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Provokation an der Berliner Mauer durch einen US-Bürger (8)

[ohne Datum]
Information Nr. 486/86 über die erneute Festnahme des Staatsbürgers der USA, Runnings, John, am 25. Oktober 1986

Am 25. Oktober 1986, gegen 14.15 Uhr, erfolgte durch Angehörige der Grenztruppen der DDR im Bereich der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße die Festnahme des Staatsbürgers der USA, Runnings, John1 (69), geboren am 22.8.1917 in Vancouver/Kanada, Beruf Zimmermann, Rentner, wohnhaft Seattle, Staat Washington, USA, seit Mai 1986 aufenthältlich in Berlin (West) 61, Anhalter Straße 9, »Hotel Stuttgarter Hof«, ohne Anwendung der Schusswaffe.

Runnings war gegen 13.45 Uhr unter Mitführung seines bekannten quaderförmigen Sichtelementes, Handzetteln und eines Rucksackes im Westberliner Vorfeld der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße erschienen. Nach kurzzeitigem Aufenthalt legte er den Rucksack und die Handzettel ab, überschritt mit seinem Sichtelement auf dem linkseitigen Fußweg die Grenzmarkierung und bewegte sich anschließend im Laufschritt weitere ca. 45 m bis zum ersten Sperrschlagbaum der Grenzübergangsstelle, wo seine Festnahme erfolgte, der er passiven Widerstand entgegensetzte, sodass er weggetragen werden musste.

Zum Zeitpunkt seiner provokatorisch-demonstrativen Handlungen hielten sich im Westberliner Vorfeld der Grenzübergangsstelle der Leiter der Arbeitsgruppe »13. August«,2 Hildebrandt,3 gemeinsam mit dem Staatsbürger der USA, dem sogenannten Graffiti-Künstler Haring, Keith,4 einem Filmteam mit Videokamera und Tontechnik sowie etwa 60 Schaulustige auf. Durch das Kamerateam wurden die Vorgänge gefilmt.

Runnings betätigt sich seit 1979 »politisch« mit dem Ziel, »durch gewaltfreie politische Aktionen in Form von Flugblättern, Petitionen und Demonstrationen sowie durch Provozierung gewaltloser Konfrontationen zur Annäherung von Ost und West und der Vereinigung zu einer Weltkonföderation beizutragen«.

Im Oktober 1985 hatte er in Moskau eine Flugblattaktion durchgeführt und wurde aus der UdSSR ausgewiesen. Seit dem 24. Mai 1986 hält er sich in Berlin (West) auf und tritt seitdem ununterbrochen provokatorisch-demonstrativ gegen die Grenzsicherungsanlagen der DDR auf, indem er Flugblätter verteilt, Grenzmarkierungen und die Grenzmauer übermalt, sie mittels Leitern besteigt und in einem Fall mit einem Vorschlaghammer zu beschädigen versuchte.

Am 9. Juni, am 7. August und am 4. Oktober 1986 – im letztgenannten Fall gemeinsam mit dem von ihm aufgewiegelten ständigen Einwohner von Westberlin, Brahms, Mirko5 – wurde er nach derartigen Grenzprovokationen festgenommen. Gegen den Brahms wurde wegen ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehl erlassen.

In allen Fällen war Runnings unmittelbar nach seiner Festnahme der Botschaft der USA in der DDR mit der eindringlichen Forderung übergeben worden, durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass weitere Provokationen des Runnings unterbunden werden. Dennoch setzte Runnings auch seit seiner letzten Ausweisung sein subversives Treiben weiter fort und warb in Berlin (West) mit gedruckten Handzetteln Teilnehmer u. a. für weitere Aktionen am 1. und 2. November 1986 und führte öffentliche Geldsammlungen für seine Ziele durch. In weiteren gedruckten Handzetteln, bezeichnet als »A General Proclamation«, kündigte Runnings an, wörtlich: »Ich werde nochmal auf die Mauer klettern und mich nochmal verhaften lassen, bis zu der Zeit, wenn Mirko wieder in Westberlin ist!«.

Durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR waren am 29.9.1986 und am 6. Oktober 1986 die Botschaft der USA und der Senat von Berlin (West) aufgefordert worden, die Provokationen des Runnings konsequent zu unterbinden sowie Ordnung und Sicherheit an der Staatsgrenze der DDR zu gewährleisten.

In den seit seiner Festnahme am 25. Oktober 1986 durchgeführten Untersuchungen verweigerte Runnings jegliche Aussagen. Er stellte sich schlafend und ignorierte alle über den zur Vernehmung hinzugezogenen Dolmetscher in seiner Muttersprache vorgenommenen Mitteilungen über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die Belehrung über seine Rechte entsprechend der Strafprozessordnung sowie des Artikels 39 des Konsularvertrages zwischen der DDR und den USA6 und reagierte in keiner Weise auf ihm gestellte Fragen zur Person und seiner Straftat.

Von dem hinzugezogenen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie des Haftkrankenhauses, dem es trotz intensiver Bemühungen nicht gelang, anamnesische Angaben zu erhalten, wird das Auftreten und Verhalten des Runnings als willentlich gesteuerte Handlungsweise eingeschätzt.

Auch in der am 26. Oktober 1986 geführten Vernehmung gelang es nicht, die Aussagebereitschaft herbeizuführen. Die entsprechenden Bemühungen werden fortgesetzt.

Gegen Runnings wurde wegen ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und am 26. Oktober 1986 Haftbefehl verkündet.7

Die weiteren Untersuchungen konzentrieren sich auf die Aufklärung der Zusammenhänge, Hintergründe und angestrebten Zielstellungen der Machenschaften des Runnings und dessen Kontakte zu Feindorganisationen.

Es wird vorgeschlagen:

  • 1.

    Unter Nutzung des zu erwartenden Mandats für Rechtsanwalt Prof. Dr. Vogel8 gegenüber verantwortlichen Vertretern der USA deutlich zu machen, dass seitens der zuständigen

    Organe der DDR eine großzügige humanitäre Entscheidung im Ermittlungsverfahren gegen Runnings nur unter der Voraussetzung in Erwägung gezogen werden kann, wenn seitens der verantwortlichen Vertreter der USA zugesichert wird, dass Runnings nach einer möglichen Haftentlassung unverzüglich aus Westberlin entfernt und nach den USA zurückgebracht wird.

    Für den Fall positiver Reaktionen der USA könnte gegebenenfalls auch die Haftentlassung des Brahms in Aussicht gestellt werden.

  • 2.

    Im Fall inkonsequenter Reaktionen der USA sollte das Ermittlungsverfahren durchgeführt und eine Ausweisungsentscheidung herbeigeführt werden. Die Ausweisungsentscheidung sollte möglichst so realisiert werden, dass sie mit der Organisierung seines Rückfluges auf direktem Wege in die USA verknüpft werden kann (eventuell Nutzung der Flugverbindung der ČSA von Prag in die USA).

Es wird eingeschätzt. dass eine solche Maßnahme von Runnings ohne Widerstand hingenommen und von den Behörden der USA toleriert würde.

Ich bitte um Zustimmung.

  1. Zum nächsten Dokument Hinweise zum DDR-Aufenthalt von Helmut Schmidt

    [ohne Datum]
    Hinweis: Aufenthalt des ehemaligen Bundeskanzlers der BRD, Schmidt, Helmut, Mitglied des Bundestages, vom 24. bis 26. Oktober 1986 in der DDR [K 1/169]

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    27. Oktober 1986
    Information Nr. 475/86 über die Herbsttagung der 22. Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens