Direkt zum Seiteninhalt springen

Provokation an der Berliner Mauer durch einen US-Bürger (7)

6. Oktober 1986
Information Nr. 453/86 über die erneute Festnahme des Staatsbürgers der USA, Runnings, John am 4. Oktober 1986

Am 4. Oktober 1986, 14.30 Uhr, erfolgte nach Missachtung mehrmaliger Aufforderungen zum Verlassen des Staatsgebietes der DDR in Berlin-Mitte, Potsdamer Platz durch Angehörige der Grenztruppen der DDR die Festnahme des bereits mehrfach mit provokatorisch-demonstrativen Handlungen gegen die Staatsgrenze der DDR in Erscheinung getretenen Bürgers der USA, Runnings, John1 (69), geboren am 22.8.1917 in Laurence, Beruf Zimmermann, Rentner, wohnhaft Seattle, Staat Washington, USA, seit Mai 1986 aufenthältlich in Berlin (West) 61, Anhalter Straße 9, »Hotel Stuttgarter Hof«, und des in seiner Begleitung befindlichen ständigen Einwohners von Berlin (West) Brahms, Mirko (21),2 geboren am [Tag, Monat] 1964 in Karlsruhe, Beruf ohne, ohne Arbeitsrechtsverhältnis, wohnhaft Berlin (West)-Kreuzberg, [Straße, Nr.].

Die Festgenommenen waren im Rahmen einer zuvor von Runnings für den 4. Oktober 1986 angekündigten Provokation vorsätzlich in das Staatsgebiet der DDR eingedrungen, hatten mittels Leitern die Grenzmauer erstiegen und liefen demonstrativ auf deren Krone entlang. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich ca. 50 Personen auf Westberliner Gebiet, die diese Handlungen beobachteten.

Eigenen Angaben zufolge betätigt sich Runnings seit 1979 »politisch« mit dem Ziel, »durch gewaltfreie politische Aktionen in Form von Flugblättern, Petitionen und Demonstrationen sowie durch Provozierung gewaltloser Konfrontationen zur Annäherung von Ost und West und der Vereinigung zu einer Weltkonföderation beizutragen«. Im Oktober 1985 hatte er in Moskau eine Flugblattaktion durchgeführt und wurde aus der UdSSR ausgewiesen. Seit dem 24. Mai 1986 hält er sich in Berlin (West) auf und tritt seitdem ununterbrochen provokatorisch-demonstrativ gegen die Grenzsicherungsanlagen der DDR auf, indem er Flugblätter verteilt, Grenzmarkierungen und die Grenzmauer übermalt, sie mittels Leitern besteigt und in einem Fall mit einem Vorschlaghammer zu beschädigen versuchte.

Am 9. Juni 1986 und am 7. August 1986 wurde er nach derartigen Grenzprovokationen festgenommen.

In beiden Fällen war er unmittelbar danach der Botschaft der USA in der DDR mit der eindringlichen Forderung übergeben worden, durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass weitere Provokationen des Runnings unterbunden werden. Dennoch setzte Runnings sein subversives Treiben weiter fort und warb in Berlin (West) mit gedruckten Handzetteln Teilnehmer für weitere Aktionen am 4. Oktober 1986 sowie am 1. und 2. November 1986 und führte öffentliche Geldsammlungen für seine Ziele durch.

Durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR waren am 29.9.1986 die Botschaft der USA und der Senat von Berlin (West) aufgefordert worden, die Provokationen des Runnings konsequent zu unterbinden sowie Ordnung und Sicherheit an der Staatsgrenze der DDR zu gewährleisten.

Bei dem in Begleitung des Runnings befindlichen, ebenfalls festgenommenen Brahms handelt es sich [Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben], der Runnings im Juli 1986 in Westberlin kennengelernt und sich bereit erklärt hatte, an der Provokation am 4. Oktober 1986 teilzunehmen. Zu diesem Fakt sowie weiteren Zusammenhängen dieser Provokation macht Runnings bisher noch keine Aussagen. In seinen Effekten befinden sich mehrere Visitenkarten von Journalisten aus Westberlin. Weiterhin kennt er nach seinen Angaben seit August 1986 den Agenten Rainer Hildebrandt,3 der wie diese Journalisten an der politischen und propagandistischen Vermarktung seiner Aktionen beteiligt war. Die Provokation am 4. Oktober 1986 wurde durch das »ARD«-Fernsehen gefilmt und gesendet.

Runnings behauptet, dass er im August und September 1986 zweimal in Berlin (West) von US-Diplomaten aufgefordert worden sei, seine Aktionen zu unterlassen.

