Reaktionen auf die USA-Aggression gegen Libyen
18. April 1986
Hinweise über Reaktionen im Zusammenhang mit der USA-Aggression gegen Libyen [O/162]
Der Luftüberfall der USA auf libysche Städte hat unter breiten Teilen der Bevölkerung der DDR Empörung und Betroffenheit ausgelöst.1
Grundtenor derartiger Meinungsäußerungen aus allen Schichten der Bevölkerung aller Bezirke ist die große Sorge um die daraus erwachsenden Gefahren für den Frieden, der durch die aggressive Politik der Reagan-Administration,2 insbesondere durch die fortgesetzten Kernwaffentests und die jüngsten Terrorakte gegen Libyen, aufs äußerte bedroht sei.
Der militärische Angriff wird als Beweis dafür gewertet, dass die USA mit allen Mitteln versuchten, Konfliktherde zu schüren und anderen Ländern ihren Willen aufzuzwingen. Diesem aggressiven Kurs müsse die Weltöffentlichkeit endlich Einhalt gebieten. Es dürfe kein zweites Grenada3 geben.
Zahlreiche politisch engagierte Personen, darunter namhafte Kunst- und Kulturschaffende, aber auch Bürger, die sich ansonsten mit politischen Meinungsäußerungen zurückhalten, äußerten, dass die USA bisher statt Maßnahmen immer nur Lippenbekenntnisse von sich gegeben haben.
Die jüngste Aggressionshandlung wird als schroffe Abkehr der Reagan-Administration von den Prinzipien der friedlichen Koexistenz gewertet. Sie zeuge von der Unberechenbarkeit der amerikanischen Außenpolitik.
Mit dem Luftüberfall würden die USA ihre Rolle als »Weltgendarm« erneut verdeutlichen.
Diese Handlungsweise sei, so wird weiter argumentiert, eine eklatante Missachtung des Völkerrechts und zeige, wo die »wirklichen Terroristen« zu suchen seien. Die »Argumentation« Reagans, mit der durch ihn veranlassten Maßnahme den Terrorismus bekämpfen zu wollen, wäre nur ein fadenscheiniger Vorwand für die Durchsetzung seiner Konfrontationspolitik.
Verbreitet wird festgestellt:
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Die Reagan-Administration betreibe eine Politik am Rande eines Weltkrieges und setze sich selbst über die Meinung ihrer Verbündeten hinweg.
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Eine derartige verbrecherische Aktion könne leicht unübersehbare Folgen haben, die nicht wieder rückgängig zu machen seien.
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Die USA sind nicht bereit, internationale Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen und gingen bewusst das Risiko ihrer möglichen Ausweitung und Verschärfung ein.
In diesem Zusammenhang wird wiederholt die Frage aufgeworfen, ob es unter diesen Bedingungen überhaupt möglich ist, den Weltfrieden zu erhalten und sicherer zu machen.
Bisher habe sich permanent gezeigt, dass die USA gezielt nach Wegen gesucht hätten, allen Vorschlägen und Initiativen der UdSSR zur Entspannung der internationalen Lage auszuweichen und bestehende Verträge auf dem Gebiet der Rüstungsbegrenzung zu unterlaufen. Daher, so wird weiter argumentiert, wachse die Verantwortung der UdSSR und der gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft, eine Ausweitung dieses Krieges mit allen Mitteln zu verhindern. Das setze voraus, auch weiterhin Besonnenheit an den Tag zu legen und sich nicht provozieren zu lassen.
Ständig wiederkehrend wurden solche Fragen aufgeworfen wie:
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Sind die sozialistischen Staaten, voran die UdSSR, stark genug, eine politische Lösung zur Beilegung des Konflikts herbeizuführen?
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Kann der Sozialismus die militantesten Kreise des Imperialismus vom forcierten Kurs der Aufrüstung abbringen?
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Welche Möglichkeiten gibt es, damit sich die gesamte friedliebende Menschheit vor den Machenschaften der Reagan-Administration schützen kann?
Nur vereinzelt wurde resignierend festgestellt, man sei diesem unberechenbaren USA-Kurs und den daraus resultierenden Folgen »hilflos« ausgesetzt.
Teilweise wird die von Reagan betriebene Politik mit dem Vorgehen des faschistischen Deutschlands am Vorabend des Zweiten Weltkrieges verglichen.
Der Entschluss der sowjetischen Regierung, das vorgesehene Außenministertreffen UdSSR-USA abzusagen, wird unter den gegenwärtigen Bedingungen mit Verständnis zur Kenntnis genommen.4 Damit seien aber auch durch die USA weitere Verhandlungen zwischen beiden Staaten infrage gestellt worden.
Es wird die Gewissheit geäußert, dass die UdSSR konsequent an ihrem Friedenskurs festhält und der Reagan-Administration unmissverständlich die möglichen Konsequenzen und die Grenzen ihrer aggressiven Politik aufzeigt.
