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Treffen Zentralkomitee der deutschen Katholiken mit DDR-Klerikern

27. November 1986
Information Nr. 535/86 über eine Zusammenkunft leitender Mitglieder des »Zentralkomitees der deutschen Katholiken« (ZdK)/BRD mit Bischöfen und weiteren Klerikern aus der DDR am 5. November 1986 in der Hauptstadt der DDR, Berlin

Nach dem MfS vorliegenden streng vertraulichen Hinweisen fand eine interne Zusammenkunft leitender Mitglieder des ZdK/BRD mit leitenden Amtsträgern der katholischen Kirche in der DDR am 5. November 1986 in der Residenz Kardinal Meisners1 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, statt.

Ziel der Zusammenkunft war – analog früherer interner Treffen, die periodisch ein- oder zweimal jährlich stattfinden – der Austausch von Informationen zur innerkirchlichen Situation in den katholischen Kirchen beider deutscher Staaten.

Während des Treffens wurden zum Teil vorbereitete Vorträge gehalten sowie zwanglose Gespräche geführt. Sie bezogen sich vornehmlich auf gottesdienstliche Handlungen und die praktische Tätigkeit im pastoralen Dienst.

Darüber hinaus wurden aber auch gegenseitig Informationen über Situation, Vorhaben und Pläne der katholischen Kirche in beiden deutschen Staaten, die gesellschaftspolitische Bezüge enthielten, ausgetauscht.

An der Zusammenkunft nahmen teil

aus der BRD:

  • Prof. Friedrich Kronenberg,2 Generalsekretär des ZdK

  • Wilhelm Schätzler,3 Prälat, Sekretär der »Deutschen Bischofskonferenz«

  • Dr. Klaus Hemmerle,4 Bischof in Aachen

  • Dr. Ludwig Averkamp,5 Bischöflicher Koadjutor/Osnabrück

  • Dr. Gerhard Bauer,6 Rektor, geistlicher Berater des ZdK

  • Heinz-Dietrich Thiel,7 Caritasdirektor/Westberlin

aus der DDR:

  • Kardinal Meisner

  • die Bischöfe Schaffran/Dresden,8 Braun/Magdeburg,9

  • die Generalvikare Sterzinski/Erfurt,10 Steinke/Berlin,11 Birkner/Görlitz,12 Michelfeit/Schwerin13

  • Prof. Feiereis,14 Dozent am Priesterseminar Erfurt

  • Puschmann,15 Caritasdirektor

Streng internen Hinweisen zufolge wurden während der Zusammenkunft zu folgenden Problemen Gespräche geführt:

  • Allgemeine Situation und aktuelle Fragen, die katholischen Kirchen in der DDR und der BRD betreffend,

  • theologische Ausbildung der Studenten,

  • weiterführende Studien bis zur Promotion und zu anderen Abschlüssen (Prof. Feiereis),

  • der »89. Deutsche Katholikentag« in Aachen16 (Bischof Hemmerle),

  • Errichtung einer »Studienstelle« der »Berliner Bischofskonferenz«/DDR (BBK) zur Unterstützung der Arbeit der Priester (Generalvikar Sterzinski),

  • Diaspora (konfessionelle Minderheit) der Katholiken im Bistum Osnabrück (Dr. Averkamp).

Zu Beginn des Treffens verwies Kardinal Meisner auf das Pastoralschreiben der »Berliner Bischofskonferenz« vom 9. September 1986, das an alle Priester und Diakone der katholischen Kirche zur persönlichen Information und differenziert als Grundlage für Gespräche in katholischen Gemeinden und in anderen kirchlichen Gruppen übergeben worden war. (In dem Brief des Episkopats wird »zur gegenwärtigen Situation der katholischen Kirche in der DDR« und zu »Folgerungen für das pastorale Wirken der Kirche« Stellung genommen.)17

Kardinal Meisner erklärte, in westlichen Medien werde den Bischöfen in der DDR der Vorwurf gemacht, mit den Aussagen in diesem Brief »eine neue Linie zu verfolgen«. Diesen Vorwurf müsse er jedoch »als absurd zurückweisen«.

Das Schreiben gehe auf die Situation in der DDR ein, wo das Fundament zwar nicht aus christlichem Zement gegossen wäre, die katholischen Christen aber in diesem Hause wohnen und sich entsprechend den Realitäten einrichten wollen. Die Kirche habe in jeder Gesellschaftsordnung ihre Stellung zu festigen, und dieser Aufgabe kämen die Bischöfe in der DDR mit dem Pastoralschreiben nach.

Kardinal Meisner informierte über die Vorbereitungen zum Katholikentreffen 1987 in Dresden und erklärte, die katholische Kirche sei darauf eingestellt.18 Das Treffen besitze »Wallfahrtscharakter«, den er schon immer angestrebt habe.

