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Treffen Umweltgruppen im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg

14. Mai 1986
Information Nr. 225/86 über Erkenntnisse im Zusammenhang mit einem erneuten Treffen von Vertretern sogenannter Umweltgruppen evangelischer Kirchen in der DDR vom 18. bis 20. April 1986 im Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg, [Bezirk] Halle

Dem MfS liegen streng intern Hinweise über das im Zeitraum vom 18. bis 20. April 1986 im Kirchlichen Forschungsheim (KFH) Wittenberg, [Bezirk] Halle,1 stattgefundene, von dessen Leiter, Pfarrer Dr. Gensichen,2 organisierte und vorbereitete Treffen von insgesamt 35 Vertretern sogenannten Umweltgruppen evangelischer Kirchen in der DDR vor. Derartige jährliche Treffen werden seit dem Jahre 1983 durchgeführt und ließen bisher die Absicht reaktionärer kirchlicher und anderer feindlich-negativer Kräfte erkennen, »Umweltgruppen« organisatorisch im Sinne einer sogenannten alternativen Umweltbewegung zusammenzuführen und sie inhaltlich einheitlich auszurichten. Im Unterschied dazu standen bei dem diesjährigen Treffen Bestrebungen des organisatorischen Zusammenschlusses nicht im Vordergrund.

Auf der Grundlage der Erkenntnisse über Verlauf und Ergebnisse des Treffens sowie weiterer dem MfS vorliegender Hinweise kann eingeschätzt werden:

Das Treffen wurde nicht für feindlich-negative bzw. auf Öffentlichkeitswirkung ausgerichtete Zielstellungen politisch missbraucht.

Es verdeutlichte, dass die konstruktive und offensive Politik von Partei und Regierung in Umweltfragen und die darauf basierende staatliche Konzeption zur Einbeziehung umweltbewusster und -engagierter Christen bei der überwiegenden Mehrheit der kirchlichen »Umweltgruppen« positive Resonanz gefunden haben. Bei noch vorhandener unterschiedlicher Qualität und Intensität in der praktischen Umsetzung dieser Konzeption in den jeweiligen Bezirken/Kreisen der DDR durch die zuständigen staatlichen Organe sind beachtliche Ergebnisse hinsichtlich einer sachlichen und sachbezogenen Zusammenarbeit an konkreten Objekten festzustellen, in die »Umweltgruppen« eingegliedert waren und sind. Das beweist u. a. auch die derzeitige Position von Gensichen, der erklärte, die Lösung der aktuellen Umweltprobleme sei ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, das Verhältnis Staat-Kirche auf dem Gebiet des Umweltschutzes habe sich positiv entwickelt, der Staat zeige gegenwärtig eine größere Offenheit. Bedingt durch die gezielten offensiven staatlichen Aktivitäten wurden bestehende »Umweltgruppen« in ihrem Bewegungsraum eingeengt, konnten sie – auch wegen Fehlens einheitlicher konzeptioneller Vorstellungen – ihre Zielstellungen nicht realisieren, sodass auf dem Treffen in Wittenberg mehrfach von einer »rückläufigen Tendenz« in der kirchlichen »Umweltarbeit« gesprochen wurde. Durch die konsequente Durchsetzung der staatlichen Konzeption zur Einbeziehung umweltbewusster und -engagierter Christen wurde aber auch solchen feindlich-negativen Kräften, die die kirchliche »Umweltarbeit« für die Formierung feindlich-negativer Gruppierungen und die Installierung einer alternativen Umweltschutzbewegung oppositionellen Charakters zu missbrauchen versuchten, zunehmend die Basis entzogen. Dabei ist nicht zu übersehen, und das zeigte das Auftreten einzelner Teilnehmer des Treffens, dass diese Kräfte ihre bekannten Ziele nicht aufgegeben haben, dass sie über umfangreiche Verbindungen untereinander und zu feindlich-negativen Kräften in »Friedenskreisen« und anderen Gruppierungen sowie zu gegnerischen Kräften im nichtsozialistischen Ausland verfügen, dass sie nach wie vor in der Lage sind und entsprechenden Einfluss haben, um bei gegebenen Anlass ihre Aktivitäten spontan zu erhöhen.

Während des Treffens kam es zu keinen weitergehenden Bestrebungen bzw. Festlegungen hinsichtlich der organisatorischen Zusammenführung/Vernetzung bestehender aktiver »Umweltgruppen« bzw. deren Einbindung in andere sogenannte alternative Bewegungen. Im Zusammenhang mit im Auftrage des sogenannten Fortsetzungsausschusses für das »zentrale Friedensseminar« »Konkret für den Frieden V« (1987)3 vorgebrachten Einladungen zur Teilnahme an dieser Veranstaltung äußerte Gensichen Bedenken und erklärte, dass er eine Einbeziehung von »Umweltgruppen« in dieses »Friedensgruppentreffen« für unangebracht halte. Zu diesem Problem wurde keine Übereinstimmung erzielt und jeder »Umweltgruppe« freigestellt, am »Friedensseminar« 1987 teilzunehmen.

Fortgeführt wurden die Versuche, sich über die Inhalte kirchlicher »Umweltarbeit« zu verständigen und einheitliche Orientierungen für die »Umweltgruppen« vorzugeben.

