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Reaktionen auf Flugzeugabsturz nahe Schönefeld (1)

16. Dezember 1986
Erste Hinweise über Reaktionen der Bevölkerung der DDR auf den Absturz eines Passagierflugzeuges der Fluggesellschaft Aeroflot bei Berlin-Schönefeld am 12. Dezember 1986 [O/170a]

Vorliegenden ersten Hinweisen aus den Bezirken und der Hauptstadt der DDR, Berlin, zufolge hat der Absturz eines sowjetischen Passagierflugzeuges vom Typ TU 134 unter breiten Bevölkerungskreisen große Betroffenheit und Anteilnahme ausgelöst.1

In den Meinungsäußerungen kommt immer wieder Bedauern und Mitgefühl mit den Hinterbliebenen der Opfer des Unglücks zum Ausdruck, wobei es als besonders schmerzlich empfunden wird, dass sich unter den Verunglückten auch eine Anzahl Jugendlicher befand.

Von breiten Bevölkerungsschichten werden die durch die zuständigen staatlichen Organe sowie gesellschaftlichen Organisationen und Kräfte unverzüglich eingeleiteten umfassenden Maßnahmen zur Klärung des Hergangs und der Ursachen des Unglücks, zur medizinischen Betreuung der überlebenden Passagiere sowie zur Unterstützung der Hinterbliebenen der Todesopfer hoch eingeschätzt. Dabei werden vor allem die große Einsatzbereitschaft und Selbstlosigkeit aller an der Realisierung der Rettungs- und Bergungsmaßnahmen Beteiligten hervorgehoben und betont, dass die verantwortlichen Organe der DDR auch auf solche Katastrophenfälle gründlich vorbereitet seien.

Angehörige von sich in stationärer Behandlung in Berliner Krankenhäusern befindlichen Verletzten sprachen sich anerkennend über die medizinische Behandlung und Betreuung aus.

Die sofortige Informierung der Bevölkerung über den Absturz des Flugzeuges durch die Massenmedien der DDR wurde allgemein positiv aufgenommen und mit dem Wunsch verbunden, dass möglichst schnell auch über weitere Ergebnisse bei der Aufklärung der Katastrophenursachen berichtet wird. Weiteren Meinungsäußerungen zufolge ließen die bisher erfolgten präzisen Berichte vom Unglück keinen Raum für Spekulationen zu. Das vom Genossen Arndt2 gegebene Interview wird in diesem Zusammenhang als sachlich, konkret und umfassend eingeschätzt.3

Positiv über die Berichterstattung der DDR-Massenmedien äußerten sich auch kirchenleitende Kräfte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs.

Der Bischof Stier/Schwerin4 bekundete die Absicht, Vertreter der Kirche zu den Beisetzungsfeierlichkeiten zu entsenden, sofern es sich bei den Opfern um gläubige Bürger gehandelt habe.

In bisherigen Meinungsäußerungen zu den möglichen Ursachen des Flugzeugabsturzes wird von Teilen der Bevölkerung die Feststellung getroffen, dass trotz Einsatz modernster Technik und hochqualifizierter Kader Unglücksfälle nicht vollständig auszuschließen seien. Wiederholt wird die Frage aufgeworfen, ob die Ursache in menschlichem Versagen oder auf technischem Gebiet zu suchen sei.

(Nur vereinzelt wird vermutet, der Absturz könne im Zusammenhang mit einem terroristischen Anschlag stehen.)

Einzelne Bürger aus dem Bezirk Erfurt, die ihren Wehrdienst bei den Luftstreitkräften absolviert hatten, warfen in diesem Zusammenhang folgende Fragen auf:

  • Die Auswertung eines Flugschreibers dauere zwei bis drei Stunden.

  • Warum werden über die Massenmedien die Ergebnisse nicht eher bekanntgegeben?

  • Warum liegen noch keine Hinweise auf den Inhalt des Kabinentonbandes vor?

  • Wer verzögert welche Informationen? Gibt es andere Hintergründe als menschliches oder technisches Versagen?

Mehrfach wurden von Bürgern Zweifel an der Zuverlässigkeit der sowjetischen Technik geäußert und unmittelbar Parallelen gezogen zum Reaktorunglück in Tschernobyl,5 zur Schiffskatastrophe auf dem Schwarzen Meer6 sowie zum Absturz der TU 134 mit dem Präsidenten der Volksrepublik Mosambik, Samora Machel,7 an Bord und behauptet:

  • Die UdSSR sei jetzt schon wieder Verursacher einer folgenschweren Katastrophe. Das schade dem internationalen Ansehen der Sowjetunion.

