fangruppen, unbeteiligten Bürgern und den Schutz- und Sicherheitsorganen reichen.

Zur Durchsetzung der in der Information des ZK enthaltenen Festlegungen wurden seitens der Schutz- und Sicherheitsorgane dienstliche Bestimmungen und Weisungen konkretisiert mit dem Ziel, vor allem die vorbeugende Wirksamkeit der insgesamt zu realisierenden Maßnahmen zur Gewährleistung hoher öffentlicher Ordnung und Sicherheit bei Fußballspielen weiter spürbar zu erhöhen sowie ein abgestimmteres Vorgehen aller einbezogenen Organe und Einrichtungen zu erreichen. Ferner wurden differenzierte Sicherungskonzeptionen erarbeitet, die sich im engen Zusammenwirken mit allen anderen gesellschaftlichen Erziehungsträgern als wirkungsvoll erwiesen haben.

Die im Ergebnis des einheitlichen, abgestimmten und koordinierten Vorgehens aller durch die Verantwortlichen eingeleiteten bzw. durchgesetzten Maßnahmen trugen zur Verhinderung von auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit wesentliche beeinträchtigende Vorkommnisse im Zusammenhang mit Fußballspielen bei.

Das Vorkommnisgeschehen ist jedoch im Vergleich zu den Vorjahren nahezu konstant geblieben.

Während der Spielsaison 1985/86 wurden nach dem MfS vorliegenden Informationen 889 Personen wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit bzw. wegen begangener Ordnungswidrigkeiten und Straftaten durch die Schutz- und Sicherheitsorgane zugeführt.

Gegen diese Personen wurden 31 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 408 Ordnungsstrafverfahren durchgeführt. Darüber hinaus sind zahlreiche Personen mit Ordnungsgeld belegt worden. Die Ermittlungsverfahren wurden hauptsächlich eingeleitet wegen Straftaten gemäß § 215 StGB (Rowdytum)2 sowie gemäß § 220 StGB (öffentliche Herabwürdigung).3

Die in diesem Zusammenhang geführten Untersuchungen ergaben, dass diese Personen Fußballspiele u. a. Sportveranstaltungen zum Anlass nehmen, häufig unter dem Einfluss einiger weniger, dem »harten Kern« negativer loser Gruppierungen zuzurechnender Jugendlicher/Jungerwachsener und unter Ausnutzung der Anonymität großer Menschenansammlungen, gesellschaftswidrige Verhaltensweisen zu entwickeln bzw. Straftaten zu begehen. Das widerspiegelt sich insbesondere in beleidigendem und provozierendem Verhalten, Tätlichkeiten gegenüber anderen Bürgern sowie Fans der einzelnen Mannschaften, im Werfen von pyrotechnischen Erzeugnissen und anderen Gegenständen, in Verunreinigungen von Stadien und besonders von Reisezugwagen der Deutschen Reichsbahn, Verstößen gegen die Personenbeförderungsvorschriften der Deutschen Reichsbahn sowie in solchen Straftaten wie Sachbeschädigung, Körperverletzung und öffentliche Herabwürdigung.

Oftmals steht ein erheblicher Teil dieser Personen unter Alkoholeinfluss.

Besonders zu beachten ist das Verhalten des negativ-dekadenten Fußballanhangs. Vor allem Anhänger des sogenannten Punks versuchen, mit aggressivem Verhalten und einem gewissen Hang zur Brutalität Einfluss zu gewinnen. Nicht selten werden bei ihnen von westlichen Vorbildern und entsprechenden Verhaltensmustern geprägte Verhaltensweisen sichtbar wie

  • die Glorifizierung des Profi-Fußballs der BRD,

  • die Übernahme von »Schlacht-Gesängen«,

  • das Tragen von Symbolen westeuropäischer Fußball-Clubs,

  • das Nachahmen der Aktivitäten von Fan-Clubs kapitalistischer Staaten.

Nach wie vor ist festzustellen, dass die Mehrzahl der mit Straftaten/Ordnungswidrigkeiten angefallenen Personen oftmals spontan handelt.

Es wird vorgeschlagen, in der laufenden Spielsaison 1986/87 durch eine weitere Verstärkung der Einflussnahme auf gesellschaftliche Organisationen und Kräfte alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um das Auftreten und Wirksamwerden negativ-dekadenter Personen vor, während und nach Fußballspielen vorbeugend zu verhindern.

Noch umfassender sollten solche bereits erfolgreich erprobten Erziehungsmaßnahmen wie

  • das Aussprechen von Stadionverboten durch die Fußballclubs/Sportgemeinschaften,

  • die Informierung von Schulen und Arbeitsstellen über Fehlverhalten und begangene Ordnungswidrigkeiten bzw. Straftaten, verbunden mit entsprechenden Auseinandersetzungen in den Kollektiven sowie

  • die Heranziehung zur gemeinnützigen Arbeit und anderes

genutzt werden, verbunden mit entsprechenden Kontrollen über die Wirksamkeit der eingeleiteten Erziehungsmaßnahmen.

Außerdem sollten durch die Leitungen aller Fußballclubs und Sportgemeinschaften noch gezielter die Möglichkeiten der direkten erzieherischen Einflussnahme der Oberligaspieler auf ihren Fußballanhang genutzt werden.

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