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Reaktion auf KPdSU-Parteitag und Vorbereitung auf SED-Parteitag

21. März 1986
Hinweise über beachtenswerte Reaktionen der Bevölkerung der DDR in weiterer Auswertung des XXVII. Parteitages der KPdSU und in Vorbereitung auf den XI. Parteitag der SED [O/160]

Nach vorliegenden Hinweisen aus allen Bezirken der DDR ist unter breiten Kreisen der Bevölkerung nach wie vor ein anhaltendes Interesse und eine lebhafte Erörterung der im Politischen Bericht des ZK der KPdSU enthaltenen Aussagen zu verzeichnen.1

Politisch interessierte Personenkreise verweisen mehrheitlich darauf, dass sie das kritische und konstruktive Herangehen der KPdSU an die Bewältigung der Aufgaben mit Optimismus erfülle. Die neugewählte Parteiführung sei ihrer Auffassung nach der Garant für die Realisierung der hohen Zielstellungen.

In den Meinungsäußerungen überwiegen auch weiterhin die direkte Bezugnahme auf die Lage in der DDR und entsprechende Erwartungshaltungen hinsichtlich der Beispielwirkung der Politik und des Führungsstils der KPdSU auf die SED und deren Widerspiegelung auf dem XI. Parteitag der SED.2 Dabei sind folgende Grundrichtungen erkennbar:

Insbesondere leitende Mitarbeiter zentraler Staats- und wirtschaftsleitender Organe sowie Wissenschaftler aus dem Bereich der Akademie der Wissenschaften der DDR, die in gemeinsame Forschungsvorhaben des RGW einbezogen sind, leiten aus dem ökonomischen Programm der KPdSU und aus den Orientierungen des XXVII. Parteitages der KPdSU zur Vertiefung der Zusammenarbeit der RGW-Länder die Erkenntnis ab, die Auseinandersetzungen und das Ringen in ihren Kollektiven um die Erhöhung des Beitrages zur Stärkung der Volkswirtschaft der DDR, zur Intensivierung der Arbeit vor allem im Wissenschaftsbereich konsequent und noch zielstrebiger fortzusetzen.

Zahlreiche Mitarbeiter staatlicher und wirtschaftsleitender Organe, Kombinatsdirektoren, Funktionäre der Partei und gesellschaftlicher Organisationen äußern sich zustimmend zu der Vorgehensweise der KPdSU, Schwachstellen, besonders auf ökonomischem Gebiet, schonungslos aufzudecken, da dieses Vorgehen ihrer Meinung nach allen Werktätigen in der UdSSR – und nicht nur den Partei- und Staatsfunktionären – ihre Verantwortung für die Durchsetzung der Beschlüsse des KPdSU-Parteitages deutlich mache.

In diesem Zusammenhang wird jedoch häufig darauf verwiesen, nicht vordergründig die im Politischen Bericht aufgezeigten Mängel und Schwächen zu erörtern. Stattdessen sollten, so wird argumentiert, die aufgezeigten Lösungswege sorgfältig studiert und im jeweiligen Tätigkeitsbereich gründlich ausgewertet werden. Des Weiteren betont dieser Personenkreis, es sei notwendig, sich intensiver mit unseren eigenen Problemen zu befassen, sich unduldsamer mit Hemmnissen auseinanderzusetzen. Vielfach werden dazu entsprechende Impulse vom XI. Parteitag der SED erwartet.

Werktätige aus Betrieben und Genossenschaften, darunter Leitungskader aus Direktionsbereichen von VEB, mittleres leitendes Personal wie Abteilungsleiter, Meister und Schichtleiter sowie zahlreiche Angehörige der pädagogischen Intelligenz erwarten, häufig unter Bezugnahme auf Feststellungen im eigenen Tätigkeitsbereich, vom XI. Parteitag ein ebenso schonungsloses Aufdecken vorhandener Mängel und Schwächen, ein kritisches Herangehen an alle Probleme der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR wie auf dem XXVII. Parteitag der KPdSU.

