Treffen einer Delegation der Grünen mit Opposition in Ostberlin (1)
29. September 1986
Information Nr. 445/86 über Zusammenkünfte von Mitgliedern der Delegation der Bundestagsfraktion Die Grünen während ihres Aufenthaltes in der DDR vom 1. bis 5. September 1986 mit Exponenten politischer Untergrundtätigkeit
Streng internen Hinweisen des MfS zufolge kam es während des Aufenthaltes der Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen in der DDR am 2. September 1986 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, zu Zusammenkünften mit Exponenten politischer Untergrundtätigkeit.1
Diese Aktivitäten der Grünen ordnen sich ein und sind Ausdruck ihrer außenpolitischen Zielstellung gegenüber den sozialistischen Staaten, Kontakte und Beziehungen sowohl auf staatlicher Ebene als auch zu den Basisgruppen der sogenannten unabhängigen Friedensbewegungen unterhalten und ausbauen zu wollen. Zum Zwecke der Organisierung der Kontakttätigkeit zu sogenannten Friedens- und Ökologiekreisen sowie oppositionellen Kräften in der DDR wurden intensive Verbindungen zwischen einzelnen Führungskräften der Grünen und ehemaligen DDR-Bürgern aufgebaut. Dem MfS liegen in diesem Zusammenhang Informationen vor, wonach hinlänglich bekannte ehemalige DDR-Bürger, darunter der in Westberlin im Sinne der Inspirierung/Organisierung politischer Untergrundtätigkeit gegen die DDR agierende Roland Jahn,2 in Vorbereitung des Besuches von Mitgliedern der Bundestagsfraktion der Grünen in der DDR Einfluss auf Delegationsmitglieder dahingehend genommen haben, Kontakte zu oppositionellen Kräften in der DDR aufzunehmen und sich mit diesen zu »solidarisieren«. Jahn hat ferner unmittelbar nach Beendigung des Besuches mit Delegationsmitgliedern einen Informationsaustausch zu Inhalt und Ergebnis der Reise der Delegation der Grünen geführt. In diesem Zusammenhang äußerte er die Absicht, »an dem mit der DDR vereinbarten friedenspolitischen Seminar« teilnehmen zu wollen und dabei in provokatorischer Weise die angebliche »Zusicherung der DDR über die Aufhebung von Reisesperrmaßnahmen«3 – Jahn ist Mitglied der Alternativen Liste Westberlin4 – zu testen.
Zu den maßgeblich auf Initiative der Feinde der DDR, Jahn und Fuchs,5 zustande gekommenen Treffen von Mitgliedern der Delegation der Bundestagsfraktion der Grünen mit Exponenten politischer Untergrundtätigkeit liegen dem MfS folgende streng interne Hinweise vor:
Am 2. September 1986, in der Zeit von ca. 21.15 Uhr bis gegen Mitternacht, hielten sich die Delegationsmitglieder Henning Schierholz,6 Jürgen Schnappertz,7 Ulrich Fischer8 und Annemarie Borgmann9 in der Wohnung von Pfarrer Eppelmann10 auf.
Fischer verließ diese Zusammenkunft gegen 22.30 Uhr und begab sich zu dem hinlänglich bekannten Ralf Hirsch,11 in dessen Wohnung er bis gegen 1.00 Uhr des 3. September 1986 verblieb.
An den Zusammenkünften mit den Grünen beteiligten sich ferner die auf extrem feindlichen Positionen stehenden Wolfgang Templin,12 Gerd Poppe,13 Reiner Dietrich,14 Lutz Nagorski15 und Bärbel Bohley.16
Die Grünen erläuterten ihren Gesprächspartnern das Anliegen ihres DDR-Besuches und nannten dabei als wesentliche Ziele, alle Möglichkeiten für den bevorstehenden Wahlkampf17 in der BRD auszuschöpfen, gegenüber der DDR Dialogbereitschaft zu signalisieren und sich »bestimmte Einflussmöglichkeiten« offenzuhalten. Damit wolle man zugleich längerfristig die Aufhebung der durch die DDR praktizierten Einreisesperren gegenüber Mitgliedern der Grünen bzw. der Alternativen Liste anstreben. Außerdem informierten sie darüber, in den Gesprächen mit führenden Repräsentanten der DDR ständig auf die Notwendigkeit hingewiesen zu haben, Kontakte zu den »Menschen an der Basis«, insbesondere zu den »Friedens- und Ökologiekreisen«, zu pflegen. Diesem Anliegen habe auch der in offiziellen Gesprächen eingebrachte Vorschlag der Grünen gedient, einer »Regionalisierung« ihrer Kontakte in die DDR zuzustimmen.
