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Reaktionen auf Besuch einer Volkskammerdelegation in der BRD

4. März 1986
Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf den Besuch der Volkskammerdelegation der DDR in der BRD [O/158]

Der Besuch einer Volkskammerdelegation der DDR unter Leitung des Mitgliedes des Politbüros des ZK der SED und Präsidenten der Volkskammer, Genossen Horst Sindermann,1 in der BRD ist von großen Teilen der Bevölkerung mit Aufmerksamkeit und Interesse verfolgt worden.2

Vorliegenden Meinungsäußerungen zufolge wurde dieser Aufenthalt in der BRD begrüßt und die ausführliche Berichterstattung der DDR-Massenmedien zu dieser Reise im Gegensatz zu den tendenziösen Beiträgen westlicher elektronischer Medien positiv hervorgehoben.

Vor allem progressive Bürger werteten diesen Besuch als Fortsetzung der Dialogpolitik unserer Partei- und Staatsführung sowie als bedeutenden Schritt bei der Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten.

Er sei, so wird weiter hervorgehoben, ein Teil der abgestimmten Außenpolitik der sozialistischen Staaten und mache die Verantwortung der DDR und der BRD für die Erhaltung und Festigung des Friedens in Europa deutlich. In diesem Zusammenhang wurde mit Genugtuung festgestellt, die Delegation der DDR habe die wichtigsten Fragen unserer Zeit in den Mittelpunkt der Gespräche gerückt.

Charakteristische Meinungsäußerungen:

  • Der von der DDR beschrittene Weg zur Weiterführung des Dialogs mit BRD-Politikern habe mit diesem Besuch eine neue Qualität erfahren und stelle einen weiteren außenpolitischen Erfolg der DDR dar.

  • Diese Gespräche dienten dem Frieden und seien ein Beitrag zur Entkrampfung der internationalen Lage.

  • Das Zustandekommen dieses Besuches sei Ausdruck des gewachsenen politischen Ansehens der DDR. Selbst eine CDU/CSU-Regierung käme nicht mehr umhin, den Volkskammerpräsidenten zu empfangen.

Besondere Anerkennung fanden das souveräne Auftreten des Genossen Sindermann während seiner Gespräche mit führenden Politikern der BRD sowie seine Schlagfertigkeit gegenüber Journalisten westlicher Massenmedien, die mit zum Teil provokatorischen Fragestellungen aufwarteten. Er habe deutlich gemacht, dass er nicht als Bittsteller gekommen ist, sondern wie man offensiv die politischen Positionen der DDR vertreten muss.

In diesem Zusammenhang wurde wiederholt die Erwartung ausgesprochen, die BRD-Politiker mögen ihren Erklärungen und Verlautbarungen, einen Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen DDR-BRD leisten zu wollen, endlich Taten folgen lassen. Genannt wurde die Respektierung der Staatsbürgerschaft,3 die Klärung der Frage des Grenzverlaufs der Elbe4 und die Auflösung der Erfassungsstelle Salzgitter.5

In einer Vielzahl von Meinungsäußerungen wurde der Aufenthalt der Volkskammerdelegation in der BRD als Vorbereitung einer möglichen Reise des Genossen Honecker6 in die BRD gewertet.

Umfangreich diskutiert wurden erneut Fragen des Reiseverkehrs. Wie bereits in Auswertung der Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf das Interview des Genossen Honecker für die BRD-Wochenzeitung »Die Zeit« festgestellt,7 wurden erneut vielfältige Erwartungshaltungen bezüglich der weiteren Gestaltung des Reiseverkehrs geäußert.8

Vorliegenden Hinweisen zufolge sind diesbezügliche Meinungsäußerungen sehr differenziert.

Progressive Bürger erwarten keine entscheidenden Veränderungen.9 Sie berufen sich auf die Äußerungen des Genossen Sindermann, wonach erst noch vorhandene Relikte der Vergangenheit abgebaut werden müssten, bevor man über alles Weitere sprechen könne.

Gleichzeitig sind sie jedoch verwundert, dass intern Neuregelungen bei Reisen in dringenden Familienangelegenheiten im Reiseverkehr eingetreten sind, darüber jedoch nicht berichtet wurde.

Zahlreiche an Reisen in das nichtsozialistische Ausland interessierte Personen erwarten auch unter Bezugnahme auf Antworten des Genossen Sindermann gegenüber BRD-Journalisten wesentliche, über die bisherigen Möglichkeiten hinausgehende Regelungen.

Aus allen Bezirken der DDR liegen Hinweise darüber vor, dass die Anzahl der Bürger, die bei den Volkspolizeikreisämtern, häufig unter Hinweis auf Äußerungen führender Repräsentanten der DDR, vorsprechen und Reisen in dringenden Familienangelegenheiten beantragen bzw. Erkundigungen über Fragen der Antragsberechtigung und des Verfahrensweges einholen, sprunghaft angestiegen ist.

Mehrfach brachten Bürger ihre Freude darüber zum Ausdruck, dass ihr Anliegen wohlwollend behandelt wird und eine Antragstellung prinzipiell möglich ist.

In diesem Zusammenhang werden u. a. solche Fragen gestellt wie:

  • Welche veränderten Modalitäten gibt es für Reisen in die BRD bzw. nach Westberlin?

  • Auf welche Personenkreise beziehen sich die erweiterten Reisemöglichkeiten?

  • Welche Bedingungen müssen vorliegen, um einen Antrag für Reisen in dringenden Familienangelegenheiten stellen zu können?

  • Sind auch Reisen für solche DDR-Bürger möglich, die keine Verwandten in der BRD haben?

Eingeordnet in die Diskussionen zum Reiseverkehr sind Spekulationen unter Antragstellern auf Übersiedlungsersuchen,10 nach denen noch vor dem XI. Parteitag der SED11 eine entsprechende Entscheidung in ihrem Sinne erfolgen werde.

  1. Zum nächsten Dokument Repressalien und Misshandlungen in der NVA

    5. März 1986
    Information Nr. 104/86 über Erscheinungen der Störung sozialistischer Beziehungen in der 1. Raketenabteilung Tautenhain, 3. Raketenbrigade, MB III und im Grenzregiment 10 Plauen, GK-Süd

  2. Zum vorherigen Dokument Erste Reaktionen auf den XVII. KPdSU-Parteitag

    3. März 1986
    Erste Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf den XXVII. Parteitag der KPdSU [O/157]