Nach vorliegenden Hinweisen aus allen Bezirken und der Hauptstadt der DDR konzentrieren sich die kritischen Äußerungen und Feststellungen auf folgende Hauptprobleme:

Mitarbeiter staatlicher und wirtschaftsleitender Organe, aber auch Angestellte in Betrieben und Einrichtungen verweisen vielfach unter Bezugnahme auf eigene Wahrnehmungen und Feststellungen auf eine angebliche Zunahme des Aufwandes in der Verwaltungsarbeit sowie auf eine »nicht zu übersehende Tendenz der Bürokratisierung«.

Darüber hinaus behaupten sie, einigen zentralen staatlichen Organen sei die reale Lage an der Basis nicht mehr bekannt.

So würden nach Auffassung von Mitarbeitern in Leitungsbereichen des Ministeriums für Verkehrswesen zentrale staatliche Stellen erst bei Unfällen oder Schadensereignissen hellhörig.

Danach würden – wie bei der Deutschen Reichsbahn wiederholt festgestellt – Beschlüsse gefasst und Maßnahmen eingeleitet, deren Realisierung jedoch aufgrund fehlender Voraussetzungen in anderen Bereichen der Volkswirtschaft, z .B .bezogen auf die Ausstattung der Deutschen Reichsbahn mit moderner Sicherungstechnik, infrage gestellt sei.

Der gleiche Personenkreis äußerte sich auch kritisch über die Arbeitsweise der Staatlichen Plankommission der DDR die ihrer Rolle als Bilanzierungsorgan, konkret bezogen auf das Verkehrswesen, nicht gerecht werde. Es wird argumentiert, die Mitarbeiter dieser Institution wollten bei bedeutenden Projekten und Vorhaben häufig nur mitreden, ohne jedoch über genügend Sachkenntnis zu verfügen.

Zahlreiche Bürger mit unterschiedlichsten Tätigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen, darunter zahlreiche Mitarbeiter in zentralen bzw. nachgeordneten staatlichen Organen, Leitungskader in Kombinaten und Betrieben, Angehörige der wissenschaftlich-technischen Intelligenz verweisen auf die Notwendigkeit, kompromissloser und entschiedener gegen alle vorhandenen Erscheinungen der Schönfärberei und Selbstzufriedenheit in der Berichterstattung an übergeordnete Organe sowie gegen Planmanipulationen vorzugehen.

Vorgenannte Personenkreise argumentieren, man vermisse seit Langem das Aufzeigen von Problemen, die Schwierigkeiten bereite und eine offene Auseinandersetzung mit ihnen; Mängel und Hemmnisse würden zugunsten einer nur einseitig auf Erfolgsbilanzen abzielenden Berichterstattung verschwiegen.

Charakteristisch sind solche Argumente:

  • In der DDR werde zu viel mit Losungen gearbeitet, aber nicht gesagt, wie es in der Praxis tatsächlich aussieht. Plankorrekturen seien an der Tagesordnung und somit die Planerfüllung »gewährleistet«.

  • Schöngefärbte Berichte und Effekthascherei würden uns in der Entwicklung nicht voranbringen. Durch Verschleierungen und das Bestreben, nur das Positive weiter zu melden, bestünde die Gefahr, auf übergeordneten Leitungsebenen zu Fehlentscheidungen zu kommen.

Häufig werden in diesem Zusammenhang auch kritische Äußerungen über die Vielzahl der in Gestalt von Briefen an den Generalsekretär des ZK der SED abgegebenen Verpflichtungen in Vorbereitung auf den XI. Parteitag der SED getätigt. Teilweise stößt diese Praxis unter Hinweis auf die angeblich konkrete Kenntnis der tatsächlichen Lage im betreffenden Kombinat auf Widerspruch oder Ablehnung. Vielfach wird betont, es bestehe kein Zweifel an der Bereitschaft der Werktätigen zur Realisierung anspruchsvoller Plan- und Wettbewerbsziele, besonders in Vorbereitung auf den XI. Parteitag der SED, jedoch müsse in jedem Fall von den vorhandenen Möglichkeiten und Bedingungen ausgegangen werden. Häufig entstehe jedoch der Eindruck, bei den in den veröffentlichten Briefen enthaltenen Verpflichtungen hätten sich die Unterzeichner zum Teil von Wunschdenken leiten lassen.

