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Skandal um den stellvertretenden Generalsekretär der AdW (2)

18. Juli 1986
Information Nr. 339/86 über die Vorgänge um Prof. Dr. Meißner in der BRD

Ergänzend zu den in der Information vom 11.7.1986 (Nr. 328/86) dargelegten ersten Hinweisen über die in Westberlin erfolgte Festnahme von Prof. Dr. Meißner1 wird nachstehend über weitere, im Ergebnis der fortgeführten Überprüfungen gewonnene Erkenntnisse informiert.

Den von Meißner nach seinem Eintreffen in der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD gemachten Aussagen zufolge wurde er am 9.7.1986 in Westberlin mit der Begründung eines beabsichtigten Ladendiebstahls im Kaufhaus Hertie (Tauentzien) festgenommen, zum »Polizeilichen Staatsschutz« gebracht und in einem separaten Raum eingesperrt. Ihm wurden u. a. seine Personaldokumente und ein Taschenkalender mit Namen, zu deren Erklärung er zunächst nicht bereit war, abgenommen. Kurz danach sei ihm mitgeteilt worden, dass sich der »Verdacht geheimdienstlicher Agententätigkeit bestätigt« habe. Als Ansatzpunkte dienten offensichtlich zwei Namen Westberliner Kontaktpartner aus dem Wissenschaftsbereich, die in seinem Taschenkalender notiert waren. Er habe diese Kontakte als rein wissenschaftliche Kontakte zugegeben, jedoch weitere Aussagen mit der Begründung abgelehnt, diese und andere Kontaktpartner nicht in die Gefahr zu bringen, genauso grundlos wie er selbst verdächtigt zu werden. In den Verhören am 9. und 10. Juli 1986 sei er massiv unter Druck gesetzt worden. Die ihn verhörenden Beamten hätten ihm acht bis zwölf Jahre Haft angedroht, als Alternative »Kooperationsangebote« unterbreitet und Versprechungen dahingehend gemacht, dass er bei Eingehen auf ihre Forderungen straffrei ausgehen und in der BRD eingegliedert werden könnte.

Meißner gibt weiter an, dass er aufgrund des auf ihn ausgeübten Drucks, zugleich mit der Absicht, Zeit zu gewinnen und bestimmte Erleichterungen zu erlangen, ihm vorgelegte Schriftsätze unterschrieben habe. Sie hätten beinhaltet:

  • den freiwilligen Übertritt in die BRD,

  • die Bereitschaft zum Verbleib in der BRD und zu Aussagen gegenüber dem BND,

  • die Ablehnung jeden Kontaktes mit der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD.

Darüber hinaus habe er einen auf den Namen »Bauer« lautenden BRD-Pass erhalten.

In diesem Zusammenhang hat Meißner auch angegeben, dass ihm Psychopharmaka (im Kaffee) verabreicht worden seien, was bewirkt habe, dass er sich nicht immer voll unter Kontrolle hatte.

Nach Unterzeichnung der vorgenannten Schriftsätze sei er großzügig behandelt und noch am späten Nachmittag des 10. Juli von Westberlin nach München ausgeflogen worden. In den in einem Objekt des Bundesnachrichtendienstes der BRD (BND) geführten Verhören sei es um seinen Lebenslauf, seinen wissenschaftlichen und politischen Werdegang, sein persönliches Umfeld und seine Verbindungen zum MfS gegangen. Er, Meißner, habe sich dabei so verhalten, dass er nichts durch den BND Verwendbares offenbart, jedoch die Erwartungen des BND hinsichtlich seiner Kooperationsbereitschaft und der künftigen Offenbarung von Informationen verstärkte, indem er – neben den in seinem Kalender enthaltenen Namen – auch auf seine Verbindungen u. a. zu den Genossen Sindermann,2 Sölle,3 Eichler4 und Prof. Reinhold5 verwiesen habe.