Einzelmeinungen zufolge dürfte jedoch die solidarische Haltung der Sowjetunion mit dem befreundeten libyschen Volk nicht so weit gehen, seitens der Warschauer Vertragsstaaten5 militärische Unterstützung zu geben, da dies unweigerlich zu einer Konfrontation mit den USA-Streitkräften im Mittelmeerraum führen würde.
Der Schriftsteller Stephan Hermlin6 erklärte internen Hinweisen zufolge, dass die USA einen neuen Krieg angefangen und dazu die Konflikte mit Libyen benutzt habe. Nach Ansicht Hermlins herrsche bei den westeuropäischen Verbündeten der USA darüber tiefe Betroffenheit, was insbesondere in erbitterten Reaktionen der spanischen und französischen Regierung gegenüber dem Aggressionsakt der USA zum Ausdruck komme.
Selbst der Bundeskanzler der BRD sei überrascht gewesen und Außenminister Genscher7 soll mit Empörung reagiert haben. Hermlin ist überzeugt, dass sich die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder zurückhalten und nichts tun werden, was die Lage noch verschärfen könne.
Der Schriftsteller Rolf Schneider8 äußerte intern, er habe gewissenhaft die Meldungen westlicher Medien, insbesondere der BBC London in dieser Angelegenheit verfolgt. Er sei davon überzeugt, dass der Bombenanschlag auf die Westberliner Diskothek das Werk der CIA sei, um einen entsprechenden Vorwand für diese Aggression gegen Libyen zu haben. Schneider glaube nicht daran, dass die USA mit dieser Handlung ihr Ansehen stärken würden. Diese Aktivitäten würden sich nahtlos in gleichgelagerte Handlungen der USA gegen Nicaragua9 und Afghanistan10 einreihen. Im Weiteren äußerte er, dass Gaddafi11 eine sehr widersprüchliche Person sei und es das Beste wäre, wenn er von der Bildfläche verschwinde, da man nicht wisse, zu welchen spontanen Reaktionen dieser noch neige.
Nach internen Hinweisen verurteilen auch kirchenleitende Personen aus der Evangelischen Kirche der Union, Bereich DDR, das Vorgehen der USA gegen Libyen. So äußerte Bischof Demke/Magdeburg,12 Reagan wolle der »Metternich«13 des XX. Jahrhunderts sein, spiele aber die Rolle eines Sheriffs. Er strapaziere somit in unglaublicher Art und Weise die Geduld der Sowjetunion. Demke stellte mit Genugtuung fest, dass der USA-Präsident sich in Bezug auf die Weltmeinung gründlich verkalkuliert habe. Selbst Kohl14 und Genscher könnten sich dieser Meinung nicht entziehen.
Die katholischen Ordinariats-Räte Lange15 und Dissemond/Berlin16 brachten intern zum Ausdruck, dass die USA mit diesen »Vergeltungsmaßnahmen« eine schwere Schuld auf sich laden, denn in der Welt könne niemand derartige Angriffe gutheißen, wo Unschuldige getroffen werden.
Hier würden im wahrsten Sinne des Wortes die Menschenrechte zerbombt. Die Geistlichen erwarten, dass sich der Papst17 zu diesem Ereignis in maßvoller Ausgewogenheit äußert und zugleich zwischen Libyen und den USA vermitteln hilft. Sie selbst sehen keinen Grund dafür, dass sich die katholische Kirche in der DDR öffentlich zu diesem Piratenakt äußert.
Hinweise darüber, wonach sich Bürger der DDR mit den von westlichen elektronischen Medien verbreiteten »Argumenten« über die dominierende Rolle Libyens im internationalen Terrorismus identifizieren, liegen bisher nur in einigen Fällen vor.
Aus ersten Diskussionen unter den in den Bezirken Dresden, Erfurt, Halle und Karl-Marx-Stadt18 aufenthältlichen libyschen Studenten bzw. Lehrlingen geht hervor, dass sie die Vorgänge in ihrem Land mit großer Besorgnis verfolgen. Gleichzeitig sprachen sie dem Revolutionsführer Gaddafi ihr Vertrauen aus.
Libysche Studenten an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt äußerten, im Verteidigungsfall sofort in ihr Land zum Schutz der Revolution zurückkehren zu wollen.
Die an den Lehreinrichtungen der NVA studierenden Militärkader aus Libyen und anderen arabischen Ländern reagierten nach Bekanntwerden der USA-Aggression sehr erregt. Unter den Militärkadern aus Libyen kommt es zu spontanen Hassäußerungen gegen die USA und Großbritannien. Sie machen sich Sorgen um ihre Familien. Wiederholt äußerten sie, nach Hause fahren zu wollen. Derartige Bestrebungen konnten durch entsprechende politische Einflussnahme bisher zurückgedrängt werden.