Dadurch würden Direktkontakte zwischen Bundesländern und Bezirken der DDR sowie zwischen Städten und Gemeinden der BRD und der DDR möglich.
Eppelmann und Hirsch unternahmen im Verlauf der Gespräche wiederholt Versuche, die anwesenden Mitglieder der Grünen zu konkreten Initiativen und Aktivitäten im Interesse der sogenannten staatlich unabhängigen Friedens- und Ökologiebewegung während ihres DDR-Aufenthaltes zu inspirieren.
So wurde u. a. die Erwartung geäußert,
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auf der Pressekonferenz der Delegation der Grünen am 5. September 1986 konkrete Inhalte und Aktivitäten der »unabhängigen Friedens- und Menschenrechtsbewegung« in der DDR darzustellen,
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in dem zu diesem Zeitpunkt noch ausstehenden Gespräch mit dem Leiter des Amtes für Strahlenschutz und Atomsicherheit der DDR die Frage nach der Beantwortung der sogenannten Eingabe »Tschernobyl wirkt überall« (verfasst von Exponenten politischer Untergrundtätigkeit aus der Hauptstadt der DDR und am 5. Juni 1986, versehen mit 141 Unterschriften, bei der Poststelle des Ministerrates der DDR abgegeben) aufzuwerfen,18
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um eine Unterredung mit dem Minister für Nationale Verteidigung der DDR zu ersuchen, um mit ihm Fragen der Wehrdienstverweigerung19 und durch die NVA verursachte »Umweltschäden« zu erörtern,
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Gespräche mit kirchenleitenden Kräften in der DDR zu nutzen, deren zunehmende kritische Haltung gegenüber den »Friedens- und Ökologiekreisen« abzubauen und sie zu veranlassen, derartigen Gruppierungen mehr Wirkungsmöglichkeiten einzuräumen,
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Kontakte zu weiteren Führungskräften politischer Untergrundtätigkeit im Bezirk Halle aufzunehmen.
Diese Ansinnen wurden mit dem Hinweis auf Ziel, Anliegen und Zusammensetzung der Delegation der Partei Die Grünen abgelehnt.
Nach vorliegenden Hinweisen wurden den Grünen durch die anwesenden Exponenten politischer Untergrundtätigkeit Materialien übergeben, darunter eine von Bärbel Bohley auf Initiative von Petra Kelly20 durchgeführte Unterschriftensammlung zu einem »Protest gegen Indianerzwangsumsiedlungen in den USA«.
Nach Beendigung des Besuches der Delegation der Grünen in der DDR wurden zu den genannten Treffen streng intern Äußerungen feindlich-negativer Kräfte bekannt, die insgesamt erkennen lassen, dass die mit den Treffen seitens der Exponenten politischer Untergrundtätigkeit in der DDR angestrebten Ziele und Absichten nicht die erhofften Ergebnisse gebracht hätten.
Angeblich habe sich der Gesamtverlauf des Besuchsaufenthaltes der Grünen, die sich »sichtbar« im Wahlkampf befänden, negativ auf die »Bewegung« ausgewirkt.
Andererseits wird jedoch das nachhaltige Interesse an intensiven Kontakten mit den Grünen deutlich, so in einem Brief Eppelmanns vom 17. September 1986 an das Mitglied der Delegation der Grünen, Henning Schierholz, in dem sich Eppelmann für das Zustandekommen des Treffens vom 2. September 1986 bedankt und darauf verweist, dass er die geführten Gespräche als »wohltuend offen, intensiv und aktuell-informativ« einschätze. Eppelmann hob die Nützlichkeit derartiger Erfahrungsaustausche mit »Partnern« in der DDR hervor, da die Grünen besser als andere Gruppierungen der Friedensbewegung in der BRD bzw. andere Bundestagsparteien bewusst offizielle Anlässe nutzen würden, um zugleich mit den »oppositionellen Gruppierungen in der DDR« zu sprechen.
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