Grundtenor diesbezüglicher Meinungsäußerungen sind Auffassungen,

  • die Vielzahl der Verpflichtungen sei nicht mehr überschaubar,

  • die Realisierbarkeit der darin enthaltenen Ziel- und Aufgabenstellungen sei selbst für Beschäftigte des betreffenden Kombinates nicht nachprüfbar,

  • diese Verpflichtungen seien nicht vorher mit den Werktätigen beraten worden.

Teilnehmer einer in Oberhof, [Bezirk] Suhl, stattgefundenen Beratung von Direktoren der Wohnungs- und Tiefbaukombinate mehrerer Bezirke vertraten im internen Kreis solche Auffassungen, dass die Verpflichtungsbewegung der letzten Zeit über zusätzliche Tagesleistungen Formen angenommen hätte, die unserer Wirtschaft nur schadeten. Damit organisiere man ein »planmäßiges Durcheinander«. Die ohnehin in großem Umfang vorhandenen Verpflichtungen zu Höchstleistungen durch weitere zusätzliche Verpflichtungen in Vorbereitung auf den XI. Parteitag hätten an Bedeutung verloren. Wenn bei solchen extremen Witterungsbedingungen wie im Winter 1986 von der Bauindustrie zusätzliche Tagesleistungen abgefordert werden, zwinge man sie bewusst zur Manipulation.

Wissenschaftler in landwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen des Bezirkes Rostock vertraten die Meinung, dass es in der Vergangenheit eine Ehre für hervorragende Betriebe und Kollektive gewesen sei, an den Generalsekretär des ZK der SED schreiben zu dürfen. Heute dagegen würden solche Briefe als »Dutzendware« verschickt und in der Zeitung veröffentlicht. Solche Schreiben, die die Wissenschaftler als »Schaumschlägerei« bezeichneten, würden ohnehin nicht mehr gelesen.

Analoge Auffassungen. wonach die veröffentlichten Briefe sowie die Bilanzen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik zu den erreichten Ergebnissen der volkswirtschaftlichen Entwicklung in der DDR kaum gelesen würden und wenig Beachtung fänden, werden in relativ breitem Umfang, darunter auch von zahlreichen Parteimitgliedern und journalistisch tätigen Personen sowie von Werktätigen aus industriellen Zentren vertreten.

Nachfolgend einige ausgewählte Beispiele für kritische Äußerungen von Werktätigen im Zusammenhang mit übernommenen Verpflichtungen anlässlich des XI. Parteitages:

Heftige Reaktionen unter Beschäftigten des VEB Büromaschinenwerk Sömmerda, [Bezirk] Erfurt, löste die Berichterstattung der »Aktuellen Kamera« vom 27.1.1986 über die Produktion des ersten Personal-Computers im Rahmen der Zusatzproduktion aus.

(Der Betrieb hatte sich zu Ehren des XI. Parteitages zu einer Zusatzproduktion in Höhe von 10 000 Personal-Computern verpflichtet.) Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Mitteilung hatte jedoch der VEB Büromaschinenwerk Sömmerda erhebliche Planrückstände auf diesem Gebiet zu verzeichnen.

