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Probleme auf dem Gebiet des Sprengwesens

29. Mai 1986
Information Nr. 238/86 über einige Probleme bei der Durchsetzung von Sicherheit, Ordnung und Disziplin auf dem Gebiet des Sprengwesens in der DDR

Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen konnten in den letzten Jahren Sicherheit, Ordnung und Disziplin auf dem Gebiet des Sprengwesens in Kombinaten und Betrieben der Volkswirtschaft der DDR wesentlich erhöht werden. Maßgeblich zu dieser positiven Entwicklung trugen das Gesetz über den Verkehr mit Sprengmitteln – Sprengmittelgesetz – vom 25.3.19821 und die zu seiner Durchsetzung getroffenen Maßnahmen zuständiger staatlicher Organe, Kombinate und Betriebe bei.

Wie die von Fachexperten geführten Kontrollen weiter bestätigen, ist in Sprengmittellagern für Sprengstoffe und sprengkräftige Zündmittel sowie in der Einhaltung entsprechender Anforderungen durch die Sprengmittelverwalter ein hohes Niveau von Ordnung, Disziplin und Sicherheit gewährleistet.

Demgegenüber zeichnet sich jedoch beim Umgang mit Spreng- und Zündmitteln seit 1985 eine Zunahme von Vorkommnissen infolge Inkonsequenz bei der Beachtung und Einhaltung der Rechtsvorschriften durch Sprengberechtigte ab.

(Von den 1985 über 100 festgestellten Verstößen entfielen ca. 75 % auf den Kali- und Spat-Bergbau und etwa 25 % auf die Steine- und Erden-Industrie; im Verantwortungsbereich der SDAG Wismut2 kam es zu 15 Vorkommnissen (Versager3 bei Spreng- und Zündmitteln sowie Absperrvergehen.))

Die festgestellten Verstöße gegen die Bestimmungen des Sprengmittelgesetzes beinhalten vor allem Mängel und Lücken

  • bei der Aufbewahrung von Spreng- und Zündmitteln in Sprengmittelaufbewahrungsbehältnissen,

  • beim Transport bzw. im Umgang mit Spreng- und Zündmitteln,

  • bei der Nachweisführung, der Übergabe/Übernahme von Sprengstoffen und

  • bei der Kontrolle, Lagerung bzw. Aufbewahrung von Versagern.

Weiter vorliegenden Hinweisen zufolge haben Verluste bzw. Funde von Sprengstoffen eine zunehmende Tendenz.

Dem MfS vorliegende interne Hinweise über Ursachen bzw. begünstigende Bedingungen für diese Situation, die im Wesentlichen auch mit Expertenmeinungen übereinstimmen, deuten darauf hin, dass eine zum Teil unkontinuierliche bzw. oberflächliche Kontrolle durch die staatlichen Leiter der Kombinate und Betriebe der vollständigen Durchsetzung entsprechender staatlicher Rechtsvorschriften und betrieblicher Weisungen nicht unwesentlich zur Erhöhung der Verstöße beigetragen hat.

Neben diesen aufgezeigten Mängeln beeinträchtigen die unzureichende Qualität der aus der ČSSR importierten Zündmittel bzw. das im VEB Düngemittelwerk Rostock produzierte Ammoniumnitrat für Sprengmittel in hohem Maße die Gewährleistung sowohl der Bergbausicherheit als auch der Arbeitsproduktivität bei der Gewinnung mineralischer Rohstoffe.

So wurde beispielsweise festgestellt, dass aus der ČSSR importierte Zündmittel in den letzten Jahren zu einer Vielzahl von Versagern beim Sprengen führten. Daraus resultieren wiederum

  • volkswirtschaftliche Verluste infolge des Mehraufwandes durch Nacharbeiten und durch Produktionsausfälle sowie durch Mehrverbrauch von Spreng- und Zündmitteln,

  • Vorkommnisse mit und ohne Personenschäden sowie höheren Sachschäden,

  • Verunsicherung der Werktätigen und

  • Vertrauensschwund gegenüber ČSSR-Sprengmittelerzeugnissen.

