Reaktionen westliche Messevertreter Herbstmesse Leipzig
[ohne Datum]
Erste Reaktionen westlicher Messevertreter im Zusammenhang mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung anlässlich der Leipziger Herbstmesse 1986 [O/166]
In den vorliegenden ersten internen Informationen zu Reaktionen kompetenter Vertreter der Wirtschafts- und Handelskreise nichtsozialistischer Länder überwiegen Meinungen und Auffassungen, wonach Genugtuung darüber bestehe, dass mit dem Rundgang der Partei- und Staatsführung auf den Länderrepräsentationen und Messeständen das Interesse der DDR an der weiteren Entwicklung der politischen und ökonomischen Beziehungen bekundet worden sei.
Wie insgesamt eingeschätzt wurde, hat der Rundgang der Partei- und Staatsführung an den besuchten Ständen kapitalistischer Aussteller eine große Beachtung und Resonanz gefunden, verbunden mit Erwartungen auf eine weitere erfolgreiche Entwicklung der ökonomischen Beziehungen zum gegenseitigen Vorteil.
In diesem Zusammenhang erfuhr besonders die Persönlichkeit des Generalsekretärs des ZK der SED, Genosse Erich Honecker,1 bei allen besuchten Vertretern kapitalistischer Länder, sein konsequentes Eintreten für die Erhaltung des Friedens und für die Entwicklung der Beziehungen auf der Basis der friedlichen Koexistenz eine hohe Wertschätzung.
Unter seiner Führung habe sich die DDR »international geöffnet« und sich für Geschäftsleute des NSW als ein attraktives Handelsland entwickelt.
Hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang in Gesprächen und internen Meinungsäußerungen, dass das historisch gewachsene und für Leipzig typische Klima einen gedeihlichen Dialog gestatte. Leipzig erweise sich erneut als Stätte der Begegnung, wo neben Dispositionen für eine belebende ökonomische Zusammenarbeit immer der Gedanke für eine friedliche und optimistische Zukunft der Staaten und Völker genährt werde.
Diese politische Komponente des Messegeschehens wird stets mit dem Auftreten des Staatsratsvorsitzenden, Genossen Erich Honecker, verknüpft. Sein Auftreten im Rahmen der Standbesuche, der gelöste und ungezwungene Umgang mit westlichen Politikern wie auch der Repräsentanten der Wirtschaft setze Akzente und fördere die Atmosphäre der Messe. Ausgehend von der Einfachheit und der von Sachkenntnis getragenen Begegnungen mit den Vertretern der westlichen Firmen werden zugleich die ständig wachsende Sorge um die Erhaltung des Friedens als das »politische Gewissen eines Staatsmannes« gewertet, der sich seiner Verantwortung für die Bewahrung des Lebens aller Menschen bewusst sei.
In weiteren internen Reaktionen werteten Vertreter kapitalistischer Konzerne/Firmen die Veröffentlichung des Interviews des Genossen Erich Honecker in der sozialdemokratischen Wochenzeitung »Vorwärts«.2 Darin sei die klare politische Zielstellung der DDR auch für die Firmen des NSW erkennbar geworden. Die DDR werde als zuverlässiger und stabiler Handelspartner anerkannt, wozu nicht zuletzt der Rundgang wesentlich beigetragen habe.
Unter Bezugnahme auf die weitreichenden Beschlüsse des XI. Parteitages der SED3 werden gleichzeitig Erwartungen auf stärkere Einbeziehung von Konzernen/Firmen der besuchten Länder in Importvorhaben der DDR deutlich.
Im Verlauf des Rundganges sei für die Konzernvertreter u. a. darüber hinaus sichtbar geworden, dass die DDR weiter an ihrer Linie enger kommerzieller Zusammenarbeit im Ost-West-Handel festhalte. Durch den Besuch einzelner NSW-Länder und Firmen seien Akzente für die künftige Wirtschaftspolitik und -strategie gesetzt worden. Daraus ließen sich auch Rückschlüsse für die eigene Verhandlungstätigkeit ableiten.