Zahlreiche Leitungskader sowie Parteifunktionäre richteten Anfragen an die Parteileitung des Betriebes, wie sie gegenüber den Werktätigen, die den realen Stand der Planerfüllung kannten, argumentieren sollen. Eine Reihe Beschäftigter des Betriebes äußerte offen Zweifel an der Medienpolitik der DDR und behauptete unter Hinweis auf die Verpflichtungsbewegung, dass Anstrengungen zur Realisierung nicht notwendig seien, da der propagandistische Erfolg von »höchster Stelle« vorprogrammiert sei. (Durch zwischenzeitlich eingeleitete umfassende Maßnahmen, insbesondere durch intensive Unterstützung zentraler Staatsorgane, sind große Anstrengungen zur Aufholung der Rückstände unternommen worden, sodass bis zum 4. April 1986 Plangleichheit einschließlich in der Zusatzproduktion erreicht werden soll.)

Beschäftigte des Wissenschaftlich-technischen Zentrums der Deutschen Reichsbahn, Meiningen, [Bezirk] Suhl, vertreten die Auffassung, dass die von ihrem Betrieb abgegebenen Verpflichtungen zur schnellen Überführung von Forschungsergebnissen (Rechner) in die Produktion unreal seien, da diese Rechner nicht durchkonstruiert, jedoch im Interesse der Planerfüllung dennoch zur Auslieferung gelangt seien und nunmehr zahlreiche Reklamationen seitens der Anwender zur Folge hätten.

Werktätige des Fischkombinats Rostock bezeichneten die im Brief des Kombinates an den Genossen Honecker3 enthaltenen Verpflichtungen zu Ehren des XI. Parteitages als »Wunschvorstellung der Kombinatsleitung«.4 (Analoge Äußerungen wurden auch aus dem VEB EAB Berlin bekannt.)

Mitarbeiter der Baustellenleitung sowie Mitglieder und Funktionäre der SED der Baustelle Kernkraftwerk Stendal bezeichnen die Forderung des Ministerrates zur Aufholung aller Planrückstände im Baugeschehen bis zum XI. Parteitag der SED unter Hinweis auf die in den Jahren 1984 und 1985 eingetretenen Rückstände in den Bauleistungen und auf erhebliche Mängel im technologischen Ablauf als unrealistisch. Ihrer Auffassung nach werde die Schere zwischen Forderungen zentraler Partei- und Staatsorgane und den Möglichkeiten zur Überwindung der aufgetretenen Probleme immer größer. Nach Meinung von Technologen des Kernkraftwerkes Stendal soll der Parteiführung und dem Ministerrat in Vorbereitung des XI. Parteitages nur ein auf Erfolg und Optimismus orientiertes Bild vom Baugeschehen auf dieser Baustelle vorgezeichnet werden.

In einer Vielzahl von Meinungsäußerungen wurde gefordert, mehr Konsequenz bei der weiteren Durchsetzung des Leistungsprinzips in allen gesellschaftlichen Bereichen, insbesondere in der Volkswirtschaf zu zeigen. Nur mit Appellen an das Bewusstsein der Werktätigen allein seien die Aufgaben der 1980er-Jahre nicht zu bewältigen.

Vor allem von politisch und gesellschaftlich aktiv tätigen Personen, darunter Schulinspektoren, Direktoren von allgemeinbildenden Oberschulen und anderen Ausbildungsstätten der DDR, aber auch von Werktätigen aus der Volkswirtschaft sowie Ärzten und mittlerem medizinischem Personal der Bezirke Frankfurt/Oder, Rostock und Suhl wird hervorgehoben, es sei notwendig, in allen gesellschaftlichen Bereichen noch strenger das Leistungsprinzip durchzusetzen und ungerechtfertigten Leistungsverlusten den Kampf anzusagen.

Dazu sei es ihrer Meinung nach notwendig, eine straffere Ordnung und Disziplin im Tätigkeitsbereich zu gewährleisten sowie sozialistische Verhaltensweisen noch besser auszuprägen. Mit Erscheinungen mangelnder Arbeitsleistung, geringer Arbeitsmoral, Verantwortungslosigkeit und anderen hemmenden Faktoren müsse endgültig Schluss gemacht werden. Darüber hinaus wurde wiederholt gefordert, auch die Lohnpolitik verstärkt nach dem Leistungsprinzip zu gestalten. Durch strengere Kontrolle der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung sollte die materielle Stimulierung positiv beeinflusst werden.