Dr. Kronenberg stellte die Frage nach dem gegenwärtigen Stand des Verhältnisses der katholischen Kirche in der DDR zum Staat, insbesondere, ob es bereits Gespräche zur Vorbereitung einer Begegnung mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR gebe.

Kardinal Meisner habe geantwortet, die Entwicklung in diesem Punkt sei keineswegs zufriedenstellend. Nach wie vor sei die Kirche »großen Belastungen ausgesetzt«, wobei er »stellvertretend für vielfältige Probleme den Volksbildungs- und wehrpolitischen Bereich« nannte.

Eine Begegnung mit dem Vorsitzenden des Staatsrates habe er – Meisner – vor Monaten in vorbereitenden Gesprächen davon abhängig gemacht, dass eine glaubwürdige und annehmbare »Position der DDR zur Jugendweihe19 in einer italienischen Zeitung erscheinen« sollte.

Der Staat habe aber noch nicht darauf reagiert, und so sei eine Begegnung bisher nicht zustande gekommen. Vom Staat wären auch alle kirchlicherseits angeregten Gespräche – so zu Fragen der Volksbildung (Problem der Benachteiligung christlicher Bürger) mit dem Minister für Volksbildung sowie zu Fragen der Ableistung des Wehrdienstes durch Gläubige (Problem des Wehrersatzdienstes)20 mit dem Minister für Nationale Verteidigung der DDR – abgelehnt worden.

Streng vertraulich wurde von Mitgliedern der BBK in einem individuellen Gespräch zu diesen Äußerungen Meisners eingeschätzt, er habe Kronenberg gegenüber den Beweis antreten wollen, dass sich die Haltung des leitenden katholischen Klerus in der DDR gegenüber dem Staat nicht geändert habe und damit der westliche Vorwurf, die katholische Kirche habe mit dem Pastoralschreiben eine neue Linie eingeleitet, nicht haltbar wäre.

Im streng vertraulichen Pausengespräch äußerte Dr. Kronenberg zu den Ausführungen von Bischof Meisner, er begreife die Haltung Meisners gegenüber dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und überhaupt gegenüber den staatlichen Behörden nicht; offenbar sehe und nutze er die Möglichkeiten für die katholische Kirche in der DDR nicht. (Kronenberg nannte Meisner in diesem Zusammenhang einen »Dummkopf«.) Meisner sei auch in Gesprächen mit BRD-Politikern, darunter Kanzler Kohl,21 auf eine bessere Nutzung der Möglichkeiten der katholischen Kirche in der DDR hingewiesen worden; aber wie man erneut feststellen könne, vergebens. Meisner lasse sich nichts sagen; er vertrete mit großer Selbstüberschätzung seine Position.

Dr. Kronenberg ging in seinem Bericht zur Situation, den er in Vertretung des aus Termingründen (Fraktionssitzung im bayerischen Landtag) nicht mit angereisten Dr. Hans Maier22 (Vorsitzender des ZdK) gab, vor allem auf den gegenwärtigen Wahlkampf in der BRD ein.23

Danach sei die Stimmung für die Bonner Koalition insgesamt gut. Das würden auch die Meinungsumfragen ergeben, die anstelle der bisherigen 20 bis 30 % in den zurückliegenden Jahren jetzt 50 bis 60 % für die Bonner Koalition ausweisen würden. Zu begründen wäre das mit einer erfolgreichen Familienpolitik, der Stabilisierung der Wirtschaft und in klaren nationalen Haltungen in der Sicherheits- und Abrüstungspolitik. Hier gebe es vor allem gegenüber dem Bündnispartner USA keine Schwankungen.

Kronenberg ging des Weiteren auf die Äußerungen Kohls zum Generalsekretär des ZK der KPdSU ein und betonte, man müsse wissen, dass die generelle Haltung Kohls im Grunde nichts Neues darstelle. Er vertrete schon immer – und eigentlich sei das ein Lieblingsthema von ihm – die Meinung, dass es in der Geschichte hoch intelligente Menschen gab und geben wird. Wofür diese Menschen ihre Intelligenz einsetzen, das wäre allerdings nicht abzusehen.

Der jetzt von ihm gebrachte Zusammenhang Goebbels24 – Gorbatschow25 sei unklug gewesen, da er zu Missdeutungen und Angriffen führen musste. Aber man müsse auch mit der Kritik leben und ihr nur mit richtig gewählten Argumenten begegnen.26

Die übrigen während der Zusammenkunft behandelten Fragen trugen innerkirchlichen und theologischen Charakter.

Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.

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    27. November 1986
    Information Nr. 537/86 über Verlauf und Ergebnisse der »Friedensdekade 1986« der evangelischen Kirchen in der DDR in der Zeit vom 9. bis 19. November 1986

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    26. November 1986
    Information Nr. 536/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 17. November 1986 bis 23. November 1986