Obwohl seitens des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR gegenüber der Botschaft der USA in der DDR die Einleitung wirksamer Maßnahmen zur Unterbindung weiterer Provokationen des Runnings gefordert und darauf hingewiesen worden war, dass im Wiederholungsfall seitens der DDR strafrechtliche Maßnahmen gegen Runnings eingeleitet werden, wird vorgeschlagen,

  • –

    angesichts des bevorstehenden Treffens zwischen dem Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, Michael Gorbatschow4 und USA-Präsident Ronald Reagan5 am 11. und 12. Oktober 1986 in Reykjavík6 auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Runnings zu verzichten, um zu verhindern, dass seine provokatorischen Machenschaften propagandistisch hochgespielt werden,

  • –

    Runnings umgehend an die Botschaft der USA in der DDR zu übergeben und in diesem Zusammenhang mit entschiedenem Nachdruck zu fordern, geeignete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die von ihm für den 1. und 2. November 1986 bereits angekündigten sowie weitere gegen die Staatsgrenze der DDR gerichteten Provokationen zu unterbinden und zu erklären, dass ansonsten strafrechtliche Maßnahmen nicht mehr zu umgehen sind,

  • –

    gegen den ständigen Einwohner von Berlin (West), Brahms, Mirko gemäß § 213 StGB (Ungesetzlicher Grenzübertritt)7 ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und auf gleicher Rechtsgrundlage Haftbefehl zu erlassen, um damit die Nachahmung derartiger Machenschaften durch weitere gedungene8 Elemente in Berlin (West) auszuschließen.

Ich bitte um Zustimmung.

  1. Zum nächsten Dokument Mindestumtausch 29.9.–5.10.1986

    8. Oktober 1986
    Information Nr. 452/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 29. September 1986 bis 5. Oktober 1986
  2. Zum vorherigen Dokument Verlauf der 2. Tagung der V. Synode des BEK

    6. Oktober 1986
    Information Nr. 446/86 über Verlauf und Ergebnisse der 2. ordentlichen Tagung der V. Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR vom 19. bis 23. September 1986 in Erfurt

  1. John J. Runnings, Jg. 1917, US-amerikanischer Friedensaktivist, ab 1962 anlässlich des Vietnamkrieges in der nordamerikanischen Friedensbewegung engagiert, nach Ende des Vietnamkrieges Engagement gegen das Wettrüsten im Kalten Krieg, im Jahr 1986 führte Runnings mehrere öffentlichkeitswirksame Protestaktionen von Westberlin aus gegen die Berliner Mauer durch, u. a. bestieg er die Mauer mit einer Leiter und versuchte sie mit einem Vorschlaghammer zu beschädigen, im Oktober 1986 wurde er bei einer Aktion von DDR-Grenztruppen verhaftet, wegen illegalen Grenzübertritts zu einer 18-monatigen Haftstrafe verurteilt und nach drei Monaten abgeschoben. Vgl. Schaad, Martin: »Dann geh doch rüber«. Über die Mauer in den Osten. Berlin 2009, S. 161–184 und Tantzscher, Monika: »Ich habe es getan!« Der Berlin Wall Walker John Runnings. In: Horch & Guck, Heft 47(2004)13, S. 64–69.

  2. Mirko Brahms, Jg. 1964, Sozialarbeiter, vom 4.10.1986 bis 7.11.1986 in DDR-Haft, nachdem er gemeinsam mit John Runnings bei einer Protestaktion an der Berliner Mauer festgenommen worden war.

  3. Rainer Hildebrandt, Jg. 1914, Publizist, 1949 Mitbegründer und bis 1951 Leiter der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit«, zog sich 1952 aus deren Arbeit zurück, da sie das Prinzip der Gewaltlosigkeit, dem Hildebrandt folgte, verwarf. Gründete nach dem Mauerbau die »Arbeitsgemeinschaft 13. August 1961«, die als Trägerverein das Museum im »Haus am Checkpoint Charlie« eröffnete.

  4. Michail S. Gorbatschow, Jg. 1931, KPdSU-Funktionär, März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU, 1986 Propagierung des politischen und gesellschaftlichen Erneuerungsprogramms von »Glasnost« (Offenheit) und »Perestroika« (Umstrukturierung), 1988 Aufgabe der Breschnew-Doktrin, 1990 Friedensnobelpreis.

  5. Ronald Reagan, Jg. 1911, Schauspieler und republikanischer Politiker, 1967–75 Gouverneur von Kalifornien, 1981–89 40. Präsident der USA.

  6. Am 11./12.10.1986 trafen US-Präsident Reagan und KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow in Reykjavík (Island) persönlich für Rüstungskontrollgespräche aufeinander. Sie setzten damit den im November 1985 in Genf begonnenen Annäherungsprozess der beiden Weltmächte fort, nachdem 1983 auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte der Austausch über gegenseitige Rüstungskontrollen abgebrochen worden war. Zwar erzielten die Gespräche in Reykjavík keine greifbaren Ergebnisse, doch waren sie ein vertrauensbildender Zwischenschritt auf dem Weg zum INF-Vertrag, den beide Seiten im Dezember 1987 auf ihrem dritten Gipfeltreffen in Washington, D. C. vereinbarten.

  7. § 213 des Strafgesetzbuches der DDR regelte den »Ungesetzlichen Grenzübertritt«. Das Strafmaß betrug dafür bis zu zwei Jahre Haft, in »schweren Fällen« bis zu acht Jahre. Schwere Fälle waren illegale Grenzübertritte mit Waffen, mit einer »besonderen Intensität«, mithilfe gefälschter Dokumente, illegale Grenzübertritte mit einer Gruppe von Personen oder Wiederholungstaten. Vgl. Ministerium der Justiz der DDR (Hg.): Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik (StGB). Berlin 1984, S. 57.

  8. Das Partizip »gedungen« stammt vom veralteten Verb »dingen«, es bedeutet laut Duden »gegen Bezahlung für die Erledigung einer Aufgabe verpflichten« oder auch »mit Geld für die Ausführungen eines Verbrechens gewinnen«.