Unter Mitarbeitern zentraler Bereiche im Ministerium für Verkehrswesen, Leitungskadern, Angehörigen der wissenschaftlich-technischen Intelligenz und Meistern aus volkseigenen Betrieben mehrerer Bezirke wurde wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es in der gegenwärtigen Phase der volkswirtschaftlichen Entwicklung verstärkt darum gehe, die strategische Linie der ökonomischen Politik der Partei in den Betrieben und Genossenschaften besser umzusetzen. Gerade durch die Beseitigung subjektiv bedingter Mängel, so habe ihrer Meinung nach der XXVII. Parteitag der KPdSU deutlich gezeigt, seien noch Reserven gerade auf dem Gebiet der Volkswirtschaft der DDR zu erschließen. Es gelte, einen sozialistischen Leitungsstil konsequent durchzusetzen und die Eigenverantwortlichkeit aller mittleren leitenden Kader zu erhöhen. Eine straffe Führungs- und Leitungstätigkeit durch befähigte Kader sei Voraussetzung zur Erfüllung der gestellten anspruchsvollen Aufgaben. Teilweise sei in der Praxis noch festzustellen, dass Leiter ihre Verantwortung auf andere delegierten bzw. nicht mit dem erforderlichen Engagement für die Erfüllung der Planaufgaben kämpften.

In Einzelfällen wurde auf Erscheinungen aufmerksam gemacht, wonach Funktionäre ihre Funktionen für die Erlangung persönlicher Vorteile missbrauchten. Es müsse, so wurde weiter argumentiert, auch hier mehr Ehrlichkeit und Sauberkeit durchgesetzt werden.

Zu allen diesen genannten Problemen werden entsprechende Aussagen und Aufgabenstellungen vom XI. Parteitag erwartet.

Häufig werden, vorwiegend von Arbeitern, Schwächen in der Leitungstätigkeit als Ursachen für oftmals über längere Zeiträume bestehende Hemmnisse, Mängel und Missstände in der Arbeitsorganisation, der materiellen Stimulierung und in der sozialen Betreuung gesehen.

Diesbezüglich ungelöste Probleme verursachten teilweise Unlust und ablehnende Haltung zu Initiativ- und Sonderschichten sowie negative Einstellungen zur Übernahme zusätzlicher Verpflichtungen anlässlich des XI. Parteitages.

Vor allem solche Erscheinungen wie häufige Störungen und Unterbrechungen der Produktionsabläufe, die unregelmäßigen bzw. qualitätsgeminderten Materiallieferungen, Probleme bei der Bereitstellung von Arbeitsmitteln, wiederholte Umstellungen im Produktionssortiment sowie die Umsetzung von Arbeitskräften wurden kritisch angesprochen. Darüber hinaus würden teilweise vorhandene moderne Maschinen, Anlagen und Rationalisierungsmittel nicht effektiv ausgenutzt, sodass daraus Planrückstände resultierten.

In diesbezüglichen Meinungsäußerungen stellten Arbeiter einen engen Zusammenhang zur Leitungstätigkeit her und leiteten den Schluss ab, dass auf diesem Gebiet bestehende Probleme auf Kosten der in der Produktion Beschäftigten gelöst werden sollen. Das führte besonders in Kollektiven von Betrieben und Einrichtungen mit vorhandenen Planrückständen zu Unverständnis und zu Zweifeln an der Wirksamkeit der sozialistischen Planwirtschaft sowie an der Erreichbarkeit des vorgegebenen Leistungswachstums.

Im Zusammenhang mit der Auszahlung der Jahresendprämien wurden aus einzelnen Betrieben, vorwiegend der Südbezirke, Hinweise über die zur Auszahlung gelangten Beträge bekannt. Vereinzelt verwiesen Werktätige in Eingaben und Beschwerden an staatliche Organe auf eine seit Jahren rückläufige Tendenz in der Prämienhöhe, obwohl immer mehr Sonderleistungen erbracht und die Plankennziffern erfüllt wurden.

