Probleme beim »Panorama-Museum« in Bad Frankenhausen
23. Juni 1986
Information Nr. 291/86 über einige Probleme im Zusammenhang mit der Schaffung der Bauernkriegsgedenkstätte »Panorama-Museum« in Bad Frankenhausen und den Stand der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung, insbesondere zum Schutz des in der Endfertigung befindlichen bedeutsamen Gemäldes von Prof. Dr. Werner Tübke
Im Ergebnis geführter Untersuchungen des Ministeriums für Staatssicherheit zu Hinweisen über Gefahren für das Gemälde durch ernsthafte Mängel beim Bau der Gedenkstätte und Versäumnisse bei der Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit sowie der persönlichen Sicherheit für Prof. Dr. Werner Tübke1 wurden folgende Feststellungen getroffen:2
Insgesamt ist einzuschätzen – das wird sowohl durch persönliche Gespräche mit Prof. Dr. Werner Tübke als auch durch entsprechende Besichtigungen vor Ort sowie durch vorliegende Informationen betätigt –, dass für die Gedenkstätte eine Gefahrensituation besteht.
(Diese grundlegende Einschätzung wird auch vom 1. Sekretär der Kreisleitung Artern der SED, Genossen Heinz Wagner,3 voll bestätigt.)
So wurde bei Beginn der Arbeiten am Gemälde durch Prof. Dr. Werner Tübke im Jahre 1983 von Experten festgestellt, dass die fertiggestellte bauliche Hülle (Rundbau) für das Panorama-Bild eine Fehlkonstruktion ist.
(Für die Vorbereitung und Durchführung aller Baumaßnahmen zur Errichtung der Gedenkstätte und entsprechender Einrichtungen, für die im Jahre 1975 der Grundstein gelegt wurde, trägt der Rat des Bezirkes Halle die volle Verantwortung.)
Im Interesse des Schutzes und der Erhaltung des bedeutsamen Gemäldes, insbesondere vor Temperatureinwirkungen bzw. Feuchtigkeit, sind umfangreiche Rekonstruktionsarbeiten am Dach und der Außenhaut des Rundbaus noch in diesem Jahr vor Einbruch des Winters erforderlich.4
Auch die Decke im Panorama-Saal muss erneuert werden, um den Einbau einer Beleuchterbrücke zu ermöglichen. (Diese sei zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Kunstwerkes nach Expertenmeinung unbedingt notwendig.)
In diesem Zusammenhang wäre nach Auffassung von Experten erst noch genau zu prüfen, ob die Dach- und Deckenkonstruktion den technischen – insbesondere statischen – Erfordernissen der einzubauenden Beleuchterbrücke und lufttechnischen Anlagen entspricht.
Wie bei den geführten Untersuchungen weiter bekannt wurde, seien für diese umfangreichen Erneuerungs-, Rekonstruktions- und Werterhaltungsarbeiten praktisch keine ausgereiften Konzeptionen vorhanden, sodass Prof. Tübke sogar von einer »Konzeptionslosigkeit im Baugeschehen« sprach.
Zu beachten sei weiter, dass bei Realisierung vorgenannter Baumaßnahmen zusätzliche Gefahren für das Gemälde durch Staubentwicklung, Baugerüste, eingesetzte Bautechnik usw. entstehen.
Gegenwärtig gibt es noch keine konkreten Vorstellungen, wie das Gemälde bei den erforderlichen baulichen Veränderungen zu schützen ist. (Die Kompliziertheit der notwendigen Schutzmaßnahmen ergibt sich aus der maltechnischen Beschaffenheit des Gemäldes, da die verwandten Farben ca. 60 Jahre Trockenzeit benötigen.)
Weiter wurde im Verlaufe der Arbeiten am Gemälde festgestellt, dass die Erfordernisse der technischen Sicherheit (Klima, Luftfeuchtigkeit, Beleuchtung, Akustik) und der Stromversorgung nicht umfassend berücksichtigt wurden. So fehlt gegenwärtig eine Klimaanlage. Laut Prof. Tübke ist das dazu erforderliche Kühlaggregat erst nach vier Jahren lieferbar.
Die durchgängige Energieversorgung des gesamten Objektes ist durch territorial bedingte, zeitweilige Stromabschaltungen nicht gewährleistet. Die vorhandene Notstromversorgung entspricht nicht den Erfordernissen. Das hat im Falle von Stromabschaltungen den Ausfall der bereits installierten technischen und sicherheitstechnischen Anlagen zur Folge.
