Skandal um den stellvertretenden Generalsekretär der AdW (1)
11. Juli 1986
Information Nr. 328/86 über ein Vorkommnis mit einem DDR-Bürger in Westberlin
Presseveröffentlichungen am 10. und 11. Juli 1986 wurde bekannt, dass ein Bürger der DDR (am 11. Juli 1986 wurde der Name Herbert Meißner1 genannt) am 9. Juli 1986 wegen Diebstahls im Kaufhaus Wertheim von der Westberliner Polizei festgenommen und am 10. Juli 1986 aus dem Polizeigefängnis wieder entlassen wurde. Der betreffende Bürger ist bisher noch nicht in die DDR zurückgekehrt. Über seinen gegenwärtigen Aufenthalt liegen noch keine Erkenntnisse vor.
Vom MfS unverzüglich eingeleitete Überprüfungen haben bisher Folgendes ergeben:
Bei dem betreffenden DDR-Bürger handelt es sich offenkundig um Professor Dr. Herbert Meißner, geboren am 16. Mai 1927 in Dresden, wohnhaft in 1140 Berlin, [Straße, Nr.], Mitglied der SED, stellvertretender Generalsekretär der Akademie der Wissenschaften der DDR, Akademiemitglied.
Meißner besitzt aufgrund seiner Funktion und der damit verbundenen Auslandsarbeit ein Visum zur mehrmaligen Aus- und Einreise.
Wie die Überprüfungen weiter ergaben, ist Meißner am 9. Juli 1986 im Rahmen von ihm unterhaltener Arbeitskontakte nach Westberlin ausgereist. Er hatte sich vorher bei der Akademie der Wissenschaften ordnungsgemäß abgemeldet.
Meißner hat sich bisher als klassenbewusster, politisch klardenkender Genosse bewährt. Bei seinen bisherigen arbeitsbedingten Aufenthalten im nichtsozialistischen Ausland und in Westberlin hat er politisch und wissenschaftlich klare Positionen bezogen. Dabei ist aber auch zu beachten, dass er sehr ehrgeizig und auf seine Karriere bedacht ist.
Wie aus Aussagen seiner Ehefrau hervorgeht, glaubt sie nicht an eine Diebstahlshandlung ihres Ehemannes, weist in diesem Zusammenhang jedoch auch auf bestimmte, bei ihm vorhandene Eigenwilligkeiten und eine gewisse Überheblichkeit hin. Es sei auch nicht auszuschließen, dass er – in die Enge getrieben – zu unüberlegten Handlungen neigen könnte.
Seitens des Leiters der Abteilung Westberlin im MfAA, Genossen Müller,2 wurde zwischenzeitlich Senatsrat Kunze3 fernschriftlich um Mitteilung gebeten, welche Erkenntnisse den zuständigen Senatsstellen über den Verbleib Meißners vorliegen bzw. wann und wo die Möglichkeit besteht, mit Meißner in Kontakt zu treten.