Nach vorliegenden Informationen sind auch im Vorfeld des XI. Parteitages unter breiten Schichten der Bevölkerung Diskussionen zu Grundproblemen des Handels, der Versorgung und der Preispolitik bedeutsamer Bestandteil der Meinungsäußerungen.

In vielen Fällen wird mit Zustimmung registriert, dass auch im Rahmen der Parteiwahlen leitende Partei- und Staatsfunktionäre in ihren Schlussworten Forderungen nach weiterer Erhöhung der Anstrengungen zur kontinuierlichen Versorgung der Bevölkerung mit Waren des Grundbedarfs sowie hochwertigen Konsumgütern erhoben haben.

Dennoch wird oft kritisch vermerkt, dass sich ausgewiesene Steigerungsraten in der Produktion bei hochwertigen Konsumgütern nicht in einem entsprechenden Angebot im Handel widerspiegelten. Unter Bezugnahme auf immer wiederkehrende Angebotslücken besonders bei hochwertigen Industriewaren, preisgünstigen modischen Erzeugnissen der Bekleidungsindustrie wie Freizeitbekleidung und -schuhen, Jugendmodeerzeugnissen werden teilweise die veröffentlichten Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Entwicklung, bezogen auf die Herstellung von Konsumgütern, angezweifelt. Es werden zunehmend Forderungen erhoben, wonach sich die durch Kombinate und Betriebe in Vorbereitung des XI. Parteitages übernommenen zusätzlichen Verpflichtungen auch für die Bevölkerung im Einzelhandelsangebot niederschlagen müssten.

In diesem Zusammenhang wird in Meinungsäußerungen der Wahrheitsgehalt der in den Massenmedien der DDR erfolgten Veröffentlichungen über erfüllte und übererfüllte Pläne vieler Betriebe angezweifelt. Es wird weiter behauptet, die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern sei vor Jahren schon besser gewesen; Schlangenbildungen beim Eintreffen besonders gefragter Ware seien dem Sozialismus abträglich. Kombinate und Betriebe, die zu Ehren des XI. Parteitages Verpflichtungen abgegeben haben, sollten beim Wort genommen werden.

Unter Bezugnahme auf das Warenangebot im Einzelhandel werden insbesondere von Werktätigen der Bezirke Dresden, Halle, Magdeburg, Neubrandenburg und Suhl Gerüchte über nach dem XI. Parteitag wirksam werdende Preiserhöhungen verbreitet. Von dieser Maßnahme seien neben Dienstleistungen (vorwiegend bei Kfz-Reparaturen) solche Erzeugnisse betroffen wie Textilien, Strickwolle, Schuh- und Lederwaren, Baumaterialien für den Eigenheimbedarf.

Anhaltend kritische Äußerungen gibt es zur Preisgestaltung insbesondere durch die gehandhabte Praxis der Einschränkung des Angebots von Erzeugnissen in »normalen« Läden zugunsten der Übernahme derartiger Waren in den Delikat- und Exquisit-Handel.5 Es wird argumentiert:

  • In der DDR finde eine »ständige Preiserhöhung« statt, die nicht in Übereinstimmung mit der Einkommensentwicklung der Werktätigen stehe.

  • Durch die Veränderungen in der Relation des Warenangebots zugunsten der oberen Preisklassen seien die Bürger immer mehr »gezwungen«, Delikat- bzw. Exquisit-Läden aufzusuchen.

  • Erfolgte Lohn- und Gehaltserhöhungen würden die »Preissteigerungen« nicht kompensieren.

Vielfach stoßen Begründungen für solche Preisveränderungen auf Ablehnung, da sich in der Regel Qualität und Gebrauchswert der Waren nicht wesentlich verändert hätten.

