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Untersuchung einer Flucht am Checkpoint Charlie

20. Januar 1986
Information Nr. 37/86 über die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zum ungesetzlichen Grenzübertritt eines DDR-Bürgers über die Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße nach Westberlin am 17. Januar 1986

Am 17. Januar 1986, um 15.48 Uhr, hat der Bürger der DDR, [Name, Vorname]1 (23), wohnhaft in Berlin-Marzahn, [Straße, Nr.], tätig gewesen als Fernmeldemonteur im VEB Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin, die DDR unter Ausnutzung seiner zeitweiligen beruflichen Tätigkeit im Gelände der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße aus bisher noch nicht bekannten Motiven ungesetzlich nach Westberlin verlassen.

Die bisher geführten Untersuchungen haben ergeben:

[Name], der über umfassende Kenntnisse der Installation und Funktion von Raumschutzanlagen verfügt, war nach entsprechenden Überprüfungen am 9. Dezember 1985 für den zeitlich befristeten Einsatz im Rahmen der Rekonstruktionsmaßnahmen an dieser Grenzübergangsstelle bestätigt und seit dem 2. Januar 1986 gemeinsam mit weiteren Angehörigen des VEB Funk- und Fernmeldeanlagenbau Berlin mit der Durchführung der Installierung der Fernbeobachtungs- und Raumschutzanlagen beauftragt. Am 17. Januar 1986 erfolgte der Abschluss der Endmontage dieser Anlagen, wobei vorgesehen war, dass [Name] an der durch den Kommandanten der Grenzübergangsstelle für 16.00 Uhr festgelegten Abnahme der Anlagen teilnehmen sollte. Nach Beendigung seiner Arbeiten verließ [Name] gegen 15.10 Uhr kurzzeitig das Dienstgebäude, um – seinen Angaben zufolge – die Abnahmeunterlagen aus dem betrieblichen Unterkunftswagen zu holen. Gegen 15.40 Uhr meldete er sich beim Einlassposten der Passkontrolleinheit zurück, wurde entsprechend der Betretungsordnung kontrolliert und ihm nach Einholung der Zustimmung durch den Zugführer der Passkontrolleinheit das Betreten des Dienstobjektes gestattet. [Name] begab sich nur kurzzeitig in das Dienstgebäude und lief anschließend allein, ohne jegliche Sicherung und Begleitung, in Richtung des Führungspunktes der Grenztruppen, wobei er ein nicht verschlossenes Tor des neuen Sicherungszaunes, welches auch nicht durch Posten gesichert war, passierte und in der weiteren Folge in den Abfertigungsbereich der Passkontrolleinheit (für Diplomaten und Besatzer) gelangte, ohne dass er durch den am Zugang eingesetzten Sicherungsposten der Grenztruppen kontrolliert wurde. Während der Abfertigung eines Pkw zur Ausreise in Richtung Westberlin durch einen dort eingesetzten Angehörigen der Passkontrolleinheit änderte [Name] plötzlich seine Bewegungsrichtung, lief unter Ausnutzung der Abfertigungshandlungen unerkannt hinter diesem Angehörigen der Passkontrolleinheit vorbei, rannte anschließend durch den verkehrsbedingt geöffneten Schlagbaum und gelangte ungehindert nach ca. 40 Metern auf Westberliner Gebiet.

Nach Wahrnehmung des Täters durch den Angehörigen der Passkontrolleinheit nahm dieser sofort die Verfolgung auf, die jedoch aufgrund des Vorsprunges des Täters erfolglos verlief. Eine Anwendung der Schusswaffe war aufgrund der geringen Entfernung und der geraden Schusslinie in Richtung Westberlin sowie der unmittelbaren Gefährdung weiterer Personen nicht möglich.

Nach dem ungesetzlichen Grenzübertritt begab sich [Name] in die unmittelbar hinter der Grenzlinie befindliche Grenzaufsichtsstelle der Westberliner Polizei und wurde kurz danach mit einem Kfz in das Westberliner Hinterland abtransportiert.