In weiteren Reaktionen westlicher Aussteller, namhafter Konzernvertreter und Journalisten auf den Rundgang der Partei- und Staatsführung bestätigte sich die gewachsene Internationalität sowie die Rolle der Leipziger Messe als Welthandelsplatz, besonders in der Entwicklung und Förderung der Ost-West-Beziehungen.
Übereinstimmend sind die Einschätzungen zum Niveau der vertretenen 29 Branchen, das sich nach internen Aussagen als Mehrbranchenmesse mit jeder Fachmesse vergleichen könne.
Es seien durchaus keine Höflichkeitsbekundungen, wenn namhafte Firmen und Konzernvertreter die Leipziger Messe als »Spiegelbild internationaler Trendentwicklung und als Schaufenster der gewachsenen Leistungskraft der DDR-Wirtschaft bezeichnen«, wo sich jeder in konzentrierter Form und auf engstem Raum (»wie in einer Nussschale«) von der Stabilität und Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung der DDR überzeugen könne.
Mit großer Aufmerksamkeit werden die Bemerkungen des Genossen Erich Honecker zu den weiteren Perspektiven des Handels mit den nichtsozialistischen Ländern aufgenommen. Sowohl die Bereitschaft zur weiteren gleichberechtigten Entwicklung des Handels zwischen beiden deutschen Staaten als auch die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zu gegenseitigem Vorteil mit anderen kapitalistischen Industrieländern werden als grundsätzliche Orientierungen gewertet, die dem Handel mit der DDR Stabilität und Zukunftssicherheit verleihen. Die durch führende DDR-Wirtschaftsfunktionäre vertretene Position langfristiger Beziehungen zu kapitalistischen Industrieländern, Firmen und Konzernen erhalte durch die Argumentation des Staatsratsvorsitzenden authentisches Gewicht. Meinungen aus den unterschiedlichsten Ebenen der in Leipzig anwesenden Besucher belegen erneut, dass die von Erich Honecker als Partei- und Staatschef gebrauchten Formulierungen mit größter Aufmerksamkeit aufgenommen, verfolgt und interpretiert werden. Seine Haltung und Position zur Messe werden besonders in den Kreisen der BRD-Besucher als »Barometer sich abzeichnender Veränderungen im politischen Klima zwischen beiden deutschen Staaten« gewertet.
Intern wertete der Vorsitzende des Vorstandes der BASF/BRD, Dr. H. Albers,4 den Besuch des Staatsratsvorsitzenden als außerordentlich bedeutend für die weitere Entwicklung der Geschäftsbeziehungen seines Konzerns mit den Kombinaten und Außenhandelsbetrieben der DDR.
Dr. Albers gab im Anschluss an den erfolgten Standbesuch für die am Gespräch nicht zugelassenen Journalisten der BRD eine kurze Pressekonferenz (ca. 15 Minuten). In seinen Erläuterungen zum Gesprächsverlauf mit dem Genossen Erich Honecker betonte er die aufgeschlossene und freundliche Atmosphäre. Dabei wurden die positiven Geschäftsbeziehungen mit der DDR auf die Bereitschaft seines Konzerns zurückgeführt, ständig nach Wegen für die Einbeziehung der DDR in die eigenen Investitionen zu suchen. Das beträfe besonders die Käufe auf dem wichtigen Gebiet der metallverarbeitenden Industrie. Er führte wörtlich aus: »Wir werden in diesem Sinne weiter fortfahren. Die DDR ist eine hochentwickelte Industriegesellschaft und hat eine Menge zu bieten, was wir sowohl für unsere laufende Produktion als vor allem auch für unsere Investitionen benötigen können.«
Bezug nehmend auf Äußerungen des Leiters der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Bräutigam,5 während des Standbesuches wiesen der Leiter der Außenstelle der BASF in Berlin (West), [Name 1], sowie der Leiter des Länderbereiches Europa II in der BASF, Dr. [Name 2], im Anschluss an den Rundgang darauf hin, dass von ihrer Seite darauf Einfluss genommen wurde, Bräutigam keine Chance für große Erklärungen, die nicht sachdienlich und nicht im Zusammenhang mit den Handelsbeziehungen des Konzerns stünden, zu geben.