Darüber hinaus herrscht Unverständnis, dass trotz ständig gestiegener Arbeitsproduktivität in allen Bereichen der Volkswirtschaft und damit verbundenen beträchtlich erhöhten Produktionskennziffern die Erzeugnisse im Einzelhandel immer teurer würden.

So werden Feststellungen getroffen wie:

  • Die Preise hätten bereits eine ansehnliche Größe erreicht. Wohin wird die Preisentwicklung vor allem bei Konsumgütern und Industriewaren noch führen?

  • Die Qualität vieler Erzeugnisse lasse zu wünschen übrig. Sie stände in keinem gesunden Verhältnis zum Preis.

  • Es würden immer weniger Waren zu »normalen« Preisen angeboten; dieses sei schon keine Arbeiterpolitik mehr.

Vor allem in Diskussionen von berufstätigen Frauen und Rentnern wird nach wie vor darauf hingewiesen, dass die Relation von Löhnen, Gehältern und Renten mit der Preisentwicklung nicht mehr übereinstimme und sich größere Aufwendungen erforderlich machten, um den erreichten Lebensstandard aufrecht zu erhalten.

Im Zusammenhang mit den vielfältigen Initiativen zum XI. Parteitag wird immer wieder auf die Lösung des Wohnungsprobleme als soziales Problem bis 1990 verwiesen. Bei Anerkennung der in der Hauptstadt und in den Bezirksstädten der DDR erreichten Erfolge werden nach vorliegenden Hinweisen vor allem aus den Bezirken Gera, Halle, Neubrandenburg und Rostock, insbesondere von Personen, die bereits längere Zeit Antrag auf eigenen Wohnraum gestellt haben, Zweifel an der Realisierbarkeit des Wohnungsbauprogramms laut.

In diesbezüglichen Diskussionen wird vielfach auf bestehende Niveauunterschiede zwischen Berlin, den Bezirks- und Kreisstädten sowie ländlichen Gemeinden verwiesen und betont, dass bei aller optimistischen Perspektive für die Hauptstadt auch die anderen Städte und Gemeinden nicht zurückbleiben dürften; auch dort würden die Werktätigen täglich ihre Pflicht erfüllen.

Es wird weiter behauptet, dass die in Berlin erreichten Fortschritte zulasten der gesamten Republik gingen und argumentiert:

  • Der XI. Parteitag wird uns in dieser Richtung noch mehr abverlangen.

  • Der Unterschied zwischen der Hauptstadt und den Städten/Gemeinden werde immer krasser.

  • Die Baubetriebe aus den Kreisen müssen immer wieder Arbeitskräfte für Berlin abstellen, und territoriale Bauvorhaben würden darunter leiden.

Vereinzelten Meinungsäußerungen zufolge sollten zur Lösung des Wohnungsproblems gesetzliche Regelungen getroffen werden, um zum Beispiel Wohnungstausche attraktiver zu machen.

Mit Näherrücken des Zeitpunktes des Stattfindens des XI. Parteitages werden auch eine Vielzahl von Erwartungshaltungen und Spekulationen angestellt und verbreitet, die sich schwerpunktmäßig auf weitere sozialpolitische Maßnahmen konzentrieren. Besonders häufig treten Erwartungshaltungen hinsichtlich der Senkung des Rentenalters und der Erhöhung von Renten auf.

Vorwiegend Personen mittlerer und älterer Jahrgänge verweisen darauf, dass bisherige sozialpolitische Vergünstigungen in der Regel immer die jüngere Generation betroffen hätten; von einer Herabsetzung des Rentenalters würden jedoch solche Bürger berührt, die aktiv an der Schaffung der Grundlagen für ein Leben in sozialer Geborgenheit beigetragen und Verdienste beim Aufbau unseres Staates erworben hätten. Dabei wird wiederholt zum Ausdruck gebracht, die DDR sei neben der VR Polen das einzige sozialistische Land, in dem Männer mit 65 bzw. Frauen mit 60 Jahren berentet werden. Das Tempo in der Steigerung der Arbeitsproduktivität, so wird in Einzelfällen argumentiert, schaffe jedoch genügend Voraussetzungen, um eine solche Maßnahme realisieren zu können.