Bedingt durch die ungenügende konzeptionelle und organisatorische Vorbereitung des Treffens – die Teilnehmer erhielten im Gegensatz zu den vorangegangenen Treffen mit der Einladung keine konkreten organisatorischen und thematischen Programmübersichten/-orientierungen und wurden erst am Tagungsort mit der inhaltlichen Zielstellung konfrontiert – war die Mehrzahl der Anwesenden nicht auf die Diskussion um das »Wie?« der perspektivischen Arbeit auf diesem Gebiet eingestellt. Die Diskussion beinhaltete deshalb vorwiegend Erfahrungsaustausche über das bisherige Tätigwerden und keine neuen Überlegungen.

Gensichen äußerte nach Abschluss des Treffens, dass wegen ungenügender themenbezogener Vorbereitung der Teilnehmer die Zielstellung der Veranstaltung, neue Formen und Methoden zur Aktivierung der kirchlichen »Umweltarbeit« zu beraten und weitere Voraussetzungen zu schaffen, damit diese möglichst einheitlich umgesetzt werden, nicht erreicht wurde. Im Ergebnis der Beratungen in drei Arbeitsgruppen und im Plenum wurde zusammenfassend festgestellt, dass die »Umweltgruppen« allgemein eine stärkere Unterstützung und mehr Engagement seitens der Ortspfarrer und anderen kirchlichen Mitarbeiter in den Kirchengemeinden für ihr Anliegen erwarten, und es wurde gefordert, dass diese

  • mehr Verständnis für die Umweltschutzproblematik aufbringen,

  • den Kirchengemeinden »Umweltbewusstsein« vorleben und

  • die »Umweltgruppen« gegenüber staatlichen Stellen und kirchenleitenden Amtsträgern besser vertreten sollten.

Der Organisator des Wittenberger Treffens von sogenannten Umweltgruppen, Pfarrer Gensichen, war durchgängig bemüht, seine vor dem Treffen einem Vertreter des Staatssekretariats für Kirchenfragen der DDR gegebene Zusicherung einzuhalten, offene Konfrontationen zu vermeiden und Initiativen, die auf die Organisierung öffentlichkeitswirksamer Aktionen hinauslaufen, zurückzudrängen. So erklärte er u. a. im Zusammenhang mit der Diskussion um die erneute Durchführung einer »Radsternfahrt«, dass Veranstaltungen dieser Größenordnung ungünstig und das Aufwand-Nutzen-Verhältnis nicht vertretbar seien. Er orientierte auf die Durchführung kleinerer derartiger Aktionen. Nach vorliegenden Hinweisen ist das Gesamtverhalten von Gensichen geprägt durch ein Taktieren zwischen den Ebenen der sogenannten Basisgruppen und Versuchen der Mitarbeit in kirchlichen und wissenschaftlichen Gremien auf zentraler Ebene.

Im Verlaufe des Treffens kam es zu keinerlei Festlegungen über eine Folgeveranstaltung im Jahre 1987.

Angekündigt wurde die Wiederherausgabe des Informationsblattes für kirchliche »Umweltgruppen«, »Anstöße«, durch die Geschäftsstelle der Evangelischen Studentengemeinde in Berlin (wurde bis November 1985 durch das KFH Wittenberg herausgegeben).4

In Auswertung gewonnener Erkenntnisse im Zusammenhang mit dem Treffen von Vertretern sogenannter Umweltgruppen evangelischer Kirchen in der DDR in Wittenberg sowie damit in Beziehung stehender Hinweise wird vorgeschlagen, die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke für Inneres in geeigneter Form über die aktuelle Lageentwicklung auf diesem Gebiet zu informieren mit dem Ziel, Maßnahmen einzuleiten bzw. fortzuführen, um

  • auf der Grundlage des erreichten Standes in Durchsetzung der staatlichen Konzeption zur Einbeziehung umweltbewusster und -engagierter Christen das einheitliche Vorgehen staatlicher Einrichtungen und gesellschaftlicher Organisationen auch künftig konsequent zu sichern,

  • verstärkt konfessionell gebundene Personen in praktische Maßnahmen zur Verbesserung des Umweltschutzes und der Umweltbedingungen für die Bürger einzubeziehen, ihnen Möglichkeiten der aktiven Mitarbeit in entsprechenden gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen (Kulturbund und andere) einzuräumen, sofern sie deren Satzungen anerkennen,

  • den Prozess der Differenzierung der im Rahmen sogenannter kirchlicher Umweltgruppen wirkenden Kräfte fortzuführen und jene Personen zu isolieren, die unter Missbrauch der Kirche im feindlich-negativen Sinne zu wirken beabsichtigen bzw. mit einer eigenständigen kirchlichen »Umweltschutzbewegung« wirksam zu werden versuchen.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    14. Mai 1986
    Information Nr. 226/86 über zu erwartende Einreisen von Personen mit ständigem Wohnsitz in nichtsozialistischen Staaten und Westberlin über die Grenzübergangsstellen der Hauptstadt der DDR, Berlin, im Zeitraum Pfingsten 1986

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    11. Mai 1986
    Information Nr. 216/86 über die Frühjahrssynoden der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen, der Evangelischen Landeskirche Anhalts und der Evangelischen Landeskirche Greifswald