Im Ergebnis dessen und der Geltendmachung psychischer Überlastung sei die Kontrolle gelockert und ein Arzt-Termin für den 14. Juli nachmittags festgelegt worden. Er sei nach München (Einmietung in ein Appartementhaus) verbracht worden und habe einen ihn für den Abend des 14. Juli genehmigten Ausgang ausgenutzt, um zur Ständigen Vertretung der DDR in der BRD zu gelangen, in der er sich seit dem 15. Juli, 2.55 Uhr, befindet.

Aussagen Meißners zufolge habe er auf zahlreiche Fragestellungen zum MfS wie folgt reagiert:

  • Er habe – allein schon durch seine Position bedingt – keine inoffizielle Verbindung zum MfS und habe auch keine Verpflichtung zur Mitarbeit unterschrieben.

  • Es gab lediglich – ebenfalls in Wahrnehmung seiner Funktion – gelegentlich Kontakte und Informationsgespräche, in denen es inhaltlich um Fragen der politischen Entwicklung, politischer Veranstaltungen und politischer Gruppierungen in den besuchten Ländern ging. Er habe weder schriftliche noch auf Tonband gesprochene Berichte an das MfS gegeben.

  • Seine Angaben über zwei von ihm genannte Kontaktpartner des MfS (Vornamen im Taschenkalender) seien auf Personenbeschreibungen beschränkt geblieben.

In diesem Zusammenhang ist Folgendes festzustellen:

Seitens des MfS gab es zu Meißner Kontakte, wie das auch bei anderen Persönlichkeiten in führenden Positionen und nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen der Fall ist. Diese Kontakte wurden auch genutzt, von Meißner im Rahmen seiner Reisetätigkeit und Verbindungen gewonnene Informationen zu erhalten. Dabei ging es insbesondere um seine Kenntnisse über Vorgänge in der BRD und in Westberlin; Fragen der Beziehungen zwischen der DDR und der BRD bzw. zu Westberlin, mit denen er arbeitsmäßig befasst war; über wissenschaftliche Einrichtungen, Vertreter dieser Einrichtungen und ihre Positionen, wirtschaftswissenschaftliche Trends usw. Informationen dieser Art wurden dem MfS – wie auch anderen Einrichtungen – auch zu Prüfungs- und Vergleichszwecken übergeben.

Meißner war weder in die Agenturarbeit noch in Werbungsprozesse einbezogen und auch nicht mit spezifischen nachrichtendienstlichen Mitteln ausgestattet.

Meißner befindet sich weiterhin in der Ständigen Vertretung der DDR in der BRD. Zu seinem Befinden ist bekannt, dass sein physischer und psychischer Zustand gut ist. Die Betreuung durch die Genossen der Ständigen Vertretung der DDR und die mit ihm geführten Gespräche haben dazu beigetragen, seinen Gesamtzustand zu stabilisieren und haben sein Vertrauensverhältnis zur Partei gefestigt.

Ihm übermittelte Grüße seiner Ehefrau und seines Arbeitskollektivs trugen ebenfalls dazu bei. Ein Briefaustausch mit seiner Ehefrau ist eingeleitet.

Seit Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen Meißner und Erlass des Haftbefehls werden seitens der BRD-Organe in massivster Form Überwachungs- und Kontrollhandlungen gegen die DDR-Vertretung durchgeführt, die eine erhebliche Behinderung ihrer Tätigkeit bewirken. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die verstärkte Observation der Vertretung und seines Personals sowie des Kurierdienstes (Fotografieren der Fahrzeuginsassen, Begleitung der Fahrzeuge, Ausweiskontrollen usw.).

Es wird vorgeschlagen,

  • die diplomatischen Aktivitäten im Sinne der bestätigten politischen Grundlinie fortzuführen,

  • entsprechend dem Zustand von Meißner mit ihm ein Interview durch den Korrespondenten des DDR-Fernsehens in Bonn durchzuführen.6

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    21. Juli 1986
    Information Nr. 340/86 über bisherige Ergebnisse zur Rückführung von Prof. Dr. Meißner in die DDR

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    16. Juli 1986
    Information Nr. 338/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 7. Juli 1986 bis 13. Juli 1986