Probleme mit Bränden in der Volkswirtschaft
28. Juli 1986
Zu einigen Problemen im Zusammenhang mit dem Brandgeschehen in der Volkswirtschaft der DDR [K 1/164]
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen kam es in der Volkswirtschaft der DDR (ohne Verkehrswesen) im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 25. Juli 1986 zu insgesamt 266 (208)* Bränden mit einem Gesamtschaden in Höhe von 127,5 (32,4 Mio. Mark) Mio. Mark (berechnet auf der Basis des Zeitwerts zerstörter bzw. beschädigter Grundfonds/Sachwerte).
* [Fußnote im Original: »Klammerzahlen beziehen sich auf den Zeitraum 1.1. bis 30.6.1985«]
Davon entfallen auf die Industrie insgesamt 116 Brände mit einem Gesamtschaden in Höhe von 107,2 Mio. Mark und Landwirtschaft 117 Brände mit einem Gesamtschaden in Höhe von 8,4 Mio. Mark.
Das Brandgeschehen wurde insbesondere durch zehn Großschadensfälle (jeweils über 1 Mio. Mark Schaden) und den allein dadurch verursachten Gesamtschaden in Höhe von ca. 113,5 Mio. Mark negativ beeinflusst.
Bedeutsamste Fälle:
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Brand im Fertigwarenlager des VEB Papier- und Kartonwerke Schwedt, [Bezirk] Frankfurt/Oder, am 8.2.1986 mit einem Schaden von 36,1 Mio. Mark – Brandstiftung –;
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Brand der Tieftemperaturkautschukanlage im Kombinat Chemische Werke Buna Schkopau, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle, am 9.6.1986 mit einem Schaden von 47,7 Mio. Mark – Ursachen bisher noch nicht geklärt -.
Die Entwicklung des Brandgeschehens im bisherigen Verlauf des Jahres 1986 beweist, dass 1986 trotz aller Anstrengungen bisher keine die allgemeine Lage auf diesem Gebiet stabilisierenden Wirkungen zur vorbeugenden Verhinderung von Bränden erzielt werden konnten.
(Die in der zweiten Hälfte des Juni 1986 einsetzenden extremen Witterungsbedingungen beeinflussten – ungeachtet eines gewissen Ansteigens von Bränden auf Wald- und Ödland-Flächen – das Brandgeschehen insgesamt nur unwesentlich.)
Im Ergebnis geführter Untersuchungen konnte der überwiegende Teil der Brände geklärt werden.
Danach entstanden die Brände vorwiegend durch
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Nichtbeachtung der Brandschutzbestimmungen (leichtfertiger Umgang mit offenem Feuer, Verletzung der Bestimmungen bei Schweiß- und Brennarbeiten, Nichtbeseitigung hoher Schmutz- und Staubablagerungen in brandgefährdeten Objekten, vorschriftswidriges Zustellen von Wärmequellen, ungenügende Wartung und Pflege elektrischer Anlagen), Vernachlässigung vorgeschriebener Überwachungs-, Kontroll- und Vorsorgemaßnahmen, Verletzungen der Arbeitsdisziplin (z. B. durch Alkoholgenuss während der Arbeitszeit, vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes, keine Schichtübergabe, insbesondere von überwachungspflichtigen Anlagen), Nichtbeseitigung erkannter Mängel, unbegründetes Hinausschieben notwendiger Reparaturen;
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Brandstiftungen (ca. 8 % der Brände, zahlenmäßig hauptsächlich in der Landwirtschaft).
Die Straftaten, in vielen Fällen unter starker Alkoholeinwirkung begangen, wurden fast ausschließlich aus persönlichen Beweggründen wie persönliche Verärgerung, Verschleierung begangener anderer strafbarer Handlungen, Arbeitsunlust sowie aus Freude am Feuer begangen.
Etwa 25 % der Täter waren vorbestraft, unter den Tätern befinden sich auch Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr. Die soziale Struktur der Täter beinhaltet, dass fast ausschließlich Personen mit mangelhafter schulischer Bildung sowie geringer beruflicher Qualifikation in Erscheinung traten.
Hinzukommen vereinzelte Brände, die durch Kinderhand (vorwiegend im Bereich Landwirtschaft) sowie als Folge von Blitzschlägen bzw. durch Selbstentzündung und Funkenflug entstanden.
Die von den Untersuchungsorganen festgestellten wesentlichen Ursachen weisen eindeutig darauf hin, dass die Brände in ihrer Mehrheit vermeidbar gewesen wären, wie die auf den Seiten 2, 3, 4 kurz dargestellten Ursachen und begünstigenden Bedingungen zeigen.
Typisch dafür war der Brand in einer Produktionshalle des VEB Medizin- und Orthopädiemechanik Suhl, Betriebsteil Königsee, [Kreis] Rudolstadt, [Bezirk] Gera, am 11.6.1986, der deshalb entstand, weil unter Missachtung eindeutiger Bestimmungen eine Schweißmaschine in einer stark brandgefährdeten Holzverarbeitungshalle betrieben wurde.
Ursachen für das Ansteigen von Bränden auf Wald- und Ödland-Flächen im Juni/Juli 1986 waren der fahrlässige Umgang mit offenem Feuer, unsachgemäßes Verhalten im Rahmen militärischer Übungshandlungen (ausschließlich GSSD) und Auswirkungen extremer Witterungsbedingungen.
Im Ergebnis der Untersuchungen konnte eine Reihe beachtenswerter, das Brandgeschehen begünstigender Bedingungen herausgearbeitet werden.
Die Brandentstehung begünstigten vor allem falsche und einseitige Einstellungen und Haltungen zu den Schutz- und Sicherheitserfordernissen, zum Schutz des Volkseigentums sowie mangelnde Wachsamkeit.