  • Die Häufung von Unglücksfällen deute darauf hin, dass es die UdSSR im Zusammenhang mit Sicherheitsfragen »nicht so genau« nehme.

Obwohl mehrheitlich anerkannt wird, dass es sich bei dem eingesetzten Flugzeugtyp um erprobte Maschinen handele, wurde jedoch auch vereinzelt geäußert, die TU 134 sei bereits veraltet, und man sollte sie aussondern.

In diesem Zusammenhang wurden Diskussionen von Schülern aus Berlin-Bohnsdorf bekannt, deren Eltern zum fliegenden Personal der Interflug gehören und die sich dahingehend geäußert haben sollen, angeblich ungern mit der TU 134 zu fliegen, weil bei einem Triebwerksausfall keine Rettung mehr möglich wäre.

Einzelhinweisen aus dem Bezirk Halle zufolge werden von Personen Überlegungen angestellt, geplante Urlaubsreisen mit diesem Flugzeugtyp für 1987 nochmals überdenken zu wollen.

Erste Reaktionen, insbesondere von den Hinterbliebenen der Todesopfer aus den Bezirken Schwerin, Frankfurt/Oder und Karl-Marx-Stadt8 sind durch große Trauer und persönlichen Schmerz gekennzeichnet. Die tragische Information, persönlich durch beauftragte Vertreter der örtlichen staatlichen Organe übermittelt, wurde in der Regel von den Betreffenden gefasst aufgenommen. Hinweise auf negative Äußerungen bzw. Verhaltensweisen dieser Personen liegen nicht vor.

In bisherigen Gesprächen brachten die Familienangehörigen ihre Dankbarkeit für die Fürsorge und den Beistand des Staates in diesen für sie besonders schweren Stunden zum Ausdruck.

Im Einzelfall äußerte die Mutter eines tödlich verunglückten Schülers aus Schwerin als erste Reaktion den Wunsch, ihren zweiten Sohn, der in der UdSSR studiert, mit der Bahn in die DDR zurückzuholen, damit er in der DDR das Studium fortsetzen könne.

Streng intern wurde bekannt, dass BRD-Korrespondenten, insbesondere des Springer-Konzerns, versuchten, in Schwerin detaillierte Informationen einzuholen über die Namen der Opfer, Ursachen und Hintergründe der Katastrophe und über Reaktionen der Hinterbliebenen sowie über Meinungsäußerungen von Lehrern und Schülern der vom Unglück betroffenen Ernst-Schneller-Oberschule Schwerin.

Mit Ausnahme der Hausmeister in dieser Schule erteilten alle anderen von den Korrespondenten angesprochenen Personen keine Auskünfte.

Jüngsten Hinweisen zufolge werden Familienangehörige von verunglückten Bürgern im Bezirk Schwerin immer häufiger von Journalisten der Westberliner Zeitung »Berliner Morgenpost« und des Axel-Springer-Verlages Hamburg angerufen und um Auskunft ersucht. Die betreffenden DDR-Bürger äußern sich empört über ein derartiges Vorgehen westlicher Journalisten. Wörtlich bringen sie zum Ausdruck, sie würden jetzt verstehen, wenn Menschen in der BRD nichts von der Presse wissen wollten, denn diese Journalisten kennen keine Skrupel, wenn sie Sensationen vermuten.

Hinweise auf analoge Aktivitäten von BRD-Korrespondenten in anderen Bezirken der DDR liegen nicht vor.

  1. Zum nächsten Dokument Brand in einem Kinderheim in Berlin-Friedrichsfelde

    17. Dezember 1986
    Information Nr. 570/86 über die Aufklärung der Ursachen des Brandes im Kinderheim »Fritz Weineck«, Berlin-Friedrichsfelde, Paul-Gesche-Straße 9. am 14. Dezember 1986

  2. Zum vorherigen Dokument Ausweisung eines Syrers aus Westberlin

    12. Dezember 1986
    Information Nr. 560/86 über die Ausweisung eines syrischen Bürgers aus Westberlin durch die westlichen Besatzungsmächte – über die Grenzkontrollstelle Heerstraße