Vorschlag zum Schreiben des Superintendenten aus Zossen
[ohne Datum]
Vorschlag hinsichtlich des Vorgehens im Zusammenhang mit der Beantwortung eines Schreibens des Superintendenten des Kirchenkreises Zossen, [Bezirk]Potsdam, Dr. Furian, an den Botschafter der UdSSR in der DDR [K 3/76]
In Abstimmung mit der Hauptabteilung XX wird vorgeschlagen, den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Potsdam für Inneres zu beauftragen, ein Gespräch mit dem Superintendenten des Kirchenkreises Zossen, Dr. Furian,1 unter Bezugnahme auf sein Schreiben an den Botschafter der UdSSR in der DDR zu führen,2 in dem auf die im Zusammenhang mit dem Vorfall am 5. Juni 1986 in Wünsdorf, [Kreis] Zossen, durch die zuständigen Organe der DDR geführten Untersuchungen eine kurze Mitteilung zum Sachverhalt gegeben und er ersucht werden sollte, ihm bekannt gewordenen Gerüchten nachdrücklich entgegenzuwirken.
Mögliche Fragen des Superintendenten Dr. Furian zu solchen, in seinem Schreiben an den Botschafter der UdSSR enthaltenen Problemen wie »Informationsdefizit gegenüber der Bevölkerung« und »Inhalt der Schusswaffengebrauchsvorschrift der GSSD« sind zurückzuweisen.
Die Mitteilung zum Sachverhalt sollte sich auf folgende Angaben beschränken:
Die zwischenzeitlich abgeschlossenen Untersuchungen der zuständigen Organe der DDR ergaben, dass sich am Abend des 5. Juni 1986 eine Gruppe Jugendlicher nach bereits erheblichem Alkoholgenuss während eines Gaststättenaufenthaltes an die Badestelle des Großen Wünsdorfer Sees begab, unter denen sich auch der im Schreiben des Superintendenten namentlich nicht erwähnte Jugendliche [Name, Vorname] befand. ([Name] ist seit ca. zwei Jahren durch übermäßigen Alkoholgenuss, Arbeitsbummelei und aggressives Auftreten unter Alkoholeinfluss in Erscheinung getreten. Im Jahre 1985 musste er sich wegen Körperverletzung vor der Konfliktkommission verantworten. Der Vater des [Name] ist wegen Vergewaltigung, sexuellen Missbrauchs von Kindern und Diebstahls gesellschaftlichen Eigentums vorbestraft.)
An der Badestelle nahmen die Jugendlichen weitere alkoholische Getränke zu sich, die zum Teil von dem [Name] mitgebracht worden waren. Durch den von den Jugendlichen veranstalteten, lang anhaltenden ruhestörenden Lärm (lautes Grölen, Werfen und Zerstören von Flaschen, Bewerfen von in der Nähe befindlichen Verkaufskiosken und Ähnliches) aufmerksam geworden, begab sich eine sowjetische Militärstreife, nachdem sie das Geschehen längere Zeit aus größerer Entfernung beobachtet hatte, zum Handlungsort. Sie versuchte, die anwesenden Jugendlichen mittels Worten und Gesten zum Verlassen des Badestrandes zu bewegen. Dieser in sachlicher Form vorgetragenen Aufforderung kamen jedoch die Jugendlichen nicht nach. Stattdessen warfen sie weiter mit Flaschen und bedrohten die Angehörigen der sowjetischen Militärstreife. Als der Streifenführer einen flaschenwerfenden Jugendlichen sowie den durch ständige Androhung von Tätlichkeiten besonders in Erscheinung getretenen [Name] aufforderte, zur Klärung des Sachverhaltes zur Kommandantur mitzukommen, widersetzte sich [Name]. Im Gegenteil: Er griff den Streifenführer tätlich an und versetzte ihm mehrere Tritte in den Unterleib.
Alle Versuche, beschwichtigend auf den [Name] einzuwirken, blieben ergebnislos; auch ein abgegebener Warnschuss erzielte keine Wirkung. Unbeeindruckt davon setzte [Name] seine tätlichen Angriffe gegen den Streifenführer fort, versetzte ihm Fausthiebe in das Gesicht und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Da durch dieses Vorgehen des [Name]. Leben und Gesundheit des Streifenführers unmittelbar bedroht waren, gab er einen gezielten Schuss ab, der den [Name] verletzte.3
Superintendent Dr. Furian sollte nach Darstellung des Sachverhaltes gebeten werden, dahingehend Einfluss zu nehmen, dass kursierenden Gerüchten und möglichen Bestrebungen einzelner Personen, diesen bedauerlichen Vorfall zum Anlass zu nehmen, die tief in der Bevölkerung verwurzelte Freundschaft zur UdSSR zu verleumden oder herabzuwürdigen, entschieden entgegengewirkt wird.