Ein weiteres ernstes Problem besteht darin, dass die für die Fertigstellung des gesamten Projektes benötigten materiellen und finanziellen Fonds und Baukapazitäten nicht vollständig gesichert sein sollen. (Das Problem wäre zentral bekannt.)
In Anbetracht der geschilderten Situation wird übereinstimmend die Auffassung vertreten, dass unverzüglich intensive Prüfungshandlungen zum Baugeschehen unter Hinzuziehung von Experten erforderlich wären, um den Gesamtumfang der Mängel, ihrer Ursachen sowie der notwendigen Veränderungen festzustellen.
Begünstigt werde die entstandene Situation dadurch, dass die erforderlichen Kader zur straffen Führung und Leitung der Bautätigkeit nicht vorhanden seien. Eine Aufbauleitung, wie im Beschluss des Rates des Bezirkes Halle vom 29. November 1985 festgelegt, gibt es gegenwärtig noch nicht.
Der amtierende Direktor der Gedenkstätte, Genosse H. Naumann,5 und der technische Direktor, Genosse [Name], besitzen nicht die notwendigen Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrungen für ein solches kulturelles Sonderbauvorhaben.
Zu einigen Problemen im Zusammenhang mit der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung:
Grundlage aller Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung bilden die Sicherheitskonzeption des Rates des Bezirkes Halle vom 1. September 1985 sowie die Entscheidung des Ministers des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei über den Einsatz eines Betriebsschutzkommandos der Deutschen Volkspolizei in einer Stärke von 1: 12, wobei der Einsatzbeginn für den 1. September 1986 in einer Stärke von 1: 6 festgelegt ist.
Im Ergebnis vorgenannter Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Sicherheitskonzeption nicht konsequent durchgesetzt und der Grundsatz nicht genügend beachtet wird, wonach nicht erst mit der Fertigstellung des Gemäldes, sondern bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein hohes Sicherheitsbedürfnis besteht.
So ist z. B. der eingesetzte Sicherheitsbeauftragte für diese spezifische Aufgabe nicht qualifiziert und befähigt.
Der zivile Betriebsschutz besteht aus Rentnern und bietet keinerlei Gewähr für den Schutz des Gemäldes und des Objektes. In dieser Beziehung äußerte Prof. Tübke nachdrücklich ernsthafte Bedenken und wies auf die Notwendigkeit einer baldmöglichen Veränderung dieses Zustandes hin, da das Projekt – insbesondere durch die lediglich aus einem Mitarbeiter bestehende Nachtschicht – gefährdet sei.
Durch diese Situation wäre auch der Schutz der bereits vorhandenen Sicherheitstechnik vor Einwirkungen unbefugter Personen nicht gewährleistet. Die Funktionsfähigkeit der Sicherheitstechnik wird – insbesondere durch die bereits aufgezeigten Mängel in der Stromversorgung – stark beeinträchtigt.
Es bestehen keine klaren Vorstellungen über Maßnahmen zur Brandbekämpfung. Obwohl ein Feuerlöschteich konzipiert wurde, ist zur Erhaltung und zum Schutz des Gemäldes eine Brandbekämpfung mit Wasser nicht möglich.
Unklar ist gegenwärtig noch, wie die zum Panorama-Saal geforderte Brandschutztür zu gestalten sei, um sie dem künstlerischen Gesamtbild anzupassen.
Weiter wurde festgestellt, dass neben der ungenügenden Schaffung personeller Voraussetzungen auch materielle Bedingungen, die in der genannten Sicherheitskonzeption gefordert werden, nicht termingemäß realisiert wurden.
Das betrifft z. B. den Bau von Unterkünften für die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei und deren Versorgung sowie die nachrichtentechnische Versorgung durch die Deutsche Post.
Mit dem Ziel, die Realisierung dieses politisch bedeutsamen Vorhabens, wie in der Direktive des XI. Parteitages der SED6 beschlossen,7 nicht zu gefährden sowie Sicherheit und Ordnung voll zu gewährleisten, wird vorgeschlagen:
Der Minister für Bauwesen und der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Halle sollten beauftragt werden, durch die Inspektion des Ministeriums für Bauwesen, die Staatliche Bauaufsicht und die Technische Überwachung eine Prüfung der vorhandenen Bauunterlagen, des bisherigen Baugeschehens, der bautechnischen Sicherheit, der Sicherheitstechnik, einschließlich der Leitungstätigkeit, der Bereitstellung der Fonds und Baukapazitäten sowie die Erarbeitung von Vorschlägen für notwendige Maßnahmen und Entscheidungen zu veranlassen.