Weitere festgestellte Umstände zeigten sich im Mangel an Verantwortungsbewusstsein, vorwiegend bei Leitungskadern. Immer wieder führen Verletzungen von Beschlüssen der Partei- und Staatsführung zur Durchsetzung von Sicherheit, Ordnung, Disziplin, Vergehen gegen die sozialistische Gesetzlichkeit, das Nichtbeachten der Vorschriften zur Gewährleistung der Arbeits- und Produktionssicherheit sowie mangelnde Konsequenz bei ihrer Durchsetzung zu derartigen Vorkommnissen.
Auch die oberflächliche Auswertung der Ursachen von Vorkommnissen, die formale Befolgung entsprechender Festlegungen, unzureichende Auseinandersetzung mit den Verursachern und mit den verantwortlichen Leitern hinsichtlich der Festigung der Arbeits- und Staatsdisziplin hemmen die Zurückdrängung der das Brandgeschehen begünstigenden Umstände.
Hervorzuheben ist auch, dass die von den Schutz- und Sicherheitsorganen sowie den staatlichen Kontroll- und Überwachungsorganen erteilten Auflagen, übergebenen Vorschläge und Empfehlungen zur Beseitigung von Gefahrenquellen nur ungenügend bzw. häufig nicht realisiert wurden, wodurch Wiederholungen von Schadensfällen nicht auszuschließen sind.
In diesem Zusammenhang machen Experten jedoch immer wieder auf den in einigen Industriezweigen – insbesondere in der chemischen Industrie und in Braunkohlekraftwerken/Kohleveredlungsanlagen – bestehenden physischen Zustand, die Beschaffenheit von Produktionsanlagen und -ausrüstungen – Verschleiß – aufmerksam, die eine erhebliche Gefährdung der Arbeits-, Produktions- bzw. Anlagensicherheit darstellen. Die seit Jahren zunehmend auftretenden Probleme bei der notwendigen Durchführung von Reparaturen infolge Fehlens entsprechender Kapazitäten bergen objektiv die Gefahr in sich, dass auch zukünftig die Entstehung neuer Gefahrenquellen in der Volkswirtschaft nicht ausgeschlossen werden kann.
In Anbetracht des durch das Brandgeschehen in der Volkswirtschaft der DDR entstandenen Sachschadens wird vorgeschlagen:
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in einer parteiinternen Information auf die geschilderte Situation im Brandgeschehen und in diesem Zusammenhang bedeutsame Probleme hinzuweisen mit der Zielstellung, Parteifunktionäre, staatliche Leiter und gesellschaftliche Kräfte sowie Werktätige dahingehend zu mobilisieren, bei der Durchsetzung der Erfordernisse einer hohen technologischen Disziplin, Ordnung und Sicherheit sowie des vorbeugenden Brandschutzes in den Kombinaten einen konkreten eigenständigen Beitrag zu leisten, und die Bewegung für Ordnung und Sicherheit noch stärker zu einer wirksamen gesellschaftlichen Form auch der vorbeugenden Verhinderung von Bränden und Havarien zu entwickeln;
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noch anzutreffende, negierende Auffassungen zu Problemen der Gewährleistung der Ordnung, Sicherheit und Disziplin stärker mit in den Mittelpunkt der politisch-ideologischen und erzieherischen Arbeit zu stellen;
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die Führungs- und Leitungstätigkeit in allen Verantwortungsbereichen und auf allen Leitungsebenen stärker auf die Beseitigung von begünstigenden Bedingungen für das Entstehen von Bränden zu konzentrieren.
In diesem Zusammenhang sollte die Zweckmäßigkeit geprüft werden,
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beim Ministerrat der DDR eine nichtstrukturelle Arbeitsgruppe »Vorbeugende Verhinderung von Bränden und Havarien – Gewährleistung der Arbeits- und Produktionssicherheit« zu schaffen, in der verantwortliche Mitarbeiter zentraler staatlicher Organe unter Einbeziehung politischer Mitarbeiter des ZK der SED, auch der Rechtspflege-, Schutz- und Sicherheitsorgane, gesellschaftlicher Organisationen, insbesondere des FDGB und der FDJ, sowie der Staatlichen Versicherung der DDR mitarbeiten sollten; die Zielstellung sollte insbesondere darin bestehen, in Durchsetzung der entsprechenden Beschlüsse, Verfügungen und Weisungen alle Potenzen im Kampf um hohe Sicherheit, Ordnung und Disziplin, zur Gewährleistung der Arbeits- und Produktionssicherheit, unter besonderer Beachtung der Bestimmungen des Arbeits-, Gesundheits-, Brand- und Havarie-Schutzes, zur Bekämpfung und Zurückdrängung sich entwickelnder Schwerpunkte und Bereiche des Schadensgeschehens einheitlich zu orientieren und stärker zu koordinieren;
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stärker die Möglichkeiten der Einbeziehung der Massenmedien (Betriebszeitungen, Kreis- und Bezirkszeitungen, örtliche Sendestudios des Staatlichen Rundfunkkomitees und weitere Formen der Massenkommunikation) zu nutzen;
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im Rahmen der Vorbereitung der Betriebskollektivverträge und dazu durchzuführender Vertrauensleutevollversammlungen stärker auf die Durchsetzung des vorbeugenden Brandschutzes unter den konkreten betrieblichen bzw. territorialen Bedingungen zu orientieren und in den Beschlüssen zum sozialistischen Wettbewerb,1 im Rahmen des Kampfes um den Titel »Brigade der sozialistischen Arbeit«2 sowie in der Bewegung für vorbildliche Ordnung und Sicherheit vorgenannte Probleme abrechenbar einzubeziehen.