(Seit 1983 haben Versager bei ČSSR-Zündmitteln zu insgesamt sieben schweren Verletzungen von Werktätigen geführt.)

Verhandlungen des VEB Sprengstoffwerk Schönebeck mit dem ČSSR-Hersteller haben nach vorliegenden Hinweisen trotz Zusicherungen bisher noch nicht zu einer Qualitätsverbesserung der Zündmittel geführt.

So haben Untersuchungen des Instituts für Bergbausicherheit ergeben, dass von 160 Zündern einer Zeitstufe 38 Versager waren.

(Die Versager sind nach vorliegenden Untersuchungen vor allem infolge der Funktionsuntüchtigkeit von Zündsätzen eingetreten, wodurch die Zündung der Hauptladungen überhaupt nicht ansprach bzw. zu früh gezündet wurde.)

In diesem Zusammenhang wurde gleichzeitig bekannt, dass zur Vernichtung von Versagern noch keine exakten technologischen Verfahren durch die Herstellerbetriebe vorgegeben wurden; z. B. ist deshalb die Vernichtung derartiger Versager dem Munitionsbergungsdienst der DVP bisher untersagt.

Wie die vorliegenden Kontrollergebnisse weiter ergaben, entspricht auch das im VEB Düngemittelwerk Rostock hergestellte geprillte und kristalline Ammoniumnitrat für Sprengstoffe weder in Quantität noch in Qualität den Anforderungen.

Mit der Produktionsaufnahme (Juli 1985) in diesem Betrieb konnten Importe aus Schweden und der BRD sowie die Produktion im VEB Chemisches Kombinat Bitterfeld eingestellt werden.

Die sehr stark schwankende und teilweise unzureichende Qualität des im VEB Düngemittelwerk Rostock erzeugten Ammoniumnitrats führe nach Einschätzungen der Experten zu Erschwernissen, Unsicherheiten und Gefährdungen beim Sprengen. Beanstandet werden bei dem Produkt Ammoniumnitrat

  • der zu hohe Staubanteil (bis 30 %),

  • die unzureichende Lagerfähigkeit,

  • die unterschiedliche Dichte und Abriebfestigkeit,

  • die nicht immer gegebene Rieselfähigkeit sowie

  • die nicht gleichbleibenden sprengtechnischen Parameter.

Aufgrund des hohen Staubanteils gibt es bei der Herstellung von ANO-Sprengstoffen erhebliche ergonomische und sicherheitstechnische Probleme, die umfangreiche Sondermaßnahmen erfordern.

Infolge vorgenannter Qualitätsmängel konnte deshalb die Oberste Bergbehörde der DDR einer Neu- bzw. Wiederzulassung der Sprengstoffe auf der Basis des Rostocker Ammoniumnitrats nicht zustimmen.

Dadurch muss vorerst auf den Einsatz des gegenüber dem Sprengstoff Gelamon 30 wesentlich günstigeren Gelamon 22 verzichtet werden. (Bedingt durch die Produktionsschwierigkeiten im VEB Düngemittelwerk Rostock sind zwischenzeitlich bereits kurzfristig 600 t Ammoniumnitrat-Prille aus Schweden importiert worden.) Nach Auffassung von Fachexperten könne die Lösung des Qualitätsproblems nur durch die Einleitung notwendiger Maßnahmen durch das Ministerium für Chemische Industrie erfolgen.

In diesem Zusammenhang wird auch auf das Erfordernis von Veränderungen des Auslieferungsverfahrens des Ammoniumnitrats im VEB Düngemittelwerk Rostock hingewiesen. Die bisherige Form der Auslieferung des Ammoniumnitrats in Papiersäcken müsse durch den Einsatz von Behälterwagen, geschlossenen Containern, Großemballagen oder anderen besser geeigneten Transportbehältnissen verändert werden.

