Reaktion zur Medienpolitik der DDR
13. Januar 1986
Hinweise über beachtenswerte Reaktionen zur Medienpolitik der DDR [O/154]
Vorliegenden internen Hinweisen zufolge ist die Medienpolitik der DDR ständig wiederkehrender Diskussionsgegenstand vor allem unter politisch interessierten Personenkreisen.
Diesbezügliche Meinungsäußerungen erfolgen hauptsächlich bei aktuellen Anlässen und lassen ein hohes Informationsbedürfnis erkennen. Dabei finden vor allem solche Beiträge Zustimmung, in denen schnell, umfassend und mit überzeugenden Argumenten auf besonders interessierende Fragen der Außen- und Innenpolitik der DDR reagiert wird. Darüber hinaus werden Veröffentlichungen über Entwicklungsprobleme auf den verschiedensten Gebieten in sozialistischen Bruderländern aufmerksam verfolgt.
Vor allem progressive Bürger, darunter zahlreiche Journalisten, Journalistik-Studenten sowie Teile des Lehrkörpers dieser Sektion der Karl-Marx-Universität Leipzig und Mitarbeiter unterschiedlichster Abteilungen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten äußern sich jedoch sehr kritisch zur Medienpolitik. Sie verweisen insbesondere auf den ihrer Meinung nach zu geringen Informationsgehalt aktueller politischer Sendungen des Fernsehens der DDR, hauptsächlich der »Aktuellen Kamera«.1
Bemängelt werden vor allem
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ständig wiederkehrende »stereotype« Protokollmeldungen ohne substantielle Aussagen,
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das Verlesen von langen Erklärungen und Kommuniqués, statistischen Angaben zur volkswirtschaftlichen Entwicklung,
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das Fehlen von orientierenden und erläuternden Kommentaren sowie von interessanten Bildberichten (abgelehnt wird die gängige Praxis der Arbeit mit Standbildern).
Häufig wird betont, unsere Argumentation gegenüber dem Klassengegner sei nicht offensiv genug. Dadurch würden Möglichkeiten der Entlarvung von Halbwahrheiten, Verleumdungen, Falschinformationen und Ähnlichem vergeben. Oftmals seien unsere Reaktionen auf gegen die DDR gerichtete ideologische Angriffe nur dann zu verstehen, wenn man vorher entsprechende Sendungen westlicher Medien verfolgt habe.
Als Ursache wird gesehen, dass die Berichterstattung der DDR-Massenmedien zu außenpolitischen Problemen zu stark von diplomatischer Rücksichtnahme und nicht von Erfordernissen der ideologischen Einflussnahme auf unsere Bürger bestimmt werde.
Dadurch entstünde zum Teil ein völlig falsches Bild über die reale Lage in den jeweiligen Ländern bzw. über die von den führenden politischen Kräften dieser Staaten verfolgte Politik. Das betreffe sowohl die Situation in westlichen Staaten, als auch in einigen sozialistischen Bruderländern und der VR China.
Der genannte Personenkreis, aber auch Kunst- und Kulturschaffende, vertritt darüber hinaus die Auffassung, die weitere Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft würde zu problem- und konfliktlos dargestellt. Das betreffe vor allem Probleme in Durchsetzung der ökonomischen Strategie der Partei.
Unter Bezugnahme auf Erfahrungen aus dem eigenen Tätigkeitsbereich und im Ergebnis vielfältiger Gespräche mit Werktätigen seien die sich dazu äußernden Personen zu dem Schluss gelangt, dass die ausschließlich auf Propagierung der besonders im Bereich der Volkswirtschaft erreichten Ergebnisse ausgerichtete Berichterstattung in den Massenmedien der DDR und die halbjährlichen bzw. monatlichen Veröffentlichungen der Mitteilungen der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik über die Ergebnisse der Durchführung des Volkswirtschaftsplanes2 bei der Bevölkerung der DDR »nicht ankomme« und Desinteresse hervorrufe.
Teilweise würden statistische Angaben über erreichte Produktionsergebnisse und Zuwachsraten auf den Gebieten des Handels und der Versorgung angezweifelt und Vergleiche zu Mängeln und Schwierigkeiten bei der Versorgung auf verschiedenen Gebieten hergestellt.
Streng intern vorliegenden Hinweisen zufolge äußerten Journalisten der Hauptstadt (tätig bei der »Berliner Zeitung«, beim »Neuen Deutschland«, im »Berliner Verlag« bzw. beim Rundfunk und Fernsehen der DDR) in diesem Zusammenhang die Auffassung, mit dieser Form der Berichterstattung entfernten sich die Massenmedien von den Werktätigen, da diese die sie bewegenden Probleme nicht »wiederfänden«.
Im Journalistenkollektiv der »Berliner Zeitung« werden Diskussionen darüber geführt, dass sich die Journalisten in ihrer Tätigkeit eingeengt fühlten und einen unzureichenden Handlungsspielraum hätten.
Sie entwickelten sich ihrer Meinung nach zu »Befehlsempfängern«, was zur Folge habe, erkannte Probleme/Hemmnisse zu verschweigen. Sie verweisen darauf, dass eine überwiegend konfliktlose Darstellung der Entwicklung die Erzeugung einer kritischen Atmosphäre, die Mobilisierung der Werktätigen zur Überwindung von Mängeln und Missständen behindere.
Weiteren Meinungsäußerungen aus journalistischen Kreisen zufolge herrscht auch Unzufriedenheit darüber, dass über bestimmte Probleme nicht berichtet werden dürfe. So werde z. B. die gängige Praxis, nicht über Versorgungsprobleme und Preisentwicklungen in den Bereichen Handel und Versorgung zu informieren, als unklug bewertet.
Aus der täglichen Arbeit wüssten sie, dass auf diesen Gebieten bestehende Probleme unter der Bevölkerung teilweise erregt diskutiert würden. Hier sehen die Journalisten große Reserven, überzeugender in Erscheinung treten zu können. Gleichzeitig äußern sie Besorgnis, diese Art und Weise der Berichterstattung könnte das tägliche Leben realitätsfremd interpretieren und die Massenmedien unglaubhaft machen.
Andererseits wird von Redaktionsmitarbeitern der »Berliner Zeitung« wie auch unter Journalisten des »Neuen Deutschlands« am Beispiel der Thesen zur 750-Jahr-Feier Berlins3 auf ein ihrer Meinung nach anderes Extrem aufmerksam gemacht.4 Sie kritisieren den Umfang dieses Dokumentes und befürchten, dass es deshalb von den Wenigsten mit Aufmerksamkeit gelesen würde. Ähnlich sei es, so wird weiter behauptet, mit den überlangen Artikeln zur Arbeit von Betriebskollektiven.
Wiederholt werden im Zusammenhang mit Diskussionen zur Medienpolitik der DDR auch entsprechende Vergleiche mit Veröffentlichungen von Reden sowjetischer Politiker, insbesondere des Genossen Gorbatschow,5 angestellt und behauptet, es werde darin eine klarere Sprache gesprochen und es erfolgte eine schonungslose Auseinandersetzung mit Mängeln und Missständen. In jedem Falle würden Wege aufgezeigt, wie und in welcher Richtung es weitergehen soll. An diesem Vorgehen, so wird weiter argumentiert, solle sich die DDR in ihrer Medienpolitik stärker orientieren und flexibler reagieren. In diesem Zusammenhang werden vom XI. Parteitag der SED6 bestimmte Korrekturen an der Informationspolitik und bei ihrer Umsetzung durch die Massenmedien der DDR erwartet.