In den Massenmedien der BRD und Westberlins wurde über diesen Vorfall berichtet.2

Die Untersuchungen zu den diesen ungesetzlichen Grenzübertritt begünstigenden Bedingungen und Umständen ergaben das Vorliegen erheblicher Verstöße gegen die in den Führungsdokumenten der Grenztruppen festgelegten Bestimmungen zur Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Ordnung sowie im Zusammenwirken der am Sicherungsprozess beteiligten Kräfte:

  • Die befohlene Sicherung und Begleitung der Bewegung von Personen im Sicherungsbereich I wurde gegenüber [Name] unterlassen. [Name] konnte am 17. Januar 1986 den Sicherungsbereich I mehrfach ohne Sicherung und Begleitung durchqueren.

  • Der Zugang zum Sicherungsbereich I (Tor im neuen Sicherungszaun) war nicht verschlossen (kein Schloss installiert) und wurde (bereits seit mehreren Tagen) auch nicht durch Posten gesichert.

  • Durch den diensthabenden Offizier der Grenztruppen erfolgte an die Passkontrolleinheit und an den Sicherungsposten 1 der Grenztruppen (im Sicherungsbereich I) keine Information darüber, dass [Name] seine Installationsarbeiten am 17. Januar 1986 um 15.10 Uhr beendet hatte.

  • Durch den diensthabenden Offizier der Grenztruppen erfolgte auf Anfrage des Sicherungspostens 1 der Grenztruppen über den am 17. Januar 1986 festgestellten mehrfachen ungesicherten Aufenthalt des [Name] im Sicherungsbereich 1 die Mitteilung, dass die sicherheitsmäßige Begleitung des [Name] wegen dessen Bestätigung für Arbeiten im Sicherungsbereich I nicht erforderlich sei.

  • Durch den amtierenden Kommandanten bzw. den diensthabenden Offizier der Grenztruppen erfolgte keine Information an die Passkontrolleinheit und die Sicherungsposten der Grenztruppen, dass die Installationsarbeiten im Führungspunkt der Grenztruppen am 17. Januar 1986 um 13.00 Uhr abgeschlossen wurden, der Abzug der zivilen Arbeitskräfte erfolgte und sich lediglich noch der [Name] im Territorium der Grenzübergangsstelle aufhält. Ebenfalls erfolgte kein Informationsaustausch darüber, dass zum gleichen Zeitpunkt der Abzug der zusätzlich eingesetzten Sicherungskräfte der Grenztruppen (u. a. Sicherungsposten zwischen der Staatsgrenze und der Kontroll- und Sicherungslinie der Passkontrolle und der Grenztruppen) realisiert wurde.

In Auswertung der festgestellten Mängel und Unzulänglichkeiten wurden im Zusammenwirken mit dem Kommandeur des Grenzkommandos Mitte Sofortmaßnahmen zur Herstellung und ständigen Gewährleistung einer hohen Sicherheit und Ordnung sowie eines lagebezogenen Zusammenwirkens aller am Sicherungsprozess beteiligten Organe und Kräfte eingeleitet.

Die Untersuchungen zur umfassenden Aufklärung der Ursachen und Zusammenhänge sowie der Motive dieses ungesetzlichen Grenzübertrittes werden fortgeführt.

  1. Zum nächsten Dokument Westberliner Polizeikontrollen am Bahnhof Zoo

    20. Januar 1986
    Information Nr. 38/86 über die beabsichtigte Durchführung rechtswidriger Kontrollen der Westberliner Polizei auf dem Gelände der Deutschen Reichsbahn des Westberliner Bahnhofes Zoologischer Garten

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    16. Januar 1986
    Information Nr. 27/86 über die Entwicklung der Einnahmen aus der Durchführung des verbindlichen Mindestumtausches für die Zeit vom 6. Januar 1986 bis 12. Januar 1986