Darüber hinaus wird in vorliegenden Hinweisen auf die notwendige Lösung weiterer Probleme zur Erhöhung der Sicherheit beim Umgang mit ANO-Sprengstoffen, des Gesundheitsschutzes der Werktätigen und der Erzielung volkswirtschaftlicher Effekte aufmerksam gemacht.

So wäre z. B. die Bereitstellung von halbleitenden Sprengstoffladeschläuchen zum Laden von ANO-Sprengstoffen erforderlich.

Obwohl seit 1981 von der SDAG Wismut in Zusammenarbeit mit dem VEB Eilenburger Chemiewerk erzielte Entwicklungsergebnisse vorlägen, ist es trotz umfangreicher Aktivitäten bisher noch nicht zu einer Produktionsaufnahme gekommen, durch die Importe abgelöst und die Sicherheit erhöht werden könnten.

Weiter ist es erforderlich, Maßnahmen zur Beseitigung der ungenügenden Qualität der Zündkreisprüfer und Streustrommessgeräte einzuleiten. Von der SDAG Wismut diesbezüglich entwickelte neue Geräte sollten zum Einsatz gelangen und die Produktion der nicht den Parametern entsprechenden Typen eingestellt werden.

Darüber hinaus sollten auch Vorkehrungen getroffen werden, um die Nitroglykol-Belästigung der Werktätigen in Sprengmittellagern und vor Ort zu beseitigen. Beim Umgang mit Gelamon 30 treten bei den Werktätigen gesundheitliche Beeinträchtigungen wie Kopfschmerzen, Herz-Kreislauf-Schwäche, Schädigungen der Haut und der Atemwege durch Nitroglykol auf. Die Forderung der Verbraucher nach sprengölfreien bzw. -armen Sprengstoffen (z. B. Gelamon 22) könne jedoch zurzeit von den Sprengstoffwerken nicht erfüllt werden.

Für unbedingt erforderlich erachtet wird auch der Einsatz von Sprengstoffladefahrzeugen in Tagebauen. Nach dazu vorliegenden Hinweisen könne das für Braunkohlentagebaue entwickelte Sprengstoffladefahrzeug auch in anderen Tagebauen zum Einsatz gebracht werden. Von Fachleuten wurden deshalb auch solche Überlegungen angestellt auf der Ebene von Kombinaten mit entsprechender Produktion zentralisierte Sprengbetriebe zu schaffen, wodurch neben einer möglichst geringen Anzahl solcher Sprengstoffladefahrzeuge eine höhere Sicherheit, ein planmäßigerer Einsatz sowie eine Vereinheitlichung und Stabilisierung der Sprengtechnologie erreicht werden könnte.

Darüber hinaus bieten die Möglichkeiten zur Schaffung fester Stammpersonale zusätzliche günstige Voraussetzungen zur Erhöhung der Sicherheit.

Im Interesse einer wirksamen Erhöhung der Sicherheit ist es erforderlich, seitens der zuständigen zentralen Organe die Möglichkeiten zu prüfen, weitergehende Maßnahmen insbesondere zur Gewährleistung einer strafferen Kontrolle der konsequenten Durchsetzung aller entsprechenden Rechtsvorschriften einzuleiten.

Weiter wird es für zweckmäßig erachtet, Voraussetzungen zur Erhöhung der Qualität chemischer Grundstoffe für die Sprengstoffherstellung zu schaffen sowie den Einsatz effektiverer Geräte und Ausrüstungen und deren Nutzbarmachung für die Steigerung der Produktion zu ermöglichen.

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    29. Mai 1986
    Information Nr. 240/86 über die 105. Tagung der Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (KKL) vom 9. bis 10. Mai 1986

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    29. Mai 1986
    Information Nr. 237/86 über Aktivitäten, Vorkommnisse und rechtswidrige Handlungen von Angehörigen der in Westberlin stationierten westlichen Besatzungstruppen bei der Einreise und dem Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 1986