Anlage zum Bericht K 3/76
Auskunftsbericht
Furian, Hans-Otto, geboren am 30.4.1931 in Arnswalde, wohnhaft Zossen, [Bezirk] Potsdam, [Straße, Nr.], ist Superintendent des Kirchenkreises Zossen, Synodale der Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.
Nach vorliegenden internen Hinweisen ist die Haltung des Furian zu Grundfragen der Politik der DDR – die Zeitspanne von 1978 bis etwa 1983 betreffend – zum Teil als feindlich-negativ, pseudopazifistisch und teilweise als indifferent einzuschätzen, wobei er zeitweise öffentlichkeitswirksam in Erscheinung trat.
Furian wurde 1978 als Organisator einer Eingabe des Kirchenkreises Zossen an den Rat des Kreises Zossen zum Wehrunterricht,4 zu der er 18 Unterschriften des Pfarrkonvents seines Kirchenkreises gesammelt hatte und die inhaltlich von starker pseudopazifistischer Haltung geprägt war, bekannt.
In der Folgezeit – bis 1983 – unternahm er mehrfach Aktivitäten im Sinne der Unterstützung der bekannten kirchlichen Forderung nach einem »Sozialen Friedensdienst«5 in der DDR und engagierte sich für die Aufnäher »Schwerter zu Pflugscharen«.6 Unter seinem Einfluss wurden die Mitglieder der Jungen Gemeinde des Kirchenkreises Zossen unter Jugendlichen – u. a. in kirchlichen Heimen – aktiv und propagierten Aussagen im Sinne des »SoFD«. Furian vertrat wiederholt die Meinung, mit »SoFD« und »Schwerter zu Pflugscharen« sei das Engagement für den Frieden verbunden.
Des Weiteren wurde Furian 1982 als Veranstalter eines sogenannten Liederabends in der Kirche in Zossen (Liedermacher Weiss/Berlin) bekannt, wo er die Meinung vertrat, Kritiken in »Liedern« seien nicht staatsgefährdend, und die in den »Liedern« gestellte Forderung nach Reisefreiheit für Jugendliche sei berechtigt. Seit 1983 trat Furian nicht mehr öffentlichkeitswirksam in Erscheinung.
Unterschwellig und verbrämt bringt Furian aber weiterhin Sympathien mit der sogenannten staatlich unabhängigen Friedensbewegung zum Ausdruck, ist aber – auch in seinem Umgang mit Gleichgesinnten – stark darauf bedacht, keine Konfrontation mit dem Staat herbeizuführen bzw. unter der Schwelle der strafrechtlichen Relevanz zu bleiben.
In individuellen Gesprächen vertrat Furian zu politischen Grundfragen in jüngster Zeit realistische Haltungen, z. B.
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Zustimmung zum Vorschlag der schwedischen Regierung zur Schaffung einer kernwaffenfreien Zone in Europa sowie zur Reaktion der DDR und anderer sozialistischer Staaten darauf,7
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Unverständnis zur Haltung der Kirchenleitung der BRD zur Stationierung atomarer Raketen auf BRD-Territorium,8
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Ablehnung der »starren Haltung« der BRD-Regierung in ihrer »Deutschlandpolitik«.
Auch als Teilnehmer des 1. gemeinsamen Seminars des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und der »Christlichen Friedenskonferenz«9 (Thema »Sprache des Friedens«), 3. bis 6.2.1986 in Bad Saarow, bezog er realistische Positionen.
In einem Gespräch seitens staatlicher Vertreter mit Furian vor den Volkswahlen (6. Juni 1986)10 verhielt sich Furian reserviert bis abweisend und erklärte, er werde, wie vorher auch, an der Wahl nicht teilnehmen, da der Staat atheistisch sei. (Im Kirchenbereich von Superintendent Furian nahmen nur 35 % der Pfarrer und kirchlichen Mitarbeiter an der Wahl teil.)
F. ist potenzieller Nichtwähler.