Bräutigam erläuterte im Verlauf der vorgenannten Pressekonferenz der BASF u. a. seine Bemerkungen gegenüber dem Staatsratsvorsitzenden der DDR dahingehend, dass die BRD an einer guten und vertrauensvollen Nachbarschaft interessiert sei. Auf diesem Wege sollte es dann auch besser gelingen, bestehende Schwierigkeiten zu überwinden. Er habe dabei von Schatten gesprochen, die es im Augenblick auf politischem Gebiet gebe. Man könne sich denken, was dabei gemeint sei und »wir wünschen, dass sich diese Schatten auflösen«.
Die Reaktion des Vertreters der Bayer AG, [Name 3], verdeutlicht Enttäuschung über die Nichtberücksichtigung seines Konzerns im Rahmen des offiziellen Besuchsprogramms der Partei- und Staatsführung.
Für ihn erhebe sich die Frage, was gegen die Bayer AG vorzutragen sei, da sie sich hinsichtlich der Standbesuche »auf eine Warteliste gesetzt fühle«.
Der Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG, Pieper,6 äußerte sich im Anschluss an den Regierungsrundgang außerordentlich beeindruckt, dass er außerhalb des offiziellen Protokolls vom Genossen Honecker begrüßt wurde. Er sei darüber hinaus sehr überrascht über die beim Staatsratsvorsitzenden bestehende Sachkenntnis hinsichtlich des Standes der Geschäftsbeziehungen seines Konzerns mit der DDR gewesen. Pieper fühlte sich insgesamt durch diese Begrüßung offensichtlich persönlich hoch aufgewertet.
Mitarbeiter der Messevertretung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) brachten zum Ausdruck, seitens des DIHT würden alle Forderungen rechter Unionspolitiker, im Zusammenhang mit der Asylantenproblematik7 den Einsatz ökonomischer Sanktionen gegen die DDR zu erwägen, entschieden abgelehnt. Der DIHT spreche sich gegen jegliche Versuche aus, an dem gegenwärtig bestehenden bewährten System des »innerdeutschen« Handels zu rütteln. Das betreffe Versuche, gewisse Zuständigkeiten in das Ministerium für »innerdeutsche« Beziehungen zu verlagern ebenso wie die auch von einigen Unternehmervertretern unterstützten Vorschläge zur Bildung eines Wirtschaftsausschusses BRD/DDR auf Regierungsebene analog den mit anderen sozialistischen Staaten bestehenden Gremien. Abgesehen davon, dass ein derartiger Abschluss nicht so praktikabel arbeiten könne, wie dies auf der gegenwärtigen Gesprächsebene TSI–MAH der Fall sei, provoziere eine solche Institution unnötig Kritiken aus anderen westeuropäischen Ländern an den Sonderregelungen im Handel BRD-DDR.
Übereinstimmend begrüßten zahlreiche in Leipzig weilende Messevertreter aus der BRD, dass beim Rundgang der DDR-Staatsführung nicht nur traditionell der Stand eines führenden westdeutschen Unternehmens besucht wurde, sondern dass auch Zeit für kurze Gespräche mit Vertretern der Firmen Salzgitter AG und Hoechst AG sowie am Gemeinschaftsstand des Saarlandes gefunden wurde. Dies sei Ausdruck des Bemühens der DDR um die weitere Normalisierung der politischen Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und vor allem der ökonomischen Beziehungen.
Bereits in Vorbereitung der Leipziger Herbstmesse hatten führende britische Wirtschaftsrepräsentanten ihr Interesse am Ausbau der ökonomischen Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und der DDR zum Ausdruck gebracht. Vorrangig müsse es dabei um die Erhöhung der britischen Exporte für Großprojekte in der DDR und um einen stärkeren Ausgleich in der Handelsbilanz gehen. Ausgehend von den erreichten Abschlüssen britischer Firmen in Leipzig müssten beim für November 1986 geplanten Besuch des DDR-Außenministers Fischer8 in Großbritannien entsprechende Vorschläge nachdrücklich vorgetragen werden.