Unter Berücksichtigung des vorhandenen hohen Sicherheitsbedürfnisses für das Kunstwerk und für die schon vorhandene Sicherheitstechnik sollte der Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei beauftragt werden, ab sofort bis zum Einsatz des VP-Kommandos den zivilen Betriebsschutz in den Nachtstunden durch einen VP-Angehörigen aus dem Bestand der territorialen Schutzpolizei zu verstärken und beim VP-Gruppenposten in Bad Frankenhausen zu stationieren.
Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Halle sollte weiter beauftragt werden, kurzfristig einen befähigten Bauleiter für Sonderbauvorhaben zu berufen und eine arbeitsfähige Aufbauleitung zu bilden sowie einen Sicherheitsbeauftragten mit der erforderlichen Befähigung einzusetzen.
Die beim Rat des Bezirkes bestehende Arbeitsgruppe für die Bauernkriegsgedenkstätte sollte durch je einen Beauftragten des Leiters der Bezirksverwaltung des MfS und des Chefs der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei sowie durch Experten für technische Sicherheit und Schutz des Kulturgutes erweitert werden.
Zur Stärkung der zentralen Führung und Leitung des Gesamtvorhabens sollten der Minister für Kultur und der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Halle beauftragt werden, den in ihrem Auftrag tätigen gemeinsamen Arbeitsstab für die Bauernkriegsgedenkstätte mit umfassenderen Kontroll- und Entscheidungsbefugnissen auszustatten sowie die personelle Zusammensetzung entsprechend den Erfordernissen zu überprüfen und zu ergänzen.
Der Minister für Kohle und Energie und der Minister für Post- und Fernmeldewesen sollten beauftragt werden, die erforderlichen Maßnahmen zur Strom- und Notstromversorgung sowie zur nachrichtentechnischen Versorgung unter Berücksichtigung aller Erfordernisse der Funktionsfähigkeit der Gedenkstätte und der sicherheitstechnischen Anlagen zu veranlassen.
Anlage zur Information Nr. 291/86
[Hintergründe zu Tübkes Situation]
Im persönlichen Gespräch mit Prof. Tübke wurde deutlich, dass er aufgrund der vorgenannten Situation hinsichtlich des Schutzes seines Gemäldes ernsthaft besorgt ist und seine Sicherheit nicht vollständig gewährleistet sieht.
Anerkennend äußerte sich Prof. Tübke zu den an seinem Wohnsitz in Bad Frankenhausen mit Unterstützung des MfS realisierten Sicherungsmaßnahmen, bat jedoch, analoge Maßnahmen an seinem Hauptwohnsitz in Leipzig zu veranlassen.
Prof. Tübke »begründete« sein verstärktes persönliches Sicherheitsbedürfnis mit
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dem Fortgang und der Vollendung seines bedeutsamen Kunstwerkes,
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dem bevorstehenden Umzug seiner bisherigen Mitbewohner, Familie [Name], in Leipzig, mit denen er einvernehmlich lebte und die sich für die Sicherheit des Hauses mitverantwortlich fühlten, sowie
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[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben]
Prof. Tübke musste sich im Februar 1986 einer Operation an der rechten Hand unterziehen, die jedoch laut Angaben der Ärzte gut verlaufen ist.
Gegenwärtig ist er noch nicht voll arbeitsfähig und soll auf Anraten der Ärzte täglich nur wenige Stunden arbeiten.
Vorliegenden Hinweisen zufolge ist der Gesundheitszustand des Genossen Prof. Dr. Werner Tübke sowohl physisch als auch psychisch gegenwärtig sehr labil. Stark belasteten ihn ganz offensichtlich die geschilderte Situation im Zusammenhang mit der Schaffung der Bauernkriegsgedenkstätte und seine Besorgnis um die Erhaltung, den Schutz und die Sicherheit seines bedeutsamen Gemäldes.
Dieser Zustand drückt sich nicht zuletzt aus in Prof. Tübkes ständigen Forderungen nach Gewährleistung umfassender Maßnahmen zu seinem physischen Schutz.