Breiten Raum nehmen Vorstellungen von Werktätigen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen ein über die Erhöhung von Löhnen und Gehältern sowie die Verlängerung des Urlaubs.

Die Beweggründe sind sehr differenziert. Es werden Vergleiche angestellt zu Berufen analoger Tätigkeiten und Qualifikationen sowie Bezüge zur gegenwärtigen Preisentwicklung hergestellt.

So kritisieren Meister der volkseigenen Industrie die unzureichende finanzielle Stimulierung für ihre Tätigkeit im Vergleich zu Facharbeitern und ungelernten Kräften.

Lehrer erwarten eine leistungsgerechtere Gehaltsstaffelung in pädagogischen Berufen. Sie verweisen auf den ständig größer werdenden Aufwand zur Gestaltung bzw. Nachbereitung einer Unterrichtsstunde.

Mitarbeiter zentraler staatlicher Organe verweisen darauf, dass es ihrer Meinung nach ungerechtfertigte Unterschiede in der Entlohnung bei gleicher Tätigkeit und Qualifikation gebe, insbesondere zwischen den Hochschulen, Akademien und Instituten der DDR.

Angehörige der medizinischen Intelligenz, vor allem Assistenzärzte, führten in Gesprächen an, ihre Gehälter seien im Gegensatz zu den leistungsorientierten Lohnerhöhungen für das mittlere medizinische Personal seit Jahren nicht gestiegen. Sie müssten deshalb sogenannte Zusatzstellen wahrnehmen, was eine hohe physische Belastung darstelle.

Lohnerhöhungen erwarten auch Arbeiter aus verschiedensten Bereichen der Volkswirtschaft. Bisherige Erhöhungen würden ihrer Meinung nach nur aus Überstunden, Sonderschichten bzw. anderer zusätzlicher Tätigkeit resultieren. Unter Hinweis auf die stärkere Auslastung von hochproduktiven Maschinen rechnen insbesondere Schichtarbeiter mit höheren Schichtzuschlägen.

Diese Diskussionen sind teilweise auch verbunden mit Erwartungen nach Senkung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden. In diesem Zusammenhang erhoffen sich vor allem Pädagogen an POS, aber auch Eltern schulpflichtiger Kinder, den Wegfall des Unterrichts an Sonnabenden.

Mit Hinweis auf anhaltende Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Ersatzteilen, insbesondere für Haushaltsgeräte und Pkw, die vorwiegend negative Auswirkungen auf die Gestaltung der Serviceleistungen und die Realisierung von Dienstleistungen habe, werden vom XI. Parteitag konkrete Beschlüsse zu deren Überwindung erwartet. Das betrifft ebenso entsprechende Orientierungen für die Sicherung eines stabilen, den Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung tragenden Angebots besonders bei hochwertigen Konsumgütern, Schuhwaren, modischen Textilien sowie den Abbau der Wartezeiten bei Pkw.

Weitere Erwartungshaltungen konzentrieren sich insbesondere bei Personen mit aktiven Westverbindungen sowie bei Jugendlichen auf eine großzügigere Gestaltung des Reiseverkehrs in das nichtsozialistische Ausland.

  1. Zum nächsten Dokument Bedeutsame Probleme mit der Deponie Schönberg

    25. März 1986
    Hinweise zu einigen bedeutsamen Problemen im Zusammenhang mit der Deponie Schönberg, [Kreis] Grevesmühlen, [Bezirk] Rostock [K 1/162]

  2. Zum vorherigen Dokument Erwartete Einreisen Ostern 1986

    21. März 1986
    Information Nr. 130/86 über die zu erwartenden Einreisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin im Zeitraum Ostern 1986