Nach Äußerungen britischer Messeteilnehmer sei Lord Jellicoe,9 Vorsitzender des Rates für Handel mit Osteuropa, vom Minister für Handel und Industrie Großbritanniens, Channon,10 persönlich beauftragt worden, seinen Aufenthalt zur Leipziger Herbstmesse 1986 vorrangig zur Auslotung der Möglichkeiten für eine Intensivierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR zu nutzen. Er soll versuchen, die Einbeziehung britischer Großunternehmen in Zulieferungen für DDR-Investitionsobjekte abzusichern. Die britische Seite sei außerdem bereit, Kooperationsbeziehungen zwischen DDR-Kombinaten und Firmen Großbritanniens zu entwickeln mit dem Ziel, die gegenseitigen Lieferungen zu erhöhen sowie eine gemeinsame Absatztätigkeit auf Drittlandmärkten durchzuführen.
Seitens der britischen Industrie würde die objektive Notwendigkeit anerkannt, dass bei Exporten im Investitionsgüterbereich hochtechnologische Komponenten einen unerlässlichen Bestandteil darstellen. Deshalb wäre Lord Jellicoe auch zu einem »offenen Gespräch« über die britische Position bei Embargofragen bereit.
Angesichts der komplizierten Lage der britischen Wirtschaft wolle die britische Regierung bei genereller Beachtung der COCOM-Bestimmungen11 die bestehenden Exportmöglichkeiten in die sozialistischen Länder ausschöpfen und keine Nachteile gegenüber der Konkurrenz aus den USA und Westeuropa zulassen. Lord Jellicoe sei die Persönlichkeit, die bereit wäre, der DDR bei eventuellen Problemen größtmögliche Unterstützung zu geben.
Vertreter der Botschaft Großbritanniens in der DDR äußerten ihre Befriedigung über den Besuch des DDR-Staatsratsvorsitzenden am Informationsstand der britischen Regierung, brachten jedoch gleichzeitig »gedämpften Optimismus« über den Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zum Ausdruck. Der Warenaustausch liege noch weit unter den gegebenen Möglichkeiten. Hauptproblem bleibe der Abbau der für Großbritannien negativen Handelsbilanz.
Hoffnungen auf eine in dieser Beziehung günstigere Entwicklung hätten in jüngster Zeit das Abkommen zum Bau der Rauchgasentschwefelungsanlage in Berlin-Rummelsburg durch die Davy Corporation sowie Abschlüsse über nicht unerhebliche DDR-Importe von Textilmaschinen aus Großbritannien geweckt. Besonders dem Vertrag mit dem Davy-Konzern komme Signalwirkung zu.
Sehr positive Bewertung fand in belgischen Geschäftskreisen der Besuch Erich Honeckers und seiner Begleitung am Stand des Office Belge du Commerce Exterieur (OBCE)12, von dem man sich die Ausweitung der Handelsbeziehungen, insbesondere der belgischen Exporte, verspricht. Dieses Anliegen bilde auch einen wichtigen Punkt bei dem bevorstehenden DDR-Besuch des belgischen Premierministers Wilfried Martens.13 Generaldirektor [Name 4] von der Handelsfirma Tracosa vertrat hierzu den Standpunkt, der Besuch sei auf den massiven Druck namhafter belgischer Firmen, insbesondere des Konzerns ACEC,14 zustande gekommen. Die belgische Wirtschaft erwarte Impulse für verstärkte Lieferungen in die DDR. [Name 4] nannte in diesem Zusammenhang die Beteiligung an Investitionsvorhaben, wie z. B. im Eisenhüttenkombinat Ost, wozu eine Entscheidung der DDR noch in diesem Jahr erwartet werde. Der Direktor der Kreditbank/Antwerpen, [Name 5], erwartet von der Herbstmesse eine günstige Entwicklung der bilateralen Geschäftsbeziehungen. Der Vorstand der Bank habe bereits beschlossen, für die Leipziger Messen 1987 für eine stärkere belgische Messerepräsentanz zu sorgen und auch Neuaussteller aus wichtigen Wirtschaftsbereichen zu mobilisieren.
Mehrfach wurde von belgischen Unternehmen Kritik am Botschafter des Königreiches Belgien in der DDR geübt: Roger Prues,15 der zu den rechten politischen Kreisen um Außenminister Tindemans16 gehört, entwickele kaum Aktivitäten zur Förderung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen und habe sich auch bis zuletzt gegen den Martens